"Lebende Film-Legende" Carlos Saura feiert 90. Geburtstag
Projekte - davon hat Saura so viele, dass er locker 100 oder auch 120 Jahre alt werden könnte, ohne dass es ihm an Arbeit mangeln würde. Obwohl er das Wort "Arbeit" für einen Filmschaffenden nicht gelten lässt. "Arbeit ist, wenn man Ziegelsteine aufeinanderlegen oder im Bergwerk graben muss", betonte er in San Sebastián.
Seit den Anfängen im Jahr 1955 drehte Saura mehr als 50 Spielfilme und unzählige Kurzstreifen. In Deutschland war neben "Züchte Raben ..." (1975) vor allem "Carmen" (1983) ein Hit. Zum Ballet-Film über eine Aufführung von Georges Bizets berühmter gleichnamiger Oper, der damals ganz Europa in Flamenco-Fieber versetzte, meinte Saura vor wenigen Jahren: "Verrückt, wie gut Carmen damals in Deutschland ankam. Und der Film wird im Fernsehen immer noch gezeigt, während er hier in Spanien schon total in Vergessenheit geraten ist."
Musik- und Tanzfilme sind die großen Leidenschaften des in Huesca unweit der Pyrenäen im Nordosten Spaniens geborenen Sohns eines Ministeriums-Juristen. Er würdigte neben dem Flamenco, dem er mehrere Filme widmete, auch den Jota-Tanz seiner Heimat Aragonien, den argentinischen Tango, den Fado aus Portugal usw. Warum so viele Musikfilme? Die Antwort ist einfach: "Meine Mutter war Konzertpianistin, ich bin ein frustrierter Musiker, habe aber großes Musikverständnis. Und es gibt ja auch die Nachfrage."
Saura stellt immer wieder fest, dass er im Ausland "viel bekannter und beliebter" sei als in seiner Heimat. Er wird das mangelnde Interesse des großen Publikums in Spanien verkraften, denn die Auszeichnungen fliegen ihm (auch in der Heimat) nur so zu. Zwei Mal bekam er in Berlin den Silbernen Bären (1966 und 1968), 1981 auch den Goldenen für "Los, Tempo!". Er gewann mehrere Male den Goya, die höchste spanische Filmauszeichnung, in Cannes erhielt er unter anderem den Großen Preis der Jury 1976 für "Züchte Raben ...", 1985 den BAFTA-Award für "Carmen" als besten fremdsprachigen Film und 2004 für sein Lebenswerk den Europäischen Filmpreis.
Nachdem sein jüngster Film, der in Mexiko gedrehte Musikstreifen "El rey de todo el mundo" (Der König der ganzen Welt), erst am 12. November in Spanien in die Kinos kam, will Saura als nächstes einen Film über den ebenso charismatischen wie despotischen spanischen König Philipp II. drehen. Zudem will er seinen ersten Roman "Dieses Licht" verfilmen, weiter an einer TV-Serie über den im Bürgerkrieg ermordeten Dichter Federico García Lorca (1898-1936) arbeiten und eine Fortsetzung seines Films "Elisa, mein Leben" (1977) drehen.
Und da ist auch noch das ganz große Projekt, das nach vielen Jahren und äußerst schwieriger Finanzierungssuche in den nächsten Monaten endlich richtig in Gang kommen soll: Ein Streifen über das Leben des Malers Pablo Picasso und dessen Antikriegsgemälde "Guernica".
Saura ist unterdessen nicht nur ein Filmgenie, er ist auch so etwas wie das soziale Gewissen seiner Heimat. Schon in seinen ersten längeren Filmen setzte er sich mit dem spanischen Bürgertum und der Franco-Diktatur kritisch auseinander.
Der Mann, der von kommunistischen Filmemachern, deutschen Expressionisten, Neo-Surrealisten und vor allem von seinem über 30 Jahre älteren Freund und Lehrmeister Luis Buñuel beeinflusst wurde, ist heute immer noch ein unermüdlicher Sozialkritiker. Er erlebte als Knirps den spanischen Bürgerkrieg ("Unvergesslich. Für ein Kind sind Tote und nächtliche Bombardements brutal") - und warnt nun vor einer Zuspitzung der politischen und sozialen Polarisierung in Spanien und vielerorts auf der Welt. Ein Bürgerkrieg sei in Spanien nicht ausgeschlossen, er habe davor "viel Angst", sagte er jüngst.
Saura stellt in der Heimat vieles an den Pranger: die Korruption, das vermeintlich mangelnde Kulturbewusstsein der Spanier ("Wir sind ein barbarisches und faules Land"), das Verhalten der Spitzenpolitiker, die sich oft wie "Kneipenrüpel benehmen", und auch das Fernsehen, das "indirekte Zensur" betreibe und unbequeme Themen meide.
Saura wird von Medien und jüngeren Regisseurkollegen wie Felix Viscarret (46) als "lebende Legende" bezeichnet. Er beschränkt sich aber nicht aufs Filmen und Kritisieren. Das Multitalent hat als junger Mann Ingenieur-Wissenschaften studiert und gemalt, bevor er es auf Anregung seines älteren Bruders, des 1998 mit 67 Jahren gestorbenen berühmten Malers Antonio Saura, mit dem Film versuchte.
Sauras liebste Beschäftigung ist aber das Fotografieren. Er hat bei öffentlichen Auftritten immer eine Kamera dabei und besitzt in seinem Haus in Collado Mediano im Madrider Guadarrama-Gebirge eine Sammlung von mehr als 600 Geräten. Seine mehrfach ausgezeichneten Foto-Sammlungen stellt er regelmäßig aus. Damit aber nicht genug: Er veröffentlichte zwischen 1997 und 2004 drei Romane, schrieb mehrere Drehbücher und veröffentlichte auch Bücher über Fotografie.
Er inszenierte auch mehrfach die Oper "Carmen" (sein Debüt feierte er 1991 in Stuttgart) und führte in Madrider Theatern Regie. "Ich bin den ganzen Tag beschäftigt", sagte er in San Sebastián. Auf dem Sofa sitzt er nur, um "oft bis drei Uhr morgens" Filme zu gucken. Das Privatleben Sauras war ebenso bewegt wie das künstlerische und berufliche. Mit vier Partnerinnen zeugte er sieben Kinder. Unter anderem war er mit der US-Schauspielerin Geraldine Chaplin bis 1979 zehn Jahre lang liiert. Seine einzige Tochter Anna (27) ist auch Filmemacherin und seine "rechte Hand". Der passionierte Motorradfahrer ist aber zumindest in Sachen Beziehungen ruhiger geworden. Bereits seit 1993 ist er mit der 28 Jahre jüngeren spanischen Schauspielerin Eulalia Ramón zusammen.
Zusammenfassung
- Carlos Saura wird am 4. Jänner 90 Jahre alt - aber die Füße hochlegen mag der legendäre spanische Filmregisseur auch im fortgeschrittenen Alter überhaupt nicht.
- "Ich kann einfach nicht stillsitzen", sagte Saura im September vor Journalisten am Rande des Filmfestivals von San Sebastián, wo er munter und rüstig auftrat und einen neuen Kurzfilm präsentierte.
- Sein Rezept für eine gute Form: "Man muss Projekte haben, sie hauchen einem Leben ein."