Dorf zum Vergessen: Johanna Sebauers Debütroman "Nincshof"
Sollten Sie noch nie von diesem kleinen Dorf an der österreichisch-ungarischen Grenze gehört haben, kann das nur daran liegen, dass "die Oblivisten" ganze Arbeit geleistet haben. Eine kleine Gruppe an Ortsbewohnern betreibt nämlich die Abspaltung ihrer unmittelbaren Heimat von all' jenen grauslichen Entwicklungen, die die Moderne so mit sich gebracht haben - nicht durch politischen Separatismus, der sie ins Gefängnis bringen würde, sondern durch aktive Beschleunigung des Vergessens. Das ist ja bekanntlich originärer Teil der österreichischen Psyche, über die es heißt: "Glücklich ist, wer vergisst ...". Die Nincshofer wären glücklich, wenn sie von den anderen vergessen würden, denn sie sind sich selbst genug.
Diese einigermaßen skurrile Ausgangssituation ist nur ein Aspekt, der "Nincshof" zu einem der unterhaltsamsten und originellsten Debüts des Jahres macht. Denn die 1988 in Wien geborene, im Burgenland aufgewachsene und heute in Hamburg lebende Autorin schafft es nicht nur sympathische Figuren zu kreieren, sondern punktet mit jeder Menge Einfällen, die sie zu einer fantasievollen Melange aus Heimatverbundenheit und Anarchismus verbindet. Nicht nur die sagenhafte Gründungsgeschichte des einst komplett in den Sümpfen versteckten, auf Pfahlbauten errichteten und nur durch einen schmalen, gut verborgenen Holzsteg erreichbaren Dorfes wirkt wie ein wunderbares Märchen, auch um Irrziegen, Pusztafeigen, Jesusschweine, nächtliche Swimmingpool-Besuche oder eine matriarchale Tradition der Familiennamensgebung entwickeln sich Erzählstränge, die von viel Freude am Fabulieren zeugen.
Erwin Mosers in dieser Gegend entstandene Bilderbücher ("Jenseits der großen Sümpfe" u. a.) gibt die Autorin, die 2019 für eine erste Fassung des Romans bereits mit dem Burgenländischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde und morgen, Donnerstag, beim Wiener Literaturfestival O-Töne liest, als eine ihrer Inspirationsquellen an, aber ebenso Klaus Hoffers "Bei den Bieresch" oder Aleida Assmans "Formen das Vergessens". Vor allem aber hat Sebauer als Kind wohl gut hingehört, als die Alten am Hausbankerl beim einen oder anderen Achterl von früher erzählt haben. Die hochbetagte Erna Rohdiebl, der ihre Freude am Erzählen beim gemeinsamen Versuch des Vergessens in die Quere kommt, ist ihr besonders gut gelungen.
Nicht nach Vergessen, sondern nach Erkenntnis strebt dagegen die Dokumentarfilmerin Isa Bachgasser. Sie möchte wissen, wohin es sie an der Seite ihres Mannes, eines zum Irrziegenzüchter gewordenen Ex-Architekten, eigentlich verschlagen hat. Verblüfft muss sie feststellen, dass selbst im Landesarchiv alle Spuren von Nincshof getilgt sind - für die neugierige Frau "eine große Merkwürdigkeit und ein großes Rätsel". "'Frau Bachgasser', sagte der Bibliothekar daraufhin und starrte sie mit müden Augen an, "das ganze Burgenland samt seinen Bewohnerinnen und Bewohnern ist eine einzige Merkwürdigkeit und ein einziges Rätsel. Ich wünsche Ihnen viel Glück, falls Sie vorhaben, es zu entschlüsseln."
Und so lässt sich am viel Freude bei der Lektüre von "Nincshof" wünschen. Das sollten Sie lesen! Aber hinfahren? Das können Sie vergessen! Der Burgenland Tourismus wird sich was einfallen lassen müssen ...
(S E R V I C E - Johanna Sebauer: "Nincshof", DuMont, 368 Seiten, 24,50 Euro. Lesung morgen, 27.7., 20 Uhr beim Literaturfestival O-Töne im Museumsquartier Wien, https://www.nincshof.at/ )
Zusammenfassung
- Das Burgenland entwickelt sich immer mehr zum Hauptschauplatz österreichischer Gegenwartsliteratur.
- Ich wünsche Ihnen viel Glück, falls Sie vorhaben, es zu entschlüsseln."
- Und so lässt sich am viel Freude bei der Lektüre von "Nincshof" wünschen.
- (S E R V I C E - Johanna Sebauer: "Nincshof", DuMont, 368 Seiten, 24,50 Euro.
- Lesung morgen, 27.7., 20 Uhr beim Literaturfestival O-Töne im Museumsquartier Wien, https://www.nincshof.at/ )