Mavie Hörbiger: "Radikalität kann keine Lösung sein."
"Mit seiner Inszenierung will Kušej einen Spiegel schaffen für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir hier und heute leben", wirbt das Burgtheater. "Ob uns das gelingt, wird die Premiere zeigen. Aber es stimmt, er versucht das auf Wien umzudeuten." Kaum zu glauben, aber die 1979 geborene Münchnerin, die seit 2011 im Burgtheater-Ensemble ist, arbeitet das erste Mal mit Kušej. "Ich weiß auch nicht, woran das liegt", lacht sie im Gespräch mit der APA. "Ich weiß nur, dass es vor 14 Jahren schon einmal fast so weit war - und dann wurde ich schwanger." Von der Probenarbeit mit dem Burgtheaterdirektor ist sie überaus angetan. "Er hat ein gutes Gespür für Leute und ist irrsinnig gut mit Sprache. Das ist ja sehr selten mittlerweile. Er hat Grillparzer inszeniert, Goethe, Schiller - das merkt man!"
Die gereimte Sprache ist für Hörbiger einer der Hauptgründe, warum sie so großen Spaß an den Proben zu der 1666 uraufgeführten Molière-Komödie hat. Außerdem sei Célimène "eine erstaunlich moderne Frauenfigur". Zugleich genieße sie es, Itay Tiran, mit dem sie auch schon als Regisseur gearbeitet hat, als Partner zu haben. "Wir versuchen auf jeden Fall, auch die gescheiterte Liebe zwischen Célimène und Alceste zu zeigen. Dabei kommt uns auch zugute, dass ich deutlich älter besetzt bin als üblich, wir also fast gleich alt sind."
Auch dass Célimène, die zwar ebenfalls das gesellschaftliche Spiel durchschaut, im Gegensatz zu ihrem Partner Alceste, aus dessen Radikalität nichts Gutes entsteht, aber lieber mitspielt als sich zu verweigern und alles infrage zu stellen, kann Mavie Hörbiger gut nachvollziehen. "Radikalität kann keine Lösung sein. Wir sehen das ja auch heute: Jeder hat seine Meinung - zu den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, zu politischen Fragen, zur Klimakrise. Die Gräben werden immer tiefer. Das ist brandgefährlich und die Sozialen Medien wirken dabei als Brandbeschleuniger. Wir sollten unser Denken entradikalisieren und aufeinander zugehen." Mit immer radikaleren Aktionen zu versuchen, die Öffentlichkeit aufzurütteln, findet nicht ihre Zustimmung. Besteht für die Zukunft also noch Hoffnung? "We're all gonna fucking die", sagt sie. Und lacht ihr typisches kehliges Lachen.
Das passte auch gut zu ihrem 2020 und 2021 gespielten Teufel im Salzburger "Jedermann", in dem sie zuvor erbarmungswürdig die Werke als schwindsüchtiges, aus einem Spitalbett auftretendes Wesen gegeben hatte. 2018 war sie daher live dabei, als Philipp Hochmair über Nacht für den erkrankten Tobias Moretti die Titelrolle übernahm. "Er kann auch den Text der anderen und hätte wohl schon damals gerne auch alle anderen Rollen gespielt. Vielleicht darf er das ja im kommenden Jahr", schmunzelt die Schauspielerin, die "hoffentlich noch einmal erleben darf, dass diese Rolle von einer Frau gespielt wird. Das wäre zeitgemäß. Die klassischen Geschlechterrollen sind überholt. Alles, was am Theater ein Mann über das Leben erzählen kann, kann auch eine Frau vermitteln." Sie selbst wird demnächst den Beweis dafür antreten. Unter der Regie von Thorleifur Örn Arnarsson verkörpert sie ab 15. März Peer Gynt.
Mavie Hörbiger bleibt auch künftig dem Haus erhalten, das sich für sie "sehr nach Heimat anfühlt": "Wenn man mich hier rausreißen würde, wäre das schon schmerzhaft." Stefan Bachmann, mit dem sie in Wien "zwei sehr schöne Arbeiten" gemacht hat ("Lorenzaccio" und "Jedermann (stirbt)"), wird ihr vierter Burgtheaterdirektor. Hörbiger freut sich auf die neue Spielzeit, hofft aber auch auf Stabilität in unruhigen Zeiten: "Ich würde dem Burgtheater wünschen, dass etwas Ruhe einkehrt."
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - "Der Menschenfeind" von Molière. Regie: Martin Kušej, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Heide Kastler, Musik: Bert Wrede, Mit: Christoph Griesser, Alexandra Henkel, Mavie Hörbiger, Hans Dieter Knebel, Christoph Luser, Markus Meyer, Itay Tiran, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Lili Winderlich. Burgtheater. Premiere: 18. November, 19.30 Uhr, Nächste Aufführungen: 21., 27. November, www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Eine Gesellschaft, deren Grundlagen längst ausgehöhlt sind, die nur noch funktioniert, weil man einander ständig etwas vorspielt: Für Mavie Hörbiger ist Molières "Der Menschenfeind" "vielleicht das Stück der Stunde".
- Sie spielt die lebenslustige Célimène, die ihrem Geliebten Alceste nicht dabei folgen möchte, der verlogenen Welt den Rücken zu kehren.
- "Ich weiß auch nicht, woran das liegt", lacht sie im Gespräch mit der APA.