APA/APA/GEORG HOCHMUTH/GEORG HOCHMUTH

Jessica Hausners "Club Zero" feierte in Cannes Weltpremiere

Wer braucht schon belastbare Fakten, wenn der Glaube Berge versetzt - oder aber den Hunger zähmt? Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner rückt in "Club Zero" eine Gruppe von Jugendlichen in den Fokus, die angeleitet von ihrer manipulativen Lehrerin sektenartige Züge entwickelt. Montagabend feierte der mit ruhigen Tableaus arbeitende Film, für den Hausner Hollywoodschauspieler Mia Wasikowska gewinnen konnte, bei den Filmfestspielen in Cannes Weltpremiere.

Wie schon ihre Vorgängerarbeit "Little Joe" läuft der sechste Spielfilm von Hausner im Wettbewerb des renommierten Festivals. Gab es 2019 für Hauptdarstellerin Emily Beecham sogar den Preis als beste Schauspielerin, so ist es erneut die weibliche Hauptrolle, die in "Club Zero" den Ton angibt. Dabei muss die Australierin Wasikowska als neue Ernährungslehrerin Miss Novak an einer Eliteschule nur wenig tun, um ihren Einfluss zur Geltung zu bringen. Von der Direktorin (Sidse Babett Knudsen) über das Elterngremium bis hin zu den Schülern zeigen sich alle angetan von der jungen Pädagogin, die gleich mit eigenem Diättee anrückt.

Dabei wäre eine gesunde Skepsis angebracht, als sie in kleiner Runde erstmals von der Idee des "bewussten Essens" erzählt. Vor jedem Bissen sollen sich ihre Schüler von allen Gedanken befreien, dabei durch die Nase ein- und den Mund ausatmen. Ziel der Übung? "Je langsamer ihr esst, umso weniger Essen werdet ihr brauchen", meint eine ebenso freundliche wie bestimmte Miss Novak. Und bei Elsa, Fred, Ragna, Helen und Ben stößt sie mit ihren Vorschlägen recht schnell auf offene Ohren. Die Teenager fühlen sich von ihren Eltern nicht verstanden oder im Stich gelassen, womit die neue Vertrauensperson leichtes Spiel hat.

Es dauert nicht lange, bis Miss Novaks Ideen extremer werden: Zunächst scheinen die positiven Effekte der Ernährungsumstellung durchaus reizvoll - nicht nur einmal fallen Schlagworte wie Klimawandel und Konsumwahn -, aber dabei soll es keineswegs bleiben. Immer restriktiver werden die stets betont sachlich dargebotenen Vorschläge, bis der Endpunkt erreicht scheint - denn eigentlich brauche man gar keine Nahrung. "Aber jemand, der nicht isst, wird nicht toleriert", fasst Novak die Krux eines solchen Lebens zusammen. Ob es für diese Behauptung Belege gebe, wischt sie mit einer leichten Handbewegung weg. "Wozu brauchen wir wissenschaftliche Beweise für etwas, das ganz offensichtlich funktioniert?"

Spätestens ab diesem Zeitpunkt lässt Hausner, die das Drehbuch erneut mit Géraldine Bajard verfasst hat, das Geschehen ins Absurde und die Eltern-Kind-Dynamik in Richtung des manipulierten Nachwuchses kippen. Das meist von leicht oben gefilmte Geschehen (Kameramann Martin Gschlacht setzt die Räume sehr gekonnt in Szene) gerät damit aus dem Ruder, und Miss Novak kommt trotz eines massiven Rückschlags an der Schule ihrem langfristigen Ziel näher. Der Punkt, an dem es scheinbar kein Zurück mehr gibt, wird von den Jugendlichen herbeigesehnt, während sich ihre Eltern davon überrumpelt zeigen. Dabei waren die Warnsignale nur allzu deutlich sichtbar - nicht nur für das Kinopublikum in Form der Musik von Markus Binder, dessen perkussiver Soundtrack den Pulsschlag nach oben treibt.

In einer Zeit, in der pandemiebedingte Konflikte in der Gesellschaft noch schmerzhaft nachhallen, legt Hausner mit "Club Zero" den Finger in die Wunde. Wozu sind wir bereit, wenn uns etwas lohnens- und erstrebenswert scheint, selbst wenn der "gesunde Menschenverstand" die Alarmglocken schrillen lässt? Kleine Veränderungen können oft große Wirkung haben, vor allem wenn diese mit Hartnäckigkeit vorangetrieben werden, wie es Miss Novak vorexerziert. Da kann jedes noch so kluge und mit Fakten unterfütterte Argument einpacken. Jessica Hausner vermengt all diese Fragen und Elemente zu einem beklemmenden Kammerspiel, das sie mit klaren Farben und langsamen Szenefolgen behutsam wirken lässt.

(S E R V I C E - www.festival-cannes.com/en/f/club-zero/)

ribbon Zusammenfassung
  • Die österreichische Regisseurin Jessica Hausner rückt in "Club Zero" eine Gruppe von Jugendlichen in den Fokus, die angeleitet von ihrer manipulativen Lehrerin sektenartige Züge entwickelt.
  • Montagabend feierte der mit ruhigen Tableaus arbeitende Film, für den Hausner Hollywoodschauspieler Mia Wasikowska gewinnen konnte, bei den Filmfestspielen in Cannes Weltpremiere.
  • Da kann jedes noch so kluge und mit Fakten unterfütterte Argument einpacken.