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Markus Hinterhäuser vor den "unfassbar kostbaren Tagen"

"Unfassbar kostbare Tage" beginnen für Markus Hinterhäuser am Donnerstag mit der Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele. Eröffnet werden sie eine Woche später, mit der Premiere von Mozarts "Figaro". Warum man vor dessen "Schönheit nur kapitulieren kann", wie Shakespeare uns in diesem Sommer an der Hand nimmt und weshalb man die FPÖ-Regierungsbeteiligung in Salzburg als europäisches Phänomen behandeln sollte, darüber sprach der Festspielintendant im APA-Interview.

APA: Heuer bringen die Festspiele mit "Le Nozze di Figaro" auch die letzte der drei Opern von Mozart und Da Ponte neu heraus. Wird es die drei Produktionen auch in einem gemeinsamen Sommer zu sehen geben?

Markus Hinterhäuser: Das ist eine berechtigte Frage, und ich stelle sie mir auch. Beantworten kann ich sie aus vielen Gründen, die keinesfalls künstlerische sind, allerdings noch nicht. Es wäre tatsächlich reizvoll, diese Trias - es ist ja kein Zyklus, es sind drei Opern des gleichen Komponisten und Librettisten - beispielsweise 2026 als Einheit zu zeigen.

APA: Was würde man in diesem gemeinsamen Licht sehen?

Hinterhäuser: Man würde drei sehr unterschiedliche, drei ganz und gar außerordentliche Inszenierungen sehen, Forschungsreisen zum Kontinent Mozart-Da Ponte. Diese herrliche "Cosí" von Christoph Loy, die uns auf ganz unmittelbare Art ihren minimalistischen Zauber mitgeteilt hat, und Romeo Castelluccis Erarbeitung des "Don Giovanni", seine Reflexion über den Mythos Don Giovanni, für mich ein ganz großes Kunstwerk. Ich werde es bestimmt wiederaufnehmen. Martin Kušejs Inszenierung des Figaro ist im Entstehen, da kann und möchte ich noch nichts verraten.

APA: Der "Figaro" ist die Eröffnungsoper der heurigen Festspiele, ist sie der Schluss-, aber auch der Höhepunkt der Trias?

Hinterhäuser: Mozarts "Figaro" ist ein Werk, vor dessen unfassbarer Schönheit man nur kapitulieren kann. Das ist das eine. Bedenkt man aber, dass die Aufführung der Komödie "Le mariage de Figaro" von Beaumarchais in der Mozart-Zeit per kaiserlichem Dekret verboten war, kann man sehr schnell ermessen, auf welches politische Minenfeld Mozart sich da begeben hat. Er schafft in seinem "Figaro" das luzideste Theater der Aufklärung. Mit vergleichsloser Anmut und Leichtigkeit jagt er eine ganze Welt in die Luft, die Welt der Hierarchien, der Herrschaftsallüren und der Standesdünkel. Wie man mit diesen Fragen im Hier und Jetzt überhaupt umgehen kann, wie wir die mögliche Essenz des Figaro ins Heute wieder-holen können, nicht im Sinne von Repetition, viel eher im Sinne von Beleben, wie wir nicht das Zeitgeistige, aber das Gegenwärtige in Mozarts "Figaro" finden können: all das sind Fragen, über die ich nachdenke, und über die Martin Kušej nachdenkt.

APA: Über dem Festspielsommer 2023 steht wie immer eine Art Motto, diesmal ein Zitat aus "Hamlet": "Die Welt ist aus den Fugen".

