Iris Berben: Unsichtbare Mauer für Frauen bröckelt langsam
APA: In "Der Vorname" hatten Sie ja beinahe nur einen Cameo-Auftritt. War ein größerer Part nun für Sie Bedingung, dass Sie auch bei "Der Nachname" mit an Bord sind?
Iris Berben: Nein! (lacht) Aber mein Auftritt in "Der Vorname" war tatsächlich eine Art Liebesdienst an Sönke Wortmann, in dessen Abschlussfilm ich einst mitspielen durfte. Als "Der Vorname" dann an der Kasse gut lief, kam natürlich irgendwann die Anfrage, ob ich nicht in dem zweiten Teil dabei sein möchte. Ich habe das Drehbuch gelesen und mir gedacht: Es geht wieder um die Fragestellungen und Konstellationen von heute. Familie, Freigeist, Homophobie, Gleichberechtigung - da wird wieder vieles verhandelt, was viele Menschen bewegt.
APA: Welche Rolle spielt Ihre Figur der Dorothea in der Filmfamilie?
Berben: Sie ist ein Freigeist und sicher die Freieste von allen. Und sie ist mutig - wobei ich das Wort eigentlich nicht mag. Sie lebt einfach immer noch das aus, was sie seit Anbeginn eingefordert hat. Wie mir in meiner Jugend ging es ihr um Selbstbestimmung, darum, sich aus Konstrukten und Einengungen zu befreien. Nach dem Tod ihres Mannes will sie nicht sich und ihr Leben aufgeben. Da ist sie so etwas wie ein Leuchtturm für mich, wenn man sich ihre Kinder anschaut, die sehr konservativ sind in ihrem Denken.
APA: Es ist ja eigentlich erstaunlich, dass ein Film wie "Der Nachname" in den 70ern völlig absurd gewesen wäre: Eine Familie, in der die ältere Generation die rebellischere ist. Heute scheint es normal, dass die "Alten" die Cooleren sind...
Berben: Das will ich natürlich nicht direkt so sagen, aber schön, wenn Sie mir das in den Mund legen! (lacht) Wenn man in den 60ern sozialisiert und politisiert wurde, als wir gegen solch eine Verkrustung und nicht nachvollziehbare Regeln angehen mussten, denkt man sich bisweilen tatsächlich: Sie tendieren heute wieder viel mehr zu großer Sicherheit, früher Heirat und einem sehr planbaren Leben. Aber es sind einfach andere Zeiten, wir hatten eine andere Spielwiese. Heute sind die Anforderungen andere. Wir konnten uns noch gegen Konventionen stemmen, während die Jungen heute nicht zuletzt durch Social Media sehr beeinflusst werden. Ich bin überhaupt nicht gegen Social Media, das auch gute Seiten hat. Aber ich persönlich verweigere mich. Da wird ein Bild vorgefertigt, an dem man sich möglichst orientieren sollte.
APA: Warum ist dieses Bild aber das konservative?
Berben: Das kommt durch eine gewisse Bequemlichkeit, die eingetreten ist. Wir sind zudem seit zwei, drei Jahren im Krisenmodus. Da suchen sich viele Halt in den "alten Werten".
APA: Nichtsdestotrotz ist "Der Nachname" eine Komödie. Haben Sie dort als Schauspielerin weniger Freiheiten, weil der Text eine noch größere Bedeutung bekommt?
Berben: Ich finde schon. Ich bin allerdings allgemein jemand, der die Vereinbarung einhält, dass man beim Text bleibt. Normalerweise haben wir Leseproben, in denen die Dialoge sehr genau ausgearbeitet werden - vom Inhalt bis zum Sprachduktus. Und dann gilt einfach: Film ist Verabredung. Es ist extrem schwer, wenn sich ein Teil an den Text hält, ein Teil hingegen nicht - vor allem bei der Komödie, die natürlich auf den Punkt geschrieben ist. Ein Schlagabtausch ergibt sich durch präzise Dialoge, die viel mit Timing und der Fähigkeit zu tun haben, im richtigen Moment eine Pause oder einen Blick zu setzen. Die Komödie bleibt da die Königsklasse. Man kann mit schlichteren Mitteln den Menschen eine traurige Emotion vermitteln. Da ist der Baukasten einfacher. Aber ich will immer präzise arbeiten.
APA: Viele Ihrer Kolleginnen beklagen, dass man ab einem gewissen Alter als Schauspielerin keine guten Rollen bekommt. Weshalb ist das bei Ihnen ganz offensichtlich nicht der Fall?
Berben: Es gibt natürlich auch andere Kolleginnen, bei denen es ähnlich ist wie bei mir, aber es sind tatsächlich immer noch viel zu wenige, da dürfen wir nicht herumdiskutieren. Hier haben uns die Streamingdienste aber sehr geholfen und den Weg zu Neuem geebnet. Dort werden mittlerweile auch "erwachsene" Geschichten erzählt, teils in epischer Breite. Und sie werden angenommen! Wir sind immer noch viel zu eingeengt in einem Denken, dass gewisse Formate nur für gewisse Zielgruppen sind. Im Film und im Fernsehen hat es, anders als im Theater, immer eine unsichtbare Mauer gegeben für Frauen ab 40, 50. Als würde das Leben jenseits dieser Grenze aufhören! Diese Mauer bröckelt zwar, aber sie bröckelt mir viel zu langsam. Denken Sie an die Filmhochschulen: Da sind die Regieklassen paritätisch besetzt. Im realen Berufsalltag sind es dann aber 80 zu 20 Prozent bei den Regiekräften! Ich hoffe, dass die neue Generation da einfach mit einem anderen Männerbild aufwächst. Man kann diesen Wandel nicht alleine stemmen, sondern muss ihn mit vielen guten, klugen Männern zusammen bewältigen. Die Knalltüten, die es immer noch gibt, die werden wir früher oder später auch noch los!
APA: Sie sind da Optimistin?
Berben: Das muss ich sein. Ich habe den Kampf zwar in den 1960ern angefangen und ärgere mich, dass ich das heute immer noch diskutieren muss. Aber damit hört der Optimismus ja nicht auf. Dazu habe ich auch zu viele kluge Männer kennengelernt, die das Ganze genauso sehen.
APA: Um am Ende nochmals auf "Der Nachname" zu kommen: Stünden Sie für eine weitere Fortsetzung parat?
Berben: Darüber denke ich nicht nach. Jetzt muss man erst einmal schauen, wie "Der Nachname" läuft - denn derzeit ist es schwierig, die Menschen wieder in die Kinos zu bekommen. Es wäre für unsere Branche unglaublich wichtig, dass hier der Startschuss für die vielen weiteren Produktionen fällt, die noch zurückgehalten werden. Und wenn dieser Film richtig einschlägt, sollen sich die Produzenten Gedanken über "Der Doppelname", "Der Kosename" oder "Der Tarnname" machen. (lacht)
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
Zusammenfassung
- Aus diesem Anlass sprach der 72-jährige Schauspielstar mit der APA über die zu langsam bröckelnde unsichtbare Mauer für Frauen im Filmgeschäft, die konservativere Nachfolgegeneration und die Frage, weshalb sie noch Optimistin ist.