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Kušejs "Menschenfeind"-Inszenierung als Wiener Abrechnung

Für Burgtheaterdirektor Martin Kušej ist es ein Spiegel "für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir hier und heute leben - für Wien". Die Rede ist von Molières 1666 uraufgeführtem Stück "Der Menschenfeind", das am Samstag in Kušejs Regie Premiere feierte. Seine Ankündigung hat er in die Tat umgesetzt: vom verrotteten Wiener Parkett über trunkene Walzerseligkeit bis hin zum sprichwörtlichen Spiegel, der das grandiose Bühnenbild dominiert. Ein Abend wie eine Abrechnung.

Zwei große, parallel aus dem Schnürboden fahrende Glaswände, die sich wie von Zauberhand in Spiegel und wieder in die Durchsichtigkeit zurückverwandeln können, bilden jenen Raum, in dem Alceste seinen Traum von einem Leben versucht, in dem Heuchelei und Falschheit keinen Platz haben. Doch die Bretter, auf denen sein Haus steht, sind verrottet, im Boden klaffen mit Wasser gefüllte Löcher, in die nicht nur seine Gäste stolpern. Martin Zehetgruber hat für diesen Abend im Burgtheater ein grandioses, mit Schein und Sein spielendes Bühnenbild geschaffen, das im Laufe des zweistündigen, pausenlosen Abends eine eigene Rolle in diesem Drama einnimmt.

Im Zentrum steht aber natürlich der misanthropische Alceste, dem Itay Tiran eine eindringliche Zerrissenheit zwischen seinen moralischen Ansprüchen und seiner unsterblichen Liebe zu Célimène verleiht. Dass aus dieser Liebe jedoch niemals etwas werden kann, macht Mavie Hörbiger im schwarzen Glitzeranzug (mit Schleppe) und durchgehend eiskalter Schulter mehr als deutlich. Als wahrer Freund bleibt Alceste, der sich Stück für Stück ins gesellschaftliche Out katapultiert, lediglich Philinte (aufrichtig: Christoph Luser). Der Rest der Gesellschaft - Markus Meyer brilliert als gekränkter Oronte, Alexandra Henkel amüsiert als zugeknöpfte Arisnoè, Tilman Tuppy gibt den ultimativen Schleimer mit Bravour - gefällt sich unterdessen im gnadenlosen gegenseitigen Ausrichten. Unterstützt wird dieses Bild des oberflächlichen, hedonistischen Bürgertums von einer 20-köpfigen Komparserie, die zwischen den Akten hinter der Glaswand wahlweise zu Walzer, Volksmusik oder "Live is Life" abtanzt. Bei diesem bitterbösen Blick auf die "Bussi-Bussi-Gesellschaft" hat man nicht selten das Gefühl, dass Kušej sich genüsslich von der Wiener High Society verabschiedet - inklusive eines Trauerzugs mit Sarg schon im Prolog.

Die ohnehin schon zeitgemäße Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger ("... den ruf ich an, der kennt die ganze Lobby. Ich helfe Ihnen gern. Das ist mein Hobby") aus dem Jahr 1979 hat Kušej, der das Haus nur mehr bis zum Ende der Saison leitet, bevor er von Stefan Bachmann abgelöst wird, noch mal ordentlich aufgepeppt. So erinnert sich die feine Gesellschaft schon mal an den letzten Besuch bei "Do & Co", wo man sich über die "Causa Jedermann" ereifert, sich vor die "Seitenblicke"-Kamera wirft und über den Burgtheaterdirektor "Martin K." lästert, der "nie da" ist. Ob es diesen explizit auf Wien (und das Burgtheater) gemünzten - wenn auch brav gereimten - Exkurs gebraucht hätte, bleibt bei der giftigen Wucht des restlichen Stücks, bei dem sich das Publikum über weite Strecken selbst im Spiegel betrachtet, allerdings fraglich.

Dass es sich hier um einen Morast handelt, macht dann auch noch eine olfaktorische Überraschung deutlich: Während Tiran mit seinem nicht mehr ganz so weißen Anzug in einem der Wasserlöcher hängt, breitet sich im Saal ein unangenehmer, an Gülle erinnernder Geruch aus. Ein Blick ins Programmheft zeigt, dass es sich nicht um ein Kanalgebrechen unter der Bühne handelt: "Wir danken den Parfumcreateuren Marie und Alexander Urban von 'Urban Scents' für die exklusive Creation des Raumdufts 'Le Misanthrope à la ferme'", zu Deutsch: "Der Menschenfeind auf dem Bauernhof". Mehr Botschaft braucht dieser an Botschaften so reiche Abend nicht mehr. Nach einem kurzen Durchatmen dankte das Publikum Regie und Ensemble mit lang anhaltendem, lautem Applaus.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Der Menschenfeind" von Molière, aus dem Französischen von Hans Magnus Enzensberger. Regie: Martin Kušej, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Heide Kastler, Musik: Bert Wrede, Licht: Reinhard Traub. Mit Itay Tiran, Mavie Hörbiger, Christoph Luser, Markus Meyer, Lili Winderlich, Alexandra Henkel, Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang, Christph Griesser und Hans Dieter Knebel. Weitere Termine: 21. und 27. November sowie am 1., 10. und 15. Dezember. www.burgtheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Für Burgtheaterdirektor Martin Kušej ist es ein Spiegel "für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir hier und heute leben - für Wien".
  • Die Rede ist von Molières 1666 uraufgeführtem Stück "Der Menschenfeind", das am Samstag in Kušejs Regie Premiere feierte.
  • Seine Ankündigung hat er in die Tat umgesetzt: vom verrotteten Wiener Parkett über trunkene Walzerseligkeit bis hin zum sprichwörtlichen Spiegel, der das grandiose Bühnenbild dominiert.