Neu: Lydia Mischkulnigs Roman "Beau Rivage: eine Rückkehr"
Das Buch beginnt mit einem filmreifen Einstieg. Am Flughafen von Kabul, wo sich bei der neuerlichen Machtübernahme der Taliban dramatische Szenen abspielten, inszeniert Karl vor seinem Abflug mit Komplizen eine künstliche Aufregung, um im letzten Augenblick eine junge Frau an Bord zu schmuggeln, die einer Zwangsheirat entkommen möchte. Würde der Plan schiefgehen, wäre nicht nur Karl gefährdet, sondern auch die Arbeit des Roten Kreuzes diskreditiert. Die Befreiungsaktion gelingt, doch sie muss geheim bleiben. Der Heldenmut des Helfers bleibt unbelohnt. Am Flughafen in Genf wartet kein Begrüßungskomitee, ja nicht einmal seine eigene Ehefrau.
Unter widrigen Umständen professionell distanziert und diplomatisch, in eigenen Belangen nahezu hilflos - mit diesem Gegensatz spielt Mischkulnig, lässt dabei aber nicht nur ihre Hauptfigur immer konturloser werden. Streckenweise liest sich das Buch als detailreiche Reiseempfehlung für Genf und weiht in die feinen Annehmlichkeiten wie die dunklen Geheimnisse des Hotel Beau Rivage ein.
Der Rückkehrer ist sicher, dass er in jenem Zimmer nächtigt, in dem der deutsche Politiker Uwe Barschel 1987 tot aufgefunden wurde. Damals war er an der Seite seines Vaters, eines in üble Waffengeschäfte verwickelten Anwalts, quasi live dabei. Ob jener Waffenhändler, der in Karls Kindheit in der heimatlichen Schottergrube mit anderen Geschäftsfreunden des Vaters Schießübungen veranstaltete, aber tatsächlich NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie war, bleibt letztlich offen. Klar ist dagegen, dass Karls Entscheidung, seinen Anwaltsberuf aufzugeben und sich nach Heilung seiner Drogensucht der humanitären Hilfe zu verschreiben, als Revolte des Sohnes gegen den Vater gedeutet werden muss.
Absurde Dialoge, neue Probleme
In der Schweiz macht er unmittelbar nach seiner Rückkehr neue Bekanntschaften - eine attraktive Frau, die ihn im Zug ausgerechnet bei der Lektüre des Romans "Die Richterin" anspricht, und einen alten Geschäftsfreund seines Vaters, der ihm zwielichtige Angebote macht und offenbar mehr weiß, als Karl lieb ist. Etwa, dass seine gefährliche Hilfsaktion verraten wurde und von seinem Arbeitgeber gar nicht goutiert wird. Die Dialoge bei diesen Begegnungen ähneln in ihren Andeutungen, Brüchen und abrupten Themenwechseln mitunter absurdem Theater.
Während in Basel um den heißen Brei herumgeredet wird, brauen sich in Wien mehrere Unglücke zusammen. Die Ehe mit der Ärztin Kunigunde steht möglicherweise vor dem Aus, die Kommunikation per Mobiltelefon ist mühsam und wird zuletzt durch einen Fahrradunfall jäh unterbrochen. Was Karl zuvor erfahren hat, trägt nicht zu seiner Beruhigung bei: Die 15-jährige Tochter Almuth, ohnedies psychisch labil und für die Eltern kaum mehr zugänglich, ist schwanger. Recherchen ergeben: Vater ist ein gleichaltriger Asylwerber, dem sie Deutschunterricht gegeben hat.
Im Mietauto gefangen
"Ich reiß mir den Arsch für die Jungs auf, rette sogar ihre Weiber und dann vögeln sie meine Tochter", bricht es da gänzlich political incorrect aus dem Weltverbesserer heraus. Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich in einem Schweizer Mietwagen, dessen Bordcomputer allerdings nicht das macht, was Karl will, sondern die Zentralverriegelung aktiviert und alle anderen Funktionen stilllegt. Es wird eine lange Nacht in einem versperrten Auto auf offener Straße. Mischkulnig beherrscht auch die Komik. Dabei spiegelt sie auch ein wenig das Gefühl bei der Lektüre ihres Romans: ausgeliefert sein - ohne zu wissen, wohin die Reise gehen soll.
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Lydia Mischkulnig: "Beau Rivage: eine Rückkehr", Leykam Verlag, 288 Seiten, 24,50 Euro; Buchpräsentation am 25. März, 19 Uhr, in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Wien 1, Herrengasse 5)
Zusammenfassung
- In Lydia Mischkulnigs Roman 'Beau Rivage: eine Rückkehr' kehrt Karl Ofracek von einem Einsatz für das Internationale Rote Kreuz aus Afghanistan nach Genf zurück, wo er sich unerwarteten persönlichen und beruflichen Herausforderungen stellen muss.
- Am Flughafen Kabul gelingt Karl eine dramatische Rettungsaktion, die geheim bleiben muss, während er in Genf weder von einem Begrüßungskomitee noch von seiner Frau erwartet wird.
- Der Roman thematisiert sowohl Karls inneren Konflikt als auch seine familiären Probleme, darunter die Schwangerschaft seiner Tochter Almuth, und enthält Elemente von Komik und absurden Dialogen.