Mehr als Tahiti: Gauguin-Retrospektive im Kunstforum Wien
"Als erstes denkt man bei seinem Namen sicher an die Tahiti-Bilder, aber für seine künstlerische Entwicklung waren andere Dinge wichtiger. Als er nach Tahiti aufbricht, ist seine künstlerische Entwicklung abgeschlossen", sagt Benesch beim Rundgang mit der APA. Dazu kommt, dass sich rund 30 große Werke von seinem Aufenthalt im Südpazifik in russischen Sammlungen befinden, mit denen der Leihverkehr seit dem Ukraine-Krieg zum Erliegen gekommen ist.
Die Kunstforum-Schau zu Paul Gauguin (1848-1903) kann dennoch mit einigen Bildern jener Zeit aufwarten, die aus mehreren Gründen in den vergangenen Jahren kritischer betrachtet wurde. "Heute müssen wir der Figur Gauguin vor dem Hintergrund unseres Verständnisses von Exotik, Kolonialismus, Missbrauch Minderjähriger und kultureller Aneignung begegnen", formuliert man das im Pressetext. "Seiner Zeit entsprechend hatte Gauguin zwangsläufig eine eurozentrische und paternalistische Sicht auf andere Kulturen; er idealisierte und stereotypisierte diese."
Die Tatsache, dass der Maler in Tahiti mit 13-, 14-jährigen Mädchen als Partnerinnen zusammenlebte, sei damals legal und üblich gewesen, erklärt Benesch. Man schneide das Thema an, wolle sich aber kein moralisches Urteil erlauben, sondern sich auf kunsthistorische Fragen konzentrieren. Deswegen ist - abgesehen vom Auftakt im Foyer, der bereits eine unerwartete Vielfalt an Motiven und Techniken bieten soll - die Ausstellung auch chronologisch gehängt und startet in einer Zeit, als Paul Gauguin noch als Börsenmakler gut verdiente und sich auch den Aufbau einer beachtlichen Kunstsammlung leisten konnte.
Die Kontakte zu den Impressionisten blieben, das Geld und die Sammlung ging nach einem Börsencrash perdu. "Danach hatte er sein Leben lang Geldsorgen", sagt die Kuratorin. Mit seiner dänischen Frau geht er nach Kopenhagen, wo einige Landschaftsbilder entstehen und er sich auch motivische Anregungen für Skulpturen und Gefäße holt, doch im Norden wird er nicht glücklich. Er kehrt nach Frankreich zurück und verbringt in der Bretagne seine kreativsten Jahre. Benesch: "Die Bretagne war damals ein Remote-Place wie bei uns heute das Waldviertel: pittoresk, archaisch und billig."
Auseinandersetzungen mit den Meistern des Impressionismus sind wichtig für Gauguin, der sich selbst vom Spätimpressionisten zum Symbolisten und Synthetisten entwickelt und in großen Zyklen wie der (für die Ausstellung aus der Albertina entlehnten) Suite Volpini seine bisherigen Eindrücke verarbeitet. Überhaupt zählen die Serien bzw. Mappen wie auch die Suite Vollard oder die Suite Noa Noa, in denen seine Tahiti-Eindrücke stilistisch und technisch variantenreich einfließen, zu jenen Exponaten, die den "unexpected"-Anspruch einlösen. Gegen Ende begegnet man auch dem Autor Paul Gauguin und kann durch Faksimiles oder Computer-Scans seiner Schriften blättern.
Dem Menschen Gauguin kommt man in der Ausstellung tatsächlich nicht sehr nahe. Sein Glück scheint er nicht gefunden zu haben. Weder in Paris, wo er vergeblich versuchte, Verständnis, Publikum und Käufer für seine ab 1891 bei einem ersten Tahiti-Aufenthalt entstandenen Bilder zu bekommen und daraufhin enttäuscht seiner Heimat endgültig den Rücken kehrte, noch in Französisch-Polynesien, wo das erhoffte freie, urtümliche Leben rasch vom Kolonialismus geprägt wurde. Nach wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krisen stirbt er 1903 auf der Insel Hiva Ova. Seine erste umfassende Ausstellung findet erst drei Jahre nach seinem Tod im Grand Palais in Paris statt.
(S E R V I C E - "Gauguin - unexpected", Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien, Wien 1, Freyung 8, 3. Oktober 2024 bis 19. Jänner 2025, täglich 10 - 19 Uhr, freitags 10 - 21 Uhr, Katalog, erschienen im Kehrer Verlag Heidelberg: 192 Seiten, 39 Euro, ISBN 978-3-96900-165-3)
Zusammenfassung
- Die neue Retrospektive 'Gauguin - unexpected' im Bank Austria Kunstforum Wien zeigt über 80 Werke des französischen Malers Paul Gauguin und beleuchtet weniger bekannte Aspekte seines Schaffens.
- Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit Gauguins Zeit als Börsenmakler, bevor er sich der Kunst widmete und seine kreativsten Jahre in der Bretagne verbrachte.
- Gauguins Leben und Werk werden vor dem Hintergrund von Exotik, Kolonialismus, Missbrauch Minderjähriger und kultureller Aneignung betrachtet, wobei wichtige Werke aus seiner Zeit in Tahiti fehlen.