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mumok zeigt Medardo Rosso als Erfinder der modernen Skulptur

Medardo Rosso. Immer, wenn sie im Kollegenkreis erwähnte, dass das mumok über diesen italienischen Künstler eine Ausstellung vorbereite, sei sie auf Unwissenheit oder auf Begeisterung gestoßen, erzählte am Donnerstag Museumschefin Karola Kraus bei der Pressekonferenz zu jener Schau, die Kuratorin Heike Eipeldauer fünfeinhalb Jahre vorbereitet hat. Rosso (1858-1928) erhalte bis heute "nicht die Anerkennung, die er verdient hat". Das wird sich nun ändern.

Konzept und Präsentation der bis 23. Februar 2025 laufenden Ausstellung sind überzeugend. Mit dem Titel hängt Eipeldauer die Latte hoch: "Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur". Tatsächlich sind es viele Aspekte, die gut herausgearbeitet werden und in ihrer Geballtheit frappieren: die Abkehr von repräsentativen Motiven und Materialien, das Einbeziehen eines Mediums wie der Fotografie in die perspektivische Erweiterung der Arbeit am Objekt, das Verlassen des Statischen und eine Hinwendung zum Performativen, das Abschwören des Unikats und Arbeit mit Variation und Serie, die Reduktion der Form bis hin zum nahezu abstrakten Materialklumpen, ja sogar das Unterhalten einer professionellen Medienbeobachtung. Der italienische Autodidakt, der bloß ein Akademie-Jahr in Mailand absolvierte und ab 1889 in Paris lebte, war "eine Schwellenfigur, die mit einem Fuß im 19. Jahrhundert, mit dem anderen aber eindeutig im 20. Jahrhundert" stand, wie es die Kuratorin, seit Frühjahr stellvertretende wissenschaftliche Leiterin des mumok, formulierte. "Er ist ganz schwer einzuordnen."

Die Ausstellung startet im Eingangsgeschoß mit acht Vitrinen, die auf eindrucksvolle Weise Rossos Arbeit mit Fotografien seiner Werke zeigen und auch belegen, wie cool er reagierte, als bei einer Skulptur einer stillenden Mutter der Kopf abbrach: Er arbeitete einfach weiter am Motiv, immer auf der Suche nach weiteren Reduktions- und Konzentrationsmöglichkeiten. Bloß rund 40 Sujets hatte er im motivischen Repertoire seiner Skulpturen, doch die entwickelte er stetig weiter. Die von anderen nur für die Vorarbeiten genutzten Materialien Wachs und Gips galten ihm bei seiner seriellen Arbeit so gleichwertig wie die Bronzeabgüsse.

Andere Fotos dokumentieren im zweiten Obergeschoß den Schock-Effekt, den Rossos Teilnahme am Pariser Salon d'Automne des Jahres 1904 erzielt haben muss: Vor Cezannes "Badenden"-Gemälde steht eine Skulptur, die mehr an eine amorphe Struktur als an ein "Kind in der Armenspeisung" erinnert. Drei Ausführungen dieser Arbeit in unterschiedlichen Farben und Materialien (Wachs über Gips, Gips und bemalter Gips) findet man im mumok drei Räume weiter - bestens beleuchtet und schön präsentiert vor einer Wand von Rosso-Zeichnungen, die in Cafés und auf Straßen entstanden und kaum etwas mit seinen dreidimensionalen Werken zu tun haben. Eine weitere Dimension bezog Rosso im Atelier mit ein: die Zeit. Der "Proto-Installationskünstler" und "Proto-Dadaist" (Eipeldauer) war auch "Proto-Performancekünstler" und veranstaltete ab 1900 Gussperformances, bei denen er auch höchstpersönlich den handwerklichen Teil seiner Arbeit übernahm und sich Hephaistos-gleich am Brennofen inszenierte.

Rossos Modernität soll in der Ausstellung durch zwei weitere Aspekte unterstrichen werden: die elegant schlichte Ausstellungsarchitektur von Florian Pumhösl und Walter Kräutler, die auf weiße Präsentationspodien und dunkle, halbtransparente Gaze-Raumteiler setzt, und die Gegenüberstellung mit Werken von an die 50 anderen Künstlerinnen und Künstlern, die Einflüsse und Resonanzen aufzeigen. So sind nicht nur über 50 Skulpturen sowie eine große Auswahl an Fotografien, Fotocollagen und Zeichnungen von Medardo Rosso zu sehen, sondern auch Arbeiten etwa von Edgar Degas (dessen Skulptur einer 14-jährigen Tänzerin gezeigt wird), Constantin Brâncuși, Louise Bourgeois, Jasper Johns, Maria Lassnig, Andy Warhol, Francis Bacon, Alberto Giacometti und vielen anderen. Manchmal erschließen sich die Bezüge auf den ersten Blick, manchmal wirken sie mehr als Kontrastprogramm, immer aber beziehen sie sich auf Rossos eigenes Konzept, seine Werke mit Vorliebe in "Konversation" mit anderen auszustellen.

Auch seinen Erstauftritt in Wien hatte der bahnbrechende Künstler nicht Solo, sondern im Verein mit anderen: 1903 stellte er im Rahmen der Impressionismus-Ausstellung in der Secession aus. Seine erste und bis dato einzige Wiener Soloschau hatte er 1905 im Kunstsalon Artaria am Kohlmarkt. Die Ausstellung wurde, berichtete Eipeldauer, breit und kontroversiell besprochen, wegen der ungewohnten Präsentation der Objekte in selbst gebauten, mit Eisenleisten und elektrischer Beleuchtung versehenen Glasvitrinen, und natürlich wegen der Exponate selbst, die als "schockierend anders" beschrieben wurden, als "merkwürdige Gebilde, die eine Gebrauchsanweisung erfordern". Wiens führender Kunstkritiker Ludwig Hevesi rühmte dagegen Rosso als "Ausstellungskünstler und Beleuchtungsvirtuosen".

Fast 120 Jahre danach bekommt Medardo Rosso einen würdig inszenierten nächsten Auftritt, der nicht auf Wien beschränkt bleiben wird: Die in enger Zusammenarbeit mit dem Medardo Rosso Estate entstandene Ausstellung wird ab Ende März 2025 im Kunstmuseum Basel gezeigt. Ein umfangreicher Katalog soll im November erscheinen.

(S E R V I C E - "Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur", Ausstellung im mumok, Museumsquartier, Eröffnung heute um 19 Uhr, 18. Oktober 2024 bis 23. Februar 2025, Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen: 10-18 Uhr, www.mumok.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Ausstellung 'Medardo Rosso. Die Erfindung der modernen Skulptur' im mumok zeigt bis zum 23. Februar 2025 die Werke des italienischen Künstlers, der als Erfinder der modernen Skulptur gilt.
  • Kuratorin Heike Eipeldauer hat fünfeinhalb Jahre an der Ausstellung gearbeitet, die Rossos innovativen Einsatz von Fotografie und performativen Elementen beleuchtet.
  • Rossos Arbeiten werden in einer modernen Architektur präsentiert und mit Werken von etwa 50 anderen Künstlern wie Degas und Warhol in Beziehung gesetzt.
  • Die Ausstellung wird nach Wien im Kunstmuseum Basel gezeigt, und ein umfangreicher Katalog erscheint im November.
  • Rossos frühere Ausstellungen in Wien 1903 und 1905 wurden kontrovers diskutiert, was seine bahnbrechenden Ansätze und Präsentationen betraf.