APA/Wolfgang Huber-Lang

"Holobiont"-Ausstellung verbindet Kunst und Wissenschaft

Pferdeblutransfusionen und Kotspenden; Hunde, die mit menschlicher Muttermilch aufgezogen werden und Bakterien, die sich an menschliche Stimmen erinnern; Steine, die in die Schule gehen und grün leuchtende Süßwasserpolypen, die in einer vielköpfigen gläsernen Hydra kultiviert werden - "Holobiont. Life is other", die heute eröffnende erste Ausstellung des Angewandte Interdisciplinary Lab im ehemaligen Postsparkassen-Hauptgebäude, führt in vieler Hinsicht in eine andere Welt.

Der Begriff Holobiont wurde 1991 von der Biologin Lynn Margulis geprägt und beschreibt uns als ein von der Biosphäre durchdrungenes Gesamtlebewesen, eine Symbiose aus Natur und Technik, in der die von Bakterien und Viren besiedelten Menschen nur eine Facette eines großen Ganzen sind. "Letztlich steckt in dem Begriff eine extreme Friedensbotschaft", sagte der Künstler und Co-Kurator Thomas Feuerstein bei der heutigen Presseführung. "Evolution ist nicht survival of the fittest. Evolution ist Zusammenleben."

"Der Begriff Holobiont schien uns jetzt reif zu sein für eine künstlerische Auseinandersetzung", so Feuerstein. "Das Thema Wissenschaft und Kunst hat neue Lebendigkeit bekommen", freute sich Co-Kuratorin Judith Reichart darüber, dass die 2021 für den Ausstellungsraum Magazin 4 zusammengestellte Schau in Bregenz "total eingeschlagen" hatte. Doch "auch die Ausstellung ist ein Meta-Organismus", weswegen die Präsentation sich weiterentwickelt habe und auch bei den erhofften weiteren Stationen in London und Kopenhagen, wo man sich mit Institutionen in Gesprächen befinde, werde dies der Fall sein. In Wien sind es nun 15 Stationen in der ehemaligen Kassenhalle und zwei angrenzenden Sälen. "Jede Arbeit verdient eigentlich eine halbe Stunde Aufmerksamkeit", sagte Co-Kurator Jens Hauser.

Tatsächlich lassen sich die behandelten Themen bei einem einstündigen Rundgang nur peripher erfassen. Es geht um das Überwinden von herkömmlichen Grenzziehungen und die Verbindung von digitalen und molekularen Welten. "Wir wollen gucken, wie weit mikroskopische Prozesse makroskopische Auswirkungen haben", versuchte Hauser eine Vereinfachung. "Es geht darum, wie nicht Sichtbares sichtbar wird", meinte Co-Kuratorin Lucie Strecker, die selbst mit zwei Arbeiten vertreten ist, die ohne längeren Subtext nur schwer nachzuvollziehen sind. In einer Schießbudeninstallation geht es mit Stuhlproben, Porzellan-"Anussen" und einer Glock-Pistole "um die mikrobielle Information von Kot" und "die Darm-Hirn-Achse". In der gemeinsam mit David Berry entwickelten Installation "Close Reading" können Besucher mit ihrer Atemluft die Petrischale in einem Mikrofonständer mit ausgewählten Zitaten "besprechen" und damit eine individuelle Kultur von Mikroorganismen begründen.

In einem Raum laufen zwei Performances. In einer nachgebauten und weiterentwickelten Versuchsanordnung einer "Cell"-Publikation versucht Klaus Spiess Zusammenhänge zwischen "unserem oralen Mikrobiom" und der Sprache herzustellen. "Nicht nur die Diversität von Mikroben, auch die Diversität von Sprachen geht enorm zurück", sagte Spiess, der in "Ecolalia" Mikrobiologie und Poesie verbindet und zeigt, dass Mikroben vor allem von tonaler, vibrierender Stimme, wie sie beim Singen oder Stöhnen verwendet wird, zum Wachstum angeregt werden. Nebenan sitzt die Künstlerin Maja Smrekar an einem Techno-Webstuhl. Ihr Hund Byron, dem man im ersten Raum auf einem großen Foto an ihrer Brust saugend begegnet ist, liegt ihr zu Füßen, inmitten von geschorenem Hunde-, Katzen- und Menschenhaar, das live gesponnen wird - inklusive aufwendiger Laborapparatur, in der Serotonintropfen des Hundes und der Künstlerin aufgefangen werden.

Es geht auch einfacher: In der Kassenhalle ist eine Schultafel aufgestellt. "Freiheit ist ein Geheimnis" hat der dänische Künstler Henrik Plenge Jakobsen darauf geschrieben. Auf einer Bank davor warten fünf Steine darauf, dass die Unterrichtsstunde beginnt. Auf der mineralischen Oberfläche seien jede Menge Mikroorganismen angesiedelt, erläutert Feuerstein die zugrunde liegende Idee. "Mindestens ein Drittel der Biomasse befindet sich unter unseren Füßen, in der Erdkruste." Da wartet offenbar noch eine echte Bildungsaufgabe darauf, endlich angegangen zu werden. Die Ausstellung "Holobiont. Life is other" jedenfalls läuft bis 20. Jänner 2023.

(S E R V I C E - Ausstellung "Holobiont. Life is other", Universität für angewandte Kunst Wien / Angewandte Interdisciplinary Lab, Wien 1, Georg-Coch-Platz 2, 5. Oktober 2022 bis 20. Jänner 2023, Montag bis Freitag 13 bis 18 Uhr, Donnerstag 13 bis 20 Uhr. Eintritt frei. ail.angewandte.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Pferdeblutransfusionen und Kotspenden; Hunde, die mit menschlicher Muttermilch aufgezogen werden und Bakterien, die sich an menschliche Stimmen erinnern; Steine, die in die Schule gehen und grün leuchtende Süßwasserpolypen, die in einer vielköpfigen gläsernen Hydra kultiviert werden - "Holobiont. Life is other", die heute eröffnende erste Ausstellung des Angewandte Interdisciplinary Lab im ehemaligen Postsparkassen-Hauptgebäude, führt in vieler Hinsicht in eine andere Welt.