Hinterhäuser: Es ist weniger ein Motto als ein Anker, den ich selber brauche, um dieser gewaltigen Reihe von Veranstaltungen eine Art Navigationssystem zu geben. Shakespeare nimmt uns als das große Genie des Welttheaters an der Hand. Die beiden Verdi-Opern "Macbeth" und "Falstaff", eine frühe und seine letzte, basieren ja beide auf Shakespeare. In "Macbeth", diesem kosmologischen Vakuum, wird der Tag zur Nacht. Hier geht es um die blutige, um die grausame Gier nach Macht, das Irrewerden an der Macht. "Falstaff" nehmen wir als vollkommenen Antagonismus zu der Dunkelheit des "Macbeth" wahr. Er bejaht das Leben und feiert es, fast als hätte er ein Mehr an Leben als jeder andere. Der Witz ist sein Gott, und jeden noch so dunklen Affekt löst er in Heiterkeit auf, das ist Falstaffs Überlebensstrategie. "Die ganze Welt ist Spaß", sagt er, und Verdi gießt diesen Satz in das strengste musikalische Konstrukt, die Fuge...

APA: 2024 tritt mit Marina Davydova eine neue Schauspieldirektorin an. Könnte das bedeuten, dass es heuer das letzte Jahr für den "Jedermann" von Michael Sturminger ist?

Hinterhäuser: Nein, darüber reden wir gar nicht. Ich schätze Marina Davydova sehr und habe bei den Festwochen eng und gut mit ihr zusammengearbeitet. Eine der Fragen, der wir im Moment nachgehen, ist die künftige Ausrichtung des Schauspiels bei den Salzburger Festspielen. Unser Publikum kommt aus 70 Ländern, und 66 davon werden vom Schauspielprogramm ausgeschlossen, weil es ausschließlich deutschsprachig ist. Wir machen uns jetzt gemeinsam Gedanken, wie eine behutsame Internationalisierung des Schauspiels aussehen könnte, wie andere Theaterformen, dazu gehört auch der Tanz, hier einen Ort finden können.

APA: Ihr eigener Vertrag läuft bis 2026. Im Operngeschäft sind drei Jahre Vorlaufzeit notwendig - wie steht es um Ihre Verlängerung? Interessiert Sie der Job noch?

Hinterhäuser: Jeder, der die künstlerische Leitung der Festspiele übernimmt, braucht eine großzügige Vorlaufzeit. Es wird im Herbst, also nach den Festspielen, darüber geredet werden müssen. Für mich selbst muss ich eine Art Kompass finden - erst einmal habe ich die nicht ganz unanstrengenden Aufgaben der kommenden Wochen zu bewältigen, und dann werde ich wohl noch ein wenig Zeit zum Nachdenken brauchen. Ich empfinde es als das größte Privileg meines Lebens, Intendant der Salzburger Festspiele zu sein, aber ich habe es nie im Sinne einer Karriere oder einer Lebensplanung angestrebt.

APA: Die Coronapandemie war in der Kulturlandschaft ein tiefer Einschnitt. Was ist von ihr geblieben?

Hinterhäuser: Manche Institutionen haben dadurch nachhaltige Schwierigkeiten bekommen. Bei uns ist eher das Gegenteil der Fall. Wir waren 2020 die Einzigen, die ein Festspiel möglich gemacht haben. Ich werde diesen Moment niemals vergessen, als alle zur Premiere der "Elektra" in die Felsenreitschule gekommen sind. Da saßen die Wiener Philharmoniker, riesig besetzt, und mit einem Schlag sondergleichen begannen sie, unsere "Corona-Festspiele". Für das, was damals alle, wirklich alle empfanden, reicht der Begriff des "Gänsehautmoments" bei weitem nicht aus. Wir haben in diesem August 2020 viele neue Besucher, aber auch neue Freunde gewonnen. Es waren viele Länder ausgeschlossen, also sind andere Leute gekommen. Von der Empathie, die uns in diesem besonderen Jahr entgegengebracht wurde, profitieren wir auch jetzt noch. Weil wir klargemacht haben, dass es um etwas geht. Wenn ich jetzt in den Rückspiegel schaue, dann waren das die schönsten Festspiele, die ich je erlebt habe - und ich bin schon ziemlich lange dabei.

