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"Mermaids Don't Cry" ohne "08/15-Meerjungfrau"

"Für mich war klar, dass ich keine 08/15-Meerjungfrau wollte," sagt Franziska Pflaum über die Heldin ihres neuen Films "Mermaids Don't Cry". Im Gespräch mit der APA spricht die 36-jährige Regisseurin darüber, wie sie den Mythos der Meerjungfrau persifliert, warum Chancengleichheit in Österreich "ein Witz" ist, und warum wir alle Arten von Körpern, sowie die Leute im Gemeindebau feiern sollten.

APA: Warum weinen Meerjungfrauen denn nicht, wie der Titel Ihres Films so schön sagt?

Franziska Pflaum: Meerjungfrauen weinen nicht, weil ihre Tränen ja wie der Ozean sind. In unserem Fall ist es aber ein bisschen anders. Es geht um Menschen, die es nicht einfach haben, die sich aber nicht unterkriegen lassen. Sie weinen deshalb nicht, sondern sind für mich Helden des Alltags, die ihren Weg finden, auch wenn er teilweise recht skurril ist.

APA: Ihr erster Spielfilm ist sehr zeitgeistig. Er handelt von einer jungen Frau, die gerne mit Meerjungfrauenflossen schwimmen geht. Zum Kinostart von Disneys Neuverfilmung von "Arielle" hat Netflix auch eine Dokumentation über "Mermaiding" herausgebracht. Haben Sie sich davon ein stückweit inspirieren lassen?

Pflaum: Die Inspiration für diesen Film kam tatsächlich durch die Beobachtung eines Mermaid-Trainings in einem Berliner Schwimmbad. Als ich das sah, habe ich mich sofort daran erinnert, wie meine Schwester und ich als Kinder durchs Wasser geschwommen sind, und uns vorgestellt haben, Meerjungfrauen zu seien. Es war sofort so viel da von einer Fantasiewelt, an die ich lange nicht mehr gedacht hatte, die natürlich auch von "Arielle" beeinflusst war, aber auch von diesem jahrtausendealten Mythos der Meerjungfrau. Aus dieser großen Sehnsucht, die diese Figur hat und aus der Banalität, die auf eine gewisse Weise in diesem Hobby steckt, wollte ich einen Film machen. Er sollte tragisch, sehnsüchtig, aber auch wahnsinnig komisch sein.

APA: Laut Erzählungen ist die Meerjungfrau ein verdammtes Wesen, welches nur durch die Liebe zu einem Mann befreit werden kann. In Ihrem Film nimmt die Heldin ihr Schicksal in die eigene Hand.

Pflaum: Es ging mir darum, eine Umkehrung dieses Mythos zu schaffen. Es ist ja normalerweise so, wie Sie sagen, dass die Meerjungfrau als geschlechtsloses Wesen ein Opfer bringen muss, um dann von einem Mann als "Fraugewordene" befreit zu werden, und zwar durch den Geschlechtsakt. Das passt nicht ganz in das Bild hinein, das ich von einer Frau erzählen möchte. Der Film spielt ganz klar mit Erwartungen, die wir an romantische Komödien haben.

APA: Sie beschäftigen sich in Ihren Filmen sehr stark mit jungen Menschen, die es schwer im Leben haben. In "Mermaids Don't Cry" muss sich die Tochter um den obdachlosen Vater kümmern. Wie geht es der Jugend denn heutzutage?

Pflaum: "Im Universum geht keiner verloren" habe ich mit einem Caritas-Jugendhaus in Deutschland gedreht. Das waren 20 Jugendliche aus teilweise extrem schwierigen familiären Verhältnissen. Dieser Dreh war wirklich verrückt! Aber ich liebe dieses Projekt einfach. Man sieht ein Land, das so reich ist wie Deutschland und ein Land, das so reich ist wie Österreich, und teilweise wachsen die Jugendlichen armutsgefährdet unter extrem schlechten Bedingungen auf. Das Wort "Chancengleichheit" ist da wirklich nur noch ein Witz. Es gibt keine Chancengleichheit. Wir reden von einer Demokratie, die davon ausgeht, dass es jeder schaffen kann, dass wir alle die gleichen Chancen haben, und letztendlich nähern wir uns immer mehr einem amerikanischen System an, wo das nur noch ein Slogan ist, um eine Politik zu rechtfertigen, aber es keine Realität beschreibt. Jeder Filmemacher hat sein eigenes Thema, und für mich ist es diese Armut, die unsere Gesellschaft kaputt machen kann, wenn wir es zulassen. An der Jugend sieht man es am stärksten, weil sie dem ausgeliefert ist. Ich glaube, dass wir einen Weg finden müssen, wieder solidarisch miteinander umzugehen.

