"Der Wald" unterhält in der Josefstadt auf hohem Niveau
Wenn der Chefdramaturg vor der Premiere die Bühne betritt, verheißt das meist nichts Gutes. Im Falle von "Der Wald" wurde es im Publikum hörbar unruhig, als Matthias Asboth die krankheitsbedingten Umbesetzungen des Abends ankündigte. Schließlich stehen hier mit Direktor Herbert Föttinger, dem vormaligen Volksoperndirektor und nunmehrigem Josefstadt-Debütanten Robert Meyer und Andrea Jonasson mit ihrem 60-jährigen Bühnenjubiläum drei Stars auf der Bühne. Und so war das Aufatmen groß, als Asboth schließlich Till Firit und Alexandra Krismer dankte, die kurzfristig für Alexander Strömer und Susanna Wiegand - beide in kleinen, aber feinen Nebenrollen - eingesprungen sind.
Regisseur Stephan Müller setzt in seiner knapp dreistündigen Inszenierung gemeinsam mit Bühnenbildnerin Sophie Lux und Kostümbildnerin Birgit Hutter optisch auf die zeitliche Verortung im russischen Kaiserreich. Und so verströmt der erste Akt, in dem Jonasson als mondäne Gutsbesitzerin darüber verfügt, wen ihre verarmte Nichte (Johanna Mahaffy) zu heiraten hat und sich mit schlitzohrigen Holzhändlern herumschlägt, den Geruch eines Kostümschinkens. Doch spätestens wenn sich die schlichte, graue Kulisse des Landguts im zweiten Akt hebt und einen riesigen, von einem Video ausgefüllten Vollmond freigibt, der eine karge Landschaft mit schräger Ebene in sanftes Licht taucht, entfalten zuvor nur angedeutete Verfremdungseffekte ihre volle Wirkung.
Hier, mitten im Wald, treffen mit Föttinger und Meyer zwei in die Jahre gekommene, bitterarme Schauspieler aufeinander, die einander in stetem Konkurrenzdenken nichts schuldig bleiben. Kurzerhand beschließen sie, der alten Gutsbesitzerin eine Komödie vorzuspielen. Schließlich ist sie die greise, reiche Tante des Einen (Föttinger); allerdings hat er sich jahrzehntelang als Offizier ausgegeben, der nun meisterhaft zu spielen ist, um einen Teil des Erbes abzustauben. Es ist eine reine Freude, den beiden (Ex-)Direktoren zuzuschauen, wenn sie Glanz und Schmach des Schauspielerdaseins lustvoll explorieren. Denn ihre Zunft ist in der feinen Gesellschaft nicht gut angeschrieben.
Während sich Jonasson - grandios zwischen intriganter Herrscherin und machtloser Witwe changierend - nur oberflächlich über die Rückkehr des verlorenen Neffen freut, gerät der auserwählte Bräutigam der Nichte (zum Schreien komisch: Claudius von Stolzmann) ins Schwitzen - wähnt er doch seine baldige Übernahme des Guts durch den potenziellen Erben gefährdet. Einen Verbündeten im Neuankömmling wittert die arme Nichte, die eigentlich einen anderen als den für sie Auserwählten liebt.
Und so galoppiert diese Inszenierung durch das weite Land von Lug und Betrug, von Schein und Sein und bietet dank der großen Spielfreude und meisterhaften Rollenausgestaltung einen Abend, der von viel Zwischenapplaus und Gelächter aus dem Saal begleitet wird. Geschenkt, dass Föttinger und Meyer sich den einen oder anderen Seitenhieb auf subventioniertes Theater und allmächtige Intendanten nicht verkneifen. Am Ende ist alles anders als von allen Beteiligten geplant, aber besser als erhofft. Und das Theater in der Josefstadt selbst hat einen potenziellen Publikumsmagneten. In Zeiten wie diesen bitter nötig. Grund zur Freude gab es bei der Premierenfeier auch für Jonasson, der die Ehrenmitgliedschaft des Hauses verliehen wurde.
(S E R V I C E - "Der Wald" von Alexander Ostrowskij, aus dem Russischen von Ulrike Zemme. Regie: Stephan Müller, Bühne und Video: Sophie Lux, Kostüme: Birgit Hutter. Mit u.a. Andrea Jonasson, Johanna Mahaffy, Herbert Föttinger, Robert Meyer und Claudius von Stolzmann. Weitere Termine: 24. sowie 28. bis 31. Oktober, 3. bis 5., 13., 16., 17. und 25. November. Infos und Tickets unter www.josefstadt.org)
Zusammenfassung
- Mit u.a. Andrea Jonasson, Johanna Mahaffy, Herbert Föttinger, Robert Meyer und Claudius von Stolzmann.