APA: Die schwarz-blaue Regierungsbildung im Land Salzburg hat für Protest auch unter Künstlerinnen und Künstlern gesorgt, Sie selbst haben in einem viel kommentierten "Standard"-Interview die Sinnhaftigkeit von Aktionismus infrage gestellt, und nun gibt es Aufrufe, bei der Rede des Landeshauptmannes während der Festspieleröffnung den Raum zu verlassen. Glauben Sie, dass es dazu kommt?

Hinterhäuser: Wenn jemand den Saal verlassen will, kann er das ja tun, niemand wird an seinen Sessel festgebunden. Mir ist die FPÖ tatsächlich in allem unsympathisch und fremd. In Österreich haben wir seit 23 Jahren eine kontinuierliche, in den letzten Jahren auch heftigere Diskussion über die FPÖ und den Umgang mit ihr, und das aus guten Gründen. Das Aushebeln einer politischen Statik, die Radikalisierung nach rechts, ist ja nicht nur ein auf Österreich bezogenes Phänomen, es betrifft mittlerweile ganz Europa. Um dem entgegenzutreten, brauchen wir einen aufrichtigen, klugen und vor allem harten politischen Diskurs.

APA: Auf kulturpolitischer Ebene erleben wir zum Teil einen Konsolidierungskurs. Die Festspiele erhalten etwa ein Viertel ihres Budgets durch öffentliche Gelder. Macht Ihnen die Entwicklung Sorgen?

Hinterhäuser. Über den von Ihnen so bezeichneten Konsolidierungskurs mache ich mir nicht nur Sorgen, ich mache mir große Sorgen. Gar nicht so sehr wegen der Salzburger Festspiele oder anderer "großer Tanker", die schaffen das schon irgendwie. Bei den kleineren und mittleren Kulturinitiativen könnte das allerdings ganz anders aussehen. Aber genau die sind es, die eine kulturelle Landschaft abbilden, die wir ganz dringend brauchen, die vollkommen unverzichtbar ist. Es sollte schon jedem klar sein: Was wir einmal verlieren, werden wir nicht wiederbekommen.

APA: Intendanten geben nicht gerne Veranstaltungstipps. Aber vielleicht gibt es eine Empfehlung für ein Publikum, das sich gerne überraschen lässt?

Hinterhäuser: Sehr, sehr überraschend wird der "Falstaff" sein, den Christoph Marthaler inszeniert. Und ein überraschendes, vor allem aber dichtes und konzentriertes Eintauchen in eine ganz eigene Welt bietet die Ouverture spirituelle. Das sind unfassbar kostbare Tage, Abende und Nächte: In dieser ersten Woche, bevor die Festspiele eröffnet werden und sich dann alles verändert, haben wir ein ganz besonders zugetanes Publikum, da erleben wir eine Ernsthaftigkeit und Innigkeit, die mich selbst immer wieder überrascht.

APA: Und ein Tipp für solche, die das Kontroverse suchen?

Hinterhäuser: In den Künsten darf und soll man kontroverse Auseinandersetzungen suchen, auch heftige. Ich bin vieles, aber sicher nicht der Sozialpartner der Kultur. Ich weiß ganz genau, was in diesem Sommer kontrovers aufgenommen werden wird, aber ich sag's nicht.

(Das Gespräch führte Maria Scholl/APA)

(S E R V I C E - www.salzburgerfestspiele.at)

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  • "Unfassbar kostbare Tage" beginnen für Markus Hinterhäuser am Donnerstag mit der Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele. Eröffnet werden sie eine Woche später, mit der Premiere von Mozarts "Figaro". Warum man vor dessen "Schönheit nur kapitulieren kann", wie Shakespeare uns in diesem Sommer an der Hand nimmt und weshalb man die FPÖ-Regierungsbeteiligung in Salzburg als europäisches Phänomen behandeln sollte, darüber sprach der Festspielintendant im APA-Interview.