APA: Wo wurden denn die Szenen im Gemeindebau gedreht?

Pflaum: Das haben wir in der Rennbahnsiedlung gedreht - zumindest die Außenaufnahmen. Das Schöne ist, dass wir den Film auch dort am 4. Juli präsentieren werden. Es wird ein großes Open Air Screening im Volxkino geben. Das freut mich so sehr, denn als ich dort eine Wohnung gesucht habe, haben die Menschen zu mir gesagt, "ihr dreht schon wieder einen österreichischen Film hier, wo gezeigt wird, wie schrecklich es im Gemeindebau ist!" Jetzt zurückzugehen und ihnen zu zeigen, dass die Leute hier gefeiert werden, das ist wirklich schön. Solche Momente liebe ich.

APA: Sie waren Schülerin von Barbara Albert. Ihr Film spielt in einem ähnlichen Milieu wie "Nordrand". Hat die österreichische Filmemacherin Sie beeinflusst?

Pflaum: Auf jeden Fall. Ich habe im Alter von 16 Jahren "Nordrand" gesehen und dachte mir: Wow, das hat eine österreichische Regisseurin gemacht? Vielleicht könnte ich auch Regisseurin werden. Das hat mich so berührt. Ich habe mich lange gar nicht getraut, ihr diese Story zu erzählen, weil ich mir gedacht habe, das kommt einfach so schleimermäßig rüber.

APA: Wie kann man sich den Castingprozess für Ihre "Meerjungfrau" vorstellen?

Pflaum: Ich kannte Stefanie Reinsperger von ihrer Theaterarbeit und fand sie großartig. Die Power, die sie mitbringt, beeindruckt mich einfach. Für mich war es vollkommen klar, dass ich nicht eine 0815-Meerjungfrau besetzen möchte. Es gibt so viele schöne Körper auf dieser Welt, und wir bilden immer einen sehr ähnlichen ab. Gerade bei diesem Bild der Meerjungfrau ist das für mich auch eine Möglichkeit, einen anderen weiblichen Körper zu zeigen. Stefanie Reinsperger war sich glaube ich am Anfang nicht ganz sicher, ob sie in einem Meerjungfrauenoutfit mit einem Bikini in einem Kinofilm vorkommen will. Sie hat ja auch sehr schlechte Erfahrungen damit gemacht, als Buhlschaft aufzutreten. Sie wurde beschimpft und bedroht.

APA: Im Sinne von Body Shaming?

Pflaum: Genau, dass sie zu dick für diese Rolle sei, was ja wirklich skurril ist. Warum sollte Stefanie Reinsperger nicht die Buhlschaft spielen können? Wie kommt man eigentlich auf diese Idee? Wir haben uns dann getroffen, und für Stefanie war es wichtig, dass sie mir vertrauen kann. Sie hat mir auch gesagt, dass es für sie als Jugendliche schön gewesen wäre, eine Meerjungfrau auf der Leinwand zu sehen, die nicht diese totalen Standardmaße hat, und es hätte ihr so viel Mut gemacht. Als der Film dann auf Festivals gespielt wurde, habe ich gemerkt, was sie mit ihrer Sorge gemeint hatte. Ich wurde jedes Mal gefragt: "Warum ist das eine dicke Meerjungfrau?" Und man fragt sich eigentlich, warum überhaupt diese Frage? Warum wird es nicht einfach nur gefeiert?

(Das Gespräch führte Marietta Steinhart/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • "Für mich war klar, dass ich keine 08/15-Meerjungfrau wollte," sagt Franziska Pflaum über die Heldin ihres neuen Films "Mermaids Don't Cry".