Neues Volksopern-"Rössl" als etwas braves Zugpferd
Am Ende steht ein solider Abend mit einigen netten Regieeinfällen des designierten Volkstheater-Direktors, aber auch eine überraschend konventionelle, fast altmodische Interpretation. Die Begeisterung des Premierenpublikums war hoch.
Schon beim Heben des Vorhangs ist man überrascht vom letztlich, wenn wohl auch gewollt, altbackenen Bühnenbild, in dem das "Weiße Rössl" vor Alpinprospekt den restlichen Abend dominieren wird. Die Europäische Kulturhauptstadt Salzkammergut hat sich gerade verabschiedet, schon wird man wieder entführt an den Wolfgangsee.
Hier spielt sich der Liebeszirkel ab um Zahlkellner Leopold (der aktuelle Volksopern-Leading-Man Jakob Semotan in den Fußstapfen von Peter Alexander), der sich in die Wirtin Josepha Vogelhuber (Dasch) verliebt hat, die ihrerseits auf Stammgast Dr. Siedler (David Kerber) steht. Der Berliner Fabrikant Giesecke (TV-Star Götz Schubert) reist indes mit Tochter Ottilie (Nadja Mchantaf) an, die sich Dr. Siedler krallt - den Anwalt des schärfsten Konkurrenten des Herrn Papas.
Die im "Rössl" angelegte Konfrontation zwischen "Piefkes" und rustikalen Einheimischen kostet Gloger weidlich aus, indem er auf Dialekte setzt. Annette Dasch präsentiert eine zwar putzelige, aber doch erkennbar unauthentisch kärnterisch-oberösterreichische Sprachmischung, was sich im Laufe des Abends als bewusste Staffage der Berlinerin zur Befriedigung der touristischen Sehnsüchte herausstellt. Die frischgebackene Nestroy-Gewinnerin Julia Edtmeier aus Linz hingegen muss oder darf Schwäbisch parlieren. Einzig Entertainerlegende Harald Schmidt darf als sparbewusster Reisender Prof. Dr. Hinzelmann in seiner Muttersprache sprechen - eben auch Schwäbisch.
Dabei bleiben die ersten zwei Stunden des dreistündigen Abends weitgehend im sich über die Jahre hinweg eingeschlichenen, harmlosen Zugang zum Genre Operette verhaftet. Einzig einige nette Details weisen da über vergangene Zeiten hinaus, wenn etwa die Wände der Dorfdisco "Kuhstall" mit Bildern der Protagonisten im 80er-Look ausgekleidet sind, hie und da ein Veganscherz oder eine Seitenbemerkung über "Mohr im Hemd" auf der Karte gemacht wird.
Erst nach hinten heraus nimmt sich der Abend größere Freiheiten. Da wird aus dem "Tourismus"-Essay Hans Magnus Enzensbergers zitiert und Übertourismus angeprangert. Der schöne Sigismund von Oliver Lieb ist ein Influencer. Und als Kaiser erscheint nicht Franz Joseph, sondern der mittlerweile beliebterer Robert Palfrader, mit dem Daschs Wirtin dann endlich einmal a-part Klartext sprechen kann.
Diese Dekonstruktion lässt jedoch zu lange auf sich warten, zu sehr macht es sich die Inszenierung dann doch lange Zeit im wohligen Operettenwarmhaltebecken gemütlich. So bleibt das Ganze überraschend harmlos, als habe Gloger vor einem Sturz des Säulenheiligen des Genres zurückgeschreckt.
Frischer präsentierten sich da die Klänge aus dem Graben, haben sich Gloger und der Dirigent Michael Brandstätter doch für die erst vor einigen Jahren wiederentdeckte Urfassung der Partitur entschieden, die hörbar stärker auf Tanzmusikelemente und Jazz setzt, die symphonische Operette hingegen eher in den Hintergrund treten lässt.
Klanglich überraschend ist hier im Gegenzug die Besetzung zentraler Partien mit Opernsängerinnen und -sängern wie Annette Dasch, David Kerber oder Nadja Mchantaf. Aber auch so bleibt das "Rössl" ein Stück, bei dem so mancher und manche im Publikum mitwippt - Dekonstruktion hin oder her.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - "Im weißen Rössl" von Ralph Benatzky in der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Dirigent: Michael Brandstätter, Regie: Jan Philipp Gloger, Bühnenbild: Christof Hetzer, Kostüme: Justina Klimczyk. Mit Josepha Vogelhuber - Annette Dasch, Leopold Brandmeyer - Jakob Semotan, Wilhelm Giesecke - Götz Schubert, Ottilie - Nadja Mchantaf, Erich Siedler - David Kerber, Sigismund Sülzheimer - Oliver Liebl, Prof. Hinzelmann - Harald Schmidt, Klärchen - Julia Edtmeier, Kaiser - Robert Palfrader, Piccolo - Christoph Stocker, Kathi - Jennifer Pöll, Braut - Anja Štruc, Bräutigam - James Park, u.a. Weitere Aufführungen am 10., 13., 16. und 19. Dezember, am 11., 19., 21., 24. und 30. Jänner 2025, am 4. Februar sowie am 1., 6., 25. und 29. Juni. www.volksoper.at/produktion/im-weissen-rossl-2024.de.html)
Zusammenfassung
- Die Inszenierung von 'Im weißen Rössl' an der Volksoper unter der Regie von Jan Philipp Gloger wurde mit Spannung erwartet, bot jedoch eine überraschend konventionelle Interpretation mit einigen modernen Regieeinfällen.
- Musikalisch setzten Gloger und Dirigent Michael Brandstätter auf eine wiederentdeckte Urfassung der Partitur, die stärker auf Tanzmusik und Jazz setzt, was dem Stück eine frische klangliche Note verlieh.
- Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert von der Aufführung, die trotz moderner Anspielungen wie Zitaten von Hans Magnus Enzensberger über Übertourismus größtenteils im traditionellen Operettenstil verhaftet blieb.