Ein Motiv, nicht mehr: Kammerspiele zeigen neues Reza-Stück
Das Motiv - ein Ehepaar hadert damit, dass sein Sohn sich für Céline Dion hält - stammt aus Rezas 2013 auf Deutsch erschienenem Roman "Glücklich die Glücklichen". "Ich wusste, eines Tages würde ich diesen Personen wiederbegegnen", wird die 64-jährige Autorin im Programmheft zitiert. Allein - mehr als ein Motiv kommt auch in dieser theatralen Wiederbegegnung nicht zum Vorschein. Pascaline Hutner (Maria Köstlinger) und ihr Mann Lionel (Juergen Maurer) besuchen ihren fast erwachsenen Sohn Jacob immer wieder in jener teuren Klinik, in die sie ihn gesteckt haben, damit sich dort Experten um ihn kümmern. Doch zu ihrer Überraschung bestärkt die Psychiaterin (Alexandra Krismer) den jungen Mann nur darin, seine gefühlte Identität zu leben. Er hat sogar einen Freund gefunden ("ein Weißer, der sich für einen Schwarzen hält", wie es heißt), mit dem er gemeinsam versucht, einen aus dem Regenwald stammenden (also entwurzelten!) Baum heimlich im Garten auszusetzen, obwohl ihm das europäische Klima nicht bekommt.
"Kein Realismus", schreibt Reza als Handlungsanweisung in ihr Stück, was Bühnenbildnerin Sabine Freude mit einer nobel-weißen, groß gekachelten Gummizelle umsetzt. Die im Raum verteilten multifunktionalen weißen Würfel dienen als Sitzgelegenheit, Showbühne und Stauraum. In diesem kühlen Zimmer, das die Eltern mit einigen Topfpflanzen behübschen, bereitet sich Jacob alias Céline auf die kommende Welttournee vor. Dabei gestikuliert Julian Valerio Rehrl in violettem Seidengewand und mit gegelter Haartolle glamourös zu Instrumentalversionen von Dions bekanntesten Liedern (Musik: Eva Jantschitsch), dekoriert die Wand mit einer mit Tourstopps versehenen Weltkarte, schlingt sich seinen Seidenschal enger um den Hals, um seine Stimmbänder zu schonen oder rollt sich einen Lockenwickler - wie James Brown, wie Pascaline festhält - in die Stirnfransen.
Während Köstlinger die besorgte, leicht hyperaktive Mutter gibt, steht ihr Maurer als eher teilnahms- und verständnisloser Mann zur Seite. In ihren Begegnungen mit der Psychiaterin - Krismer darf selbst mit ihrer Identität spielen, indem sie bei jedem Auftritt eine andersfarbige Perücke trägt - gerät ihr Weltbild aus den Fugen, wenn sie erklärt bekommen, dass es okay ist, sich als Céline Dion zu fühlen und sie sich besser daran gewöhnen sollen, nur mehr mit ihren Vornamen angesprochen zu werden. Daraufhin beschließen die beiden, ihren Sohn aus der Anstalt zu "retten". Jacob/Céline selbst hat wenig zu sagen, die überraschend kleine Rolle beschränkt sich auf die traumwandlerischen Auftritte und kurzen Dialoge mit dem neuen Freund Philippe, den Dominic Oley mangels genauerer Charakterisierung eher unauffällig gibt. Aufgerüttelt wird die Runde lediglich an jener Stelle, an der Maurer als Vater seine Nerven verliert, Céline mit dem Namen Jacob anspricht und sich verbittet, wieder etwas vorgesungen zu bekommen - was ihm dann brav ganz schnell wieder leid tut.
Cervik gelingt es im Laufe des Abends nicht, die inneren Kämpfe der Figuren aus dem Ensemble herauszukitzeln. Sie bleiben in jenen Schablonen verhaftet, in die sie gesteckt wurden. In Zeiten, in denen das Ringen um Identität und noch mehr der Kampf um gesellschaftliche Akzeptanz derart im Fokus steht, kommt "James Brown trug Lockenwickler" enttäuschend beliebig daher. Am Ende herrscht unter den Eltern nicht mehr Empathie als zu Beginn und Céline begibt sich auf eine Reise, auf die sie keinen Einfluss mehr haben. Es scheint fast so, als hätte am Ende keiner was von dieser Reise mitgenommen. Die Eltern nicht und Céline noch weniger. Schade.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "James Brown trug Lockenwickler" von Yasmina Reza in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt. Österreichische Erstaufführung. Regie: Sandra Cervik. Mit Julian Valerio Rehrl, Maria Köstlinger, Juergen Maurer, Dominic Oley und Alexandra Krismer. Bühne: Sabine Freude, Kostüme: Aleksandra Kica, Musik: Eva Jantschitsch. Kommende Termine: 16., 23. und 28. Februar. www.josefstadt.org)
Zusammenfassung
- Die österreichische Erstaufführung des Stücks 'James Brown trug Lockenwickler' von Yasmina Reza, inszeniert von Sandra Cervik, wird als oberflächlich kritisiert.
- Die Handlung, die sich um ein Ehepaar und ihren Sohn dreht, der sich für Céline Dion hält, vermag es nicht, das Publikum tiefer mit der Thematik der Identität zu konfrontieren.
- Das minimalistische, weiße Bühnenbild und die Musik von Eva Jantschitsch bilden den Rahmen für die Aufführung, die an weiteren Terminen am 16., 23. und 28. Februar zu sehen ist.