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"Non human dances": Bel gegen Trennung von Mensch und Natur

Die menschengemachte Klimakrise nehmen Choreograf Jérôme Bel und Kulturhistorikerin Estelle Zhong Mengual zum Anlass, um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur über ikonische und zeitgenössische Stücke aufzuarbeiten. ImPulsTanz bringt die "Non human dances" nun für zwei Vorstellungen ans Wiener Volkstheater. Im Gespräch mit der APA äußerte sich das französische Duo zu seinem tänzerisch-didaktischen Abend, der zu einem rücksichtsvolleren Umgang mit der Natur anregen soll.

APA: Was hat Sie dazu inspiriert, eine Sammlung an historischen Choreografien zusammenzustellen, die sich von menschlicher Bewegung distanzieren?

Jérôme Bel: Die Umweltkrise. Ich wollte ein Stück zu diesem Problem machen, wusste aber nicht wie. Wenn man seine Gegenwart nicht versteht - von der Zukunft gar nicht zu sprechen -, orientiert man sich oft an der Vergangenheit. Daher habe ich untersucht, wie meine Vorgänger und Vorgängerinnen mit der Darstellung von Natur im Tanz umgegangen sind. Ich hatte dabei das Gefühl, eine Kollaboration zu brauchen, weil ich kein Tanzhistoriker bin. Und zufällig hatte ich Bücher von Estelle Zhong Mengual gelesen.

Estelle Zhong Mengual
: Ich habe Bücher über die Repräsentation von Natur in westlicher Malerei und die darin enthaltenen Informationen zu unserer Beziehung mit Tieren und Pflanzen geschrieben.

Bel: Und weil ich Estelles "Apprendre à voir" ("Sehen lernen") faszinierend fand, habe ich sie gefragt: Kannst du diese Perspektive auch auf westlichen Tanz werfen? Damit hat unsere Zusammenarbeit begonnen. Wir führten Diskussionen über unsere Beziehung zu dem, was wir als das "Nichtmenschlich" bezeichnen. Deshalb nannten wir die Show "Non human dances". Wir zeigen sieben oder acht Exzerpte, darunter Isadora Duncan, Loïe Fuller, Pina Bausch. Die Show ist didaktisch, denn das Thema der Umweltkrise ist zu komplex, um es nur zu tanzen. Estelle ist auf der Bühne, kontextualisiert und erläutert, welche Naturdarstellungen von westlicher Kultur geschaffen wurden. Manche Darstellungen sind schön, aber falsch.

APA: Können Sie Beispiele für falsche Darstellungen nennen?

Bel: Isadora Duncan. (lacht)

Zhong Mengual: Wir kommentieren nicht den Wert dieser Tänze im Kontext westlicher Tanzgeschichte. Sondern wir stellen ihnen sehr spezifische Fragen: Wie wird Natur in diesem Stück dargestellt? Und was verrät das über die Art, wie wir Natur wertgeschätzt haben - oder nicht.

APA: In der Vergangenheit?

Zhong Mengual: Ja - aber die Darstellungen in vielen Tänzen sind nach wie vor relevant, sie sind Teil eines kulturellen Erbes. Die gewählten Stücke zeigen übliche und geteilte Perspektiven auf Natur. Um auf Isadora Duncans "Water Study" einzugehen: Sie nützt die Bewegungen des Wassers, um den Körper zu befreien und Emotionen zu kommunizieren. Natur wird als etwas Befreiendes für unser menschliches Inneres gesehen. Wenn du dich mit dem Fluss bewegst,...

Bel: ... kannst du deine Art des Seins erweitern.

Zhong Mengual: Doch Duncans Tanz spricht nur über Menschen und unseren Nutzen vom Wasser, nicht über das Wasser selbst. Dabei ist Wasser der Schlüssel zu allem Leben. Wir beleuchten in unserer Show: Natur wird verwendet, um über menschliche Gefühle, Erfahrungen, Metaphern zu sprechen, als hätte Natur - Pflanzen, Tiere - keine Bedeutung abseits des Menschen.

APA: Versuchen Sie, dieses Missverhältnis mit Ihrer Performance zu korrigieren?

Bel: Nein, wir zeigen auch erfolgreichere Repräsentationen. Manche Choreografierende machen als Menschen einen Schritt zurück, andere verwenden Natur als Werkzeug. Für uns alle ist das eine Lektion: Wie gehen wir mit Natur um? Respektieren wir sie, hören wir ihr zu, benutzen wir sie?

