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Kennedys "Drei Schwestern" als Zeitschleife im Volkstheater

Es ist die Simulation einer Simulation einer Simulation, die Susanne Kennedy im Volkstheater unter dem Titel "Drei Schwestern" auf die Bühne bringt. Tschechows 120 Jahre alte Figuren dienen ihr lediglich als Motiv, Nietzsche als Anker und der Religionswissenschafter James Carse als Stichwortgeber. Dazwischen flirrt es unentwegt. Die bildgewaltige (vielmehr: bildgewalttätige) Inszenierung, 2019 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt, feierte am Mittwoch ihre Wien-Premiere.

Im Zentrum der Bühne schwebt ein an den Innenwänden verspiegelter Guckkasten, dessen weißer Rahmen sich scharf gegenüber jener Leinwand abzeichnet, die den zweiten Rahmen bildet. Dort laufen 90 Minuten lang die Videoprojektionen von Rodrik Biersteker, während die Figuren im Kasten gegen die Gleichzeitigkeit der Zeitlosigkeit anspielen. Die Figuren sind - wie bei Kennedy üblich - in enge Ganzkopfmasken gehüllt, die verfremdeten Stimmen wurden von Laien eingesprochen und kommen vom Band. So entsteht eine weitere der vielen Simulationsebenen, die den Akteurinnen und Akteuren höchste Präzision in ihrem lediglich gestischem Spiel abverlangt. Kennedy, mit der das Volkstheater künftig eng zusammenarbeiten will, macht deutlich: Wir spielen Theater, wir spielen aber auch Leben. Oder, wie Carse es formuliert: Alle menschliche Aktivität lässt sich durch zwei Arten des Spielens beschreiben: das endliche und das unendliche.

Wer hinter welcher Maske steckt, ist weder ersichtlich noch von Belang. Dass Claudia Sabitzer bei der Premiere aufgrund einer Besetzungsänderung durch Martina Spitzer ersetzt wurde und Claudio Gatzke die Rolle von Günther Wiederschwinger übernahm, konnte man lediglich dem Programmzettel entnehmen - auf der Bühne war es einerlei. Optisch agieren die "Drei Schwestern" auf drei Ebenen: Als entrückte Wesen in weißem Reifenrock mit schwarzem Gesichtsschleier, als glatzköpfige und in Neon-Rollkragenpullis gewandete Avatare und als gealterte, aber stumme Frauen (Kostüme: Teresa Vergho). Die drei Männer erschöpfen ihre Präsenz in hohlen Phrasen und wiederholten Versuchen, mit einem Tablet ein Foto zu schießen. So wenig Kennendys "Drei Schwestern" auf der Textebene viel mit dem Original zu tun haben, so gut gelingt es ihr, die Grundstimmung des Wartens auf eine unbestimmte Zukunft einzufangen. Dabei streut sie immer wieder auch englische Zitate ein, etwa Textzeilen aus "Something happened to me yesterday" von den Rolling Stones oder Dialoge aus einer Telenovela sowie Schnipsel aus Tschechows Text selbst.

Insgesamt sind es 33 kurze Bilder und Szenen, die durch schwarze Schnitte (und düster-wabernde Sounds von Richard Janssen) jäh abgeschnitten werden. Oft wird dieser Umstand auch durch ein lautes "Cut" verdeutlicht. An der Laufschritt auf dem weißen Rahmen kann man sich unterdessen orientieren, wo man sich gerade befindet. In der "Reality" zum Beispiel. Oder "Tomorrow". Egal, laut Nietzsche ist die Zeit ein Kreis, also sind auch die drei Schwestern in der ewigen Wiederkunft gefangen. Es ist also immer irgendwie jetzt. Oder, wie es in einem projizierten Zitat von Anne Jerslev (aus einem Artikel über David Lynch) heißt: "Past, present and future are mixed into a confusing simultaneity, the difference between projections of stored data and real-time transmission is also blurred" ("Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischen sich zu einer verwirrenden Gleichzeitigkeit, der Unterschied zwischen Projektion gespeicherter Daten und Echtzeitübertragung verschwimmt").

Beispiel gefällig? Der Videospieldesigner Biersteker lässt die drei Schwestern immer wieder in einer pixeligen Parallelwelt auftauchen, in der sie allerdings durch Wände gehen können und so mühelos zwischen Zeit und Raum wechseln können. In Kennedys Montage, die mit vielen Wiederholungen einzelner Sätze und Szenen arbeitet (etwa: "In zwei-, dreihundert Jahren wird das Leben auf der Erde unvorstellbar schön sein"), will man nicht nach Moskau, sondern die Zeitschleife durchbrechen. Doch die schiere Endlosigkeit des Daseins ist ansteckend: Trotz der kurzen 90 Minuten ist der verstohlene Blick auf die Uhr unausweichlich. Langer Applaus für Ensemble und Leading Team beendete den Abend.

(S E R V I C E - "Drei Schwestern" von Susanne Kennedy nach Anton Tschechow im Volkstheater. Regie: Susanne Kennedy, Bühne: Lena Newton, Kostüm: Teresa Vergho, Sounddesign und Voice-Montage: Richard Janssen, Video: Rodrik Biersteker, Lichtdesign: Rainer Casper. Mit Marie Groothof, Eva Löbau, Benjamin Radjaipour, Uwe Rohbeck, Claudia Sabitzer (bei der Premiere: Martina Spitzer), Anna Maria Sturm, Günther Wiederschwinger (bei der Premiere: Claudio Glatzke), Susanne Luxbacher und Birgit Stimmer. Weitere Termine: 25. und 26. September, 2., 3. und 28. Oktober. Infos und Tickets unter www.volkstheater.at; am 15. Oktober feiert die VR-Installation "I am (VR)" von Susanne Kennedy und Markus Selg im Weißen Salon Premiere.)

ribbon Zusammenfassung
  • Es ist die Simulation einer Simulation einer Simulation, die Susanne Kennedy im Volkstheater unter dem Titel "Drei Schwestern" auf die Bühne bringt.
  • Tschechows 120 Jahre alte Figuren dienen ihr lediglich als Motiv, Nietzsche als Anker und der Religionswissenschafter James Carse als Stichwortgeber.
  • Kennedy, mit der das Volkstheater künftig eng zusammenarbeiten will, macht deutlich: Wir spielen Theater, wir spielen aber auch Leben.