Maria Happel zu Vorwürfen: "Vielleicht auch eine Chance"
Maria Happel, die dem Reinhardt-Seminar seit 2020 vorsteht und darüber hinaus die Festspiele Reichenau leitet und Burgtheater-Ensemblemitglied ist, unterstreicht, dass der Schritt der Studierenden für sie völlig unerwartet gekommen sei, bedauert, dass Ihr der sonst stets eingeforderte Schutzraum nicht gegeben werde und sie zugleich die Krise als Chance sehe, gemeinsam etwas zu bewegen.
APA: Wie haben Sie als Erstimpuls auf die Veröffentlichung des Offenen Briefes reagiert, der doch immerhin von zwei Drittel Ihrer Studierenden unterzeichnet wurde?
Maria Happel: Ich weiß, dass von dieser "großen Mehrheit" nicht alle befragt wurden. Da wurden im Vorfeld manche von der Kommunikation ausgeschlossen. Aber natürlich muss man so etwas ernstnehmen und hinterfragen, was passiert ist. Aber das Ganze kam für mich absolut unerwartet.
APA: Das bedeutet, Sie wurden im Vorfeld nicht von den Studierenden kontaktiert?
Happel: Nein. Ich habe im ersten Moment sogar gedacht, dass da jemand betrunken gewesen ist, wurde der Brief doch um 1.28 Uhr abgeschickt.
APA: Erkennen Sie sich in der im Brief beschriebenen Person wieder?
Happel: Wenn ich mir die Vorwürfe anschaue, die hier erhoben werden, hätte ich mich auch solidarisch mit den Studierenden erklärt. Und dann sickert es, dass es da um meine eigene Person geht. Man wird über Nacht zu einem Täter gemacht. Aber das bin doch nicht ich! Das kriege ich nicht zusammen. Ich finde toll, dass wir Persönlichkeiten ans Haus geholt haben, die sich auf die Hinterbeine stellen und was bewegen wollen. Aber das will ich auch! Ich bin jetzt halt dummerweise die andere Generation - und dieser Konflikt steht ja auch dahinter. Ich finde das also richtig. Ich finde nur nicht richtig, dass man gleich an die Presse geht, bevor auch nur irgendein Gespräch stattgefunden hat - und damit die Prominenz nützt, die man ja eigentlich nicht haben will.
APA: Heute wird es ein erstes Gespräch zwischen mdw-Rektorin Ulrike Sych und den Studierenden geben. Wurde mittlerweile mit Ihnen gesprochen?
Happel: Die Universität will danach wohl das Gespräch mit mir suchen. Und ich würde dann gerne auf die Studierenden zugehen.
APA: Schauen wir uns die konkreten Vorhaltungen an. Ein zentraler Punkt ist, dass Sie nicht adäquat auf MeToo-Vorwürfe am Seminar im Vorjahr reagiert hätten. Sehen Sie da eine Substanz in der Kritik?
Happel: Nein. Wir haben die Causa diskret und vorbildlich gelöst. Ich habe mit den Betroffenen im Beisein der Gleichbehandlungsstelle getrennt voneinander Gespräche geführt. Es wurde niemand angeprangert, und die beiden Parteien, um die es ging, sind mit einem für sie zufriedenstellenden Ergebnis nach Hause gegangen.
APA: Strukturell haben Sie am Seminar nichts im Hinblick darauf geändert?
Happel: Wir haben die nötigen Schritte in die Wege geleitet. So haben wir etwa mit der Gleichbehandlungsstelle Workshops gemacht, und eine unserer Lehrenden ist in den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen gegangen, damit wir hier kürzere Wege haben. Und ich habe im vergangenen Jahr MentorInnen eingeführt, an die man sich als Vertrauenspersonen wenden kann. Aber natürlich steht auch meine Tür jederzeit offen.
APA: Trifft es zu, dass Rollenunterricht abseits des Reinhardt-Seminars in "ungeschützten Räumen" stattfindet?
Happel: Wenn die Studierenden mit mir auf der Bühne stehen: Ist das ein ungeschützter oder ein geschützter Raum? Das müsste man klären. Ansonsten hat das aber nicht stattgefunden.
APA: Sie wissen also nicht, worauf sich dieser Vorwurf konkret bezieht?
Happel: Das weiß ich leider nicht.
APA: Abseits der Strukturen kritisiert der Brief dezidiert, dass Sie kaum am Haus präsent seien. Ist dieser Punkt für Sie nachvollziehbar?
Happel: Ich war immer viel beschäftigt - das war bekannt. Deshalb hat man mir Annett Matzke zur Seite gestellt, die ausschließlich in der Schule ist und sich dort in enger Absprache mit mir um die Abläufe kümmert. Wichtig ist, dass immer jemand von der Leitung vor Ort ist, und das ist gegeben. Dass ich trotz Homeoffice in Präsenz nicht so oft da sein kann, wie ich möchte, ist Fakt. Das hat mich aber auch zur Entscheidung gebracht, dass das Burgtheater vom Tellerrand gefallen ist. Ich habe im Februar dem Burgtheater mitgeteilt, dass ich in der neuen Saison nicht mehr für Premieren zur Verfügung stehen werde. Ich habe mich also freigeschaufelt für das Reinhardt-Seminar.