APA: Es wird nachvollziehbar, warum man Sie als "Philosoph des Tanzes" bezeichnet. Würden Sie sich selbst auch so beschreiben?

Bel: Ich würde es nicht wagen. Aber jetzt, da ich meine Autobiografie schreibe, sehe ich, warum Kritiker das sagen, und wie wichtig Philosophie für mich immer war.

APA: Eine philosophische Frage für Sie: Tanz wird üblicherweise über die Bewegung des Körpers definiert. Wenn Sie nun den Menschen und damit den Körper entfernen, wie definieren Sie Tanz?

Bel: Ohne Körper kein Tanz.

Zhong Mengual: Sie fragen: Wie kann man "Non human dances" ohne "human" darstellen? Dafür muss man sich von dem Glauben distanzieren, dass der menschliche Körper der Darstellung des Nichtmenschlichen im Weg steht. Wir versuchen zu zeigen, dass der Mensch nicht zwangsweise ein Hindernis ist. Ein Hindernis wäre er dann, wenn man sich auf das Menschliche im Körper fokussiert. Aber der Körper ist auch eine Verbindung zu anderen Lebensformen. Eine Verwandtschaft. Die Idee ist: Der Körper ist menschlich, aber er ist auch nicht-menschlich.

Bel: Aber im Westen trennen wir unseren Körper oft von der Natur. Andere Kulturen ziehen hier keine Trennlinie. Um Ihre Frage zu beantworten: Tanz ist die Art, wie man seinen Körper denkt.

Zhong Mengual: Unser Körper ist Ausgangspunkt für Beziehungen zu anderen Lebensformen. Wir atmen täglich die von Pflanzen produzierte Luft. Unser Körper ist zu jedem Zeitpunkt in Verbindung mit anderen Lebensformen. Aber die westliche Kultur betont primär die Hierarchie.

APA: Wie würde eine hierarchielose Beziehung zwischen Mensch und Natur aussehen?

Bel: Achtgeben auf andere Spezies. Nicht Tiere töten, ihr Fleisch essen.

APA: In der Vergangenheit haben Sie aus Umweltgründen auf Flugreisen zu Ihren Performances verzichtet. Wie sind Sie heuer zum ImPulsTanz gereist?

Bel: Mit dem Zug. Wir zeigen schließlich ein Stück über die Umweltkrise. Ich arbeite also auch an meinem Umgang, an meiner Denkweise.

APA: Inwiefern inspiriert Ihr Tanz zu einem rücksichtsvolleren Umgang mit der Natur?

Bel: Hoffentlich tut er das, sonst würde ich im Bett bleiben, Schokolade essen und auf Instagram scrollen. (lacht) Künstler haben mein Leben verändert, ich identifiziere mich mit ihnen und hoffe, mein Werk wird ebenfalls zu umweltfreundlichen Veränderungen beitragen. Ich bin der Meinung, Kunst lässt einen auf freundliche Weise hören, was man nicht hören will. Kunst findet einen Weg, etwas zu vermitteln, das man nicht hören will, aber hören muss. Und so können wir unsere Meinung ändern, etwas verändern. So können wir wachsen.

(Das Gespräch führte Selina Teichmann/APA)

(S E R V I C E - Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual: "Non human dances" im Rahmen des ImPulsTanz im Volkstheater, 1070 Wien. Performance: Gaspard Charon, Sherwood Chen, Chiara Gallerani, Elisabeth Schwartz, Lisa Vilret und Estelle Zhong Mengual/Stéphanie Aflalo. Mit Choreografien von: Pina Bausch, Gaspard Charon, Isadora Duncan, Loïe Fuller, Lev Ivanov und Marius Petitpa, Xavier Le Roy, Sergiu Matis. Aufführungen am 7. und 9. August. www.impulstanz.com/performances/pid1663/)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Klimakrise inspiriert Jérôme Bel und Estelle Zhong Mengual zu 'Non human dances', die das Verhältnis zwischen Mensch und Natur durch Tanz erforschen.
  • ImPulsTanz bringt die Aufführungen am 7. und 9. August ins Wiener Volkstheater.
  • Historische und zeitgenössische Choreografien von Isadora Duncan, Loïe Fuller und Pina Bausch werden gezeigt.
  • Zhong Mengual erläutert auf der Bühne die kulturellen Darstellungen der Natur und deren Auswirkungen.
  • Bel reist aus Umweltgründen mit dem Zug zu seinen Performances und hofft, dass Kunst zu umweltfreundlichen Veränderungen beitragen kann.