"Der Zauberer vom Cobenzl": Neuer Roman von Bettina Balàka
Der neue Roman der 1966 in Salzburg geborenen und in Wien lebenden Autorin scheint mehr der historischen Wahrheit verpflichtet zu sein als man aufgrund der Fantastik mancher geschilderter Ereignisse annehmen mag. Carl Ludwig Friedrich Freiherr von Reichenbach lebte wirklich (und zwar von 1788 bis 1869), und Wikipedia berichtet von einem wahrlich ungewöhnlichen Leben zwischen Wirtschaft und Wissenschaft, einem Forschergeist am Rande der Esoterik und einem findigen Ingenieur mit unermüdlicher Tatkraft. Er versuchte die Elemente zu zähmen, machte seine Dienstherren reich und verband Neugier mit Skeptizismus.
"Sollte es ein Leben nach dem Tod geben, war es für Vater bestimmt eine große Überraschung. Ich stellte mir vor, wie ihn Jesus Christus und eine Delegation von Heiligen am Himmelstor empfingen und er ihnen erklärte: 'Meine Herrschaften, es muss sich hier um einen Irrtum handeln, es kann Sie gar nicht geben.'" Das meint seine Tochter Hermine in einer der wenigen humorvollen Passagen am Ende des Buches. Balàka hat sie als Erzählerin eingesetzt und damit einen für das lange unentschlossen wirkende Buch produktiven zweifachen Konflikt eingebaut.
Lange weiß man nämlich nicht so recht, worauf das Buch hinauswill. Reichenbachs abenteuerliche Versuche, der geheimnisvollen Lebenskraft "Od" auf die Spur zu kommen, und seine erfolgreichen Experimente zur Holzverkohlung, werden zwar detailreich geschildert, doch zwischen den Schauplätzen Stuttgart und Tübingen, dem mährischen Blansko und dem Schloss Cobenzl auf dem Wiener Reisenberg verliert sich ein wenig der Fokus. Reichenbach kommt uns nicht wirklich näher. Er bleibt ein Hitz- und Rappelkopf, ein Emporkömmling und Selfmademan, der seine eigene Position fraglos im Zentrum sieht - als Herr über die Elemente und über das Schicksal. Auch über das Schicksal seiner Töchter. Und das wird zum Schlüssel des Buches.
Hermine eifert ihrem Vater als Wissenschafterin nach, assistiert ihm bei seinen Versuchen und Unternehmungen und wird zu einer weithin geschätzten Botanikerin. Ihre musisch begabte Schwester Ottone ist da ganz anders, das befeuert Konflikte, die den Patriarchen irritieren. Denn der verwitwete Mann sieht es als selbstverständlich, dass die Töchter unverheiratet bleiben und ihrem Vater ihr Leben weihen - als Helferinnen und Unterhalterinnen. Das geht lange gut - aber nicht ewig. Die Gesellschaft ist im Aufbruch, die Revolution von 1848 rüttelt an den Grundfesten ihres Gefüges. Dagegen weiß "Der Zauberer vom Cobenzl" kein Mittel.
Mehr als alles andere ist Balàkas Buch eine Emanzipationsgeschichte. Und Hermine erkämpft sich nicht nur ihre Freiheit, sondern widerlegt auch die bittere Vorhersage ihres Vaters, der ihr, gestützt auf den medizinischen Befund des Hausarztes anlässlich einer schweren Erkrankung seiner Tochter im Kindesalter, bleibende Kinderlosigkeit vorhersagte. Sie sagt sich vom Vater los, überwindet die Ressentiments der wissenschaftlichen Community gegenüber den angeblich zu geistig Leistungen unfähigen Frauen und schenkt einer gesunden Tochter das Leben. Das 20. Jahrhundert kann kommen!
(S E R V I C E - "Der Zauberer vom Cobenzl" von Bettina Balàka, Haymon Verlag, 204 Seiten, 19,90 Euro)
Zusammenfassung
- "Der Zauberer vom Cobenzl" ist keineswegs arm an außergewöhnlichen Ereignissen.
- Balàka hat sie als Erzählerin eingesetzt und damit einen für das lange unentschlossen wirkende Buch produktiven zweifachen Konflikt eingebaut.
- Ihre musisch begabte Schwester Ottone ist da ganz anders, das befeuert Konflikte, die den Patriarchen irritieren.
- (S E R V I C E - "Der Zauberer vom Cobenzl" von Bettina Balàka, Haymon Verlag, 204 Seiten, 19,90 Euro)