APA: Diese Entscheidung haben vor der jetzigen Debatte getroffen?
Happel: Absolut!
APA: Wie viele Stunden sind Sie im Schnitt im Reinhardt-Seminar vor Ort?
Happel: Laut Vertrag muss ich 14 Stunden vor Ort sein, es ist aber mehr. Allein eine Senatssitzung dauert vier Stunden. Vielleicht ist es dann aber nicht so sichtbar in der Schule.
APA: Was von den Studierenden ebenfalls kritisiert wird ist ein rauer Umgangston. So sollen Sie etwa eine Hochschwangere angeschrien haben...
Happel: Ich lege großen Wert auf einen guten Umgangston! Ich bin beim betreffenden Vorfall laut geworden - wohl das einzige Mal in der ganzen Zeit. Ich kam damals ans Seminar, als mit einem Workshop das ganze Haus bespielt wurde. Dabei hat ein Tontechniker gefilmt, der auf Honorarbasis arbeitet. Da müsste ich gefragt werden, was aber nicht der Fall war, was mich sehr aufgeregt hat. Die zuständige Professorin war an dem Tag nicht da, sondern ihre schwangere, wenn auch nicht "hochschwangere" Assistentin. Ich habe Sie dann in mein Büro gebeten. Ich habe auch in der Sekunde klar gemacht, dass das jetzt raus muss, auch wenn ich weiß, dass sie nicht direkt verantwortlich ist. Wir hatten im Nachhinein aber auch einen freundschaftlichen Mailverkehr.
APA: Und stimmt es, dass Ihre Stellvertreterin Frau Matzke Studierende zum Weinen bringt?
Happel: Wären wir eine Firma, was würden wir produzieren? Gefühle. Das ist gleichsam unsere Ware, mit der wir handeln. Ich glaube, dass man einen Teil der Menschen in Ausbildungsstätten wie der unseren nicht immer gut behandeln kann. Wir arbeiten mit Grenzen, die auch überschritten werden. Ich rechtfertige damit aber keinen bösen Umgangston! Das respektiere ich nicht! Aber es kann sicher vorkommen, dass sich jemand ungerecht behandelt fühlt.
APA: Im Brief der Studis ist die Rede von einem Vertrauen, das "unwiederbringlich zerrüttet" sei. Ist für Sie ein Rücktritt denkbar?
Happel: Das war ein erster Impuls. Aber ich hatte dann ja doch Zeit nachzudenken. Vielleicht ist das Ganze auch eine Chance. Ich will ja auch, dass sich etwas bewegt. Dass ich das nicht alleine kann, ist klar. Dass es die Studierenden nicht alleine können, ist auch klar. Ich würde mir einen Zeitrahmen wünschen, in dem wir mit Hilfe einer ausgebildeten Person von außen versuchen, die Strukturen und das, was im Argen liegt, in Bewegung zu bringen.
APA: Das Team Annett Matzke und Sie steht?
Happel: Ja.
APA: Sehen Sie die Debatte auch als Ausdruck eines Generationenkonflikts?
Happel: Es ist ein Generationenkonflikt. Und es ist ein schwieriges Miteinander. Aber Frauen müssen sich nicht mehr von Regisseuren oder Regisseurinnen quälen lassen - das ist vorbei. Und dazu habe ich meinen Teil beigetragen. Ich möchte die Entwicklung des Theaters aber auch nicht verpassen. Die Studierenden sollen mich mitnehmen anstatt mich rauszuschubsen.
APA: Wie erklären Sie sich die Vehemenz der Tonalität vonseiten der Studierenden?
Happel: Ich möchte nicht, dass man immer noch sagt, dass Frauen nicht drei Jobs haben dürfen! Wo ist mein Schutzraum? Gilt der nur für Menschen, die ab dem Jahr 2000 geboren sind? Ich möchte auch einen haben, und der wurde nicht gewährleistet. Aber ich bin bereit, offen und kann mir nur wünschen, dass wir diese Situation gemeinsam bewältigen.
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
Zusammenfassung
- Am vergangenen Freitag sorgte ein vom "Standard" publik gemachter, offener Brief für Aufsehen, in dem angeblich von zwei Drittel der Studierenden des Max-Reinhardt-Seminars der Rücktritt von Institutsleiterin Maria Happel und ihrer Stellvertreterin Annett Matzke gefordert wurde. Am Mittwoch nahm Happel nun gegenüber der APA erstmals Stellung zu den Vorwürfen, die von mangelnder Präsenz am Institut, ungenügender Reaktion auf MeToo-Vorfälle bis hin zu rüdem Umgangston reichen.