Ein wahrer Maskenball: Belgien feiert seinen James Ensor
Sein Heimatland feiert den Meister des Grotesken, der Masken und der Totenschädel ausgiebig. Schließlich ist die Verwendung von Masken und karnevalesken Elementen in expressionistischem Farbgestus gleichsam Ensors Markenzeichen geworden. Häusliche Szenen und gesellschaftspolitische Panoramen werden hierdurch stilistisch entrückt und durch das Verhüllen der Gesichter tiefere Wahrheiten enthüllt. Dabei machte Ensor zeitlebens auch vor dem eigenen Gesicht nicht Halt und verzerrte sein Antlitz in zahllosen Selbstporträts zum Totenschädel. Ensor stellte sich dabei in eine kunsthistorische Tradition, die von anderen Meistern der Groteske wie Goya oder Bosch inspiriert ist. Auch harte, fast karikaturenhafte Kritik an den Autoritäten wie der Monarchie und japanische Einflüsse finden sich im Œuvre des Malers.
"Wenn man Ensor sieht, hält man ihn für einen Gentleman. Aber er war sehr interessiert am Populären, ja am Vulgären", meint Xavier Tricot, als einer der führenden Experten für den Meister am Ensor-Haus in Ostende als Kurator tätig. Schließlich war das flämische Küstenseebad, in dem Ensor am 13. April 1860 als Sohn eines Briten und einer Belgierin geboren wurde, praktisch durchgängig Wohn- und Arbeitsort des Malerfürsten und nicht zuletzt seine Bühne, die er mit elegant-auffälliger Erscheinung bespielte, bis er dort am 19. November 1949 verstarb. "Ensor liebte Ostende als mystischen Ort, an dem das Licht eine ungemeine Bedeutung hat", macht Tricot deutlich.
Und Ostende liebt seinen Ensor. So ist es nicht verwunderlich, dass das Seebad mit gut 70.000 Einwohnern das Epizentrum während der ersten Monate des Jubiläumsjahres darstellt, bevor dann Antwerpen übernimmt. Ein Ensor-Stadtfest bietet mehr als 100 Aktivitäten, verteilt über das gesamte Jahr - vom Ensor-Menü bis hin zu kleineren Ausstellungen. Nicht mehr alle Lebensorte Ensors sind noch vorhanden, etwa das einstige Souvenirgeschäft seiner Mutter mitsamt zahlreicher Masken und anderer Exotika, das eine wichtige Inspirationsquelle für den späteren Maler darstellte. Und doch kann man in Ostende mittels App auf den Spuren des Jahresjubilars wandeln.
Am Standort des letzten Wohnhauses lädt das Ensor-Zentrum mit allerlei multimedialen Einfällen und der Wohnung Ensors Kunstinteressierte. So sind im Museum die Selbstporträts von 21. März bis 16. Juni ausgestellt, bevor man sich ab 29. Juni an mit der Ausstellung "Ensors imaginäres Paradies" der Beziehung des Jahresjubilars zu Ostende widmet. Den Reigen der Würdigungen beschließt hier ab 19. September die Schau "Satire, Parodie, Pastiche" zu den satirischen Aspekten im Œuvre Ensors. Und noch bis 14. April läuft die Werkschau im benachbarten Museum für moderne Kunst Mu.ZEE, die unter dem Titel "Rose, Rose à mes yeux!" Stillleben Ensors mit rund 100 Arbeiten kontrastiert.
Mit dem Beginn des Herbstes schaltet sich dann auch die flämische Metropole Antwerpen in die Feierlichkeiten ein. Hier startet man am 28. September mit "In your wildest dreams" in der Königlichen Akademie der Schönen Künste (KMSKA), welche die größte Ensor-Sammlung weltweit besitzt, und die sich in der Schau dem Einfluss des Impressionismus auf Ensor nähert. Parallel dazu widmet man sich im Modemuseum unter dem Titel "Metamorfosis Ensor" der Frage der Maskerade und dem Make-up, während im Fotomuseum in der Schau "Anti-Fashion" Cindy Sherman und James Ensor im Paarlauf zu erleben sind. Und schließlich ist in Antwerpen auch das Druckereimuseum Plantin Moretus mit von der Partie, das sich ab 28. September "James Ensor's Search for Light" widmet.
Bei so viel Feierwillen im flämischen Teil Belgiens will auch die Hauptstadt nicht hintanstehen, hat Ensor doch mit 850 Gemälden im Laufe seines Leben ein Werk hinterlassen, das genügend Stoff für zahlreiche Events bietet. Am 22. Februar startet das Palais Lothringen mit "James Ensor: Ein Genie in Brüssel" den Reigen, bevor am 29. Februar im Kulturzentrum Bozar "James Ensor, Maestro" die weitfassende künstlerische Betätigung des Jahresjubilars als Komponist und Autor würdigt.
(S E R V I C E - www.ensorhuis.be/de)
Zusammenfassung
- Im heurigen Jahr 2024 scheinen die Jahresjubilare geradezu in Kohortenstärke aufzutreten.
- Im Gegensatz zu Größen wie Puccini, Bruckner oder Kant ist James Ensor, dessen Todestag sich am 13. April zum 75. Mal jährt, in Österreich allerdings ein noch eher Unbekannter.
- So ist das Renommee des wohl unbestritten größten flämischen Malers des 20. Jahrhunderts noch nicht allzu weit über die Grenzen Belgiens hinaus gedrungen.