Bregenzer "Judith von Shimoda" weiß zu überzeugen
In Walter Kobéras Programmgestaltung haben nicht nur druckfrische Kompositionen Vorrang, der Dirigent und Leiter der Neuen Oper Wien hält nach gesellschaftskritischen Inhalten Ausschau. Elisabeth Sobotka, Intendantin der Bregenzer Festspiele, war sich mit ihm somit rasch einig. Die Kombination des tragischen Schicksals von Puccinis "Madame Butterfly" auf dem See mit der Geschichte einer Geisha, der zwar anders, aber ziemlich arg mitgespielt wird, das hat etwas.
Juan Lucas hat aus der 1929 veröffentlichten, auf einer historischen Überlieferung basierenden Kernhandlung von Yamamoto Yūzō, dem von Brecht und Wuolijoki um 1940 im finnischen Exil erstellten Rahmen sowie der 2006 geschaffenen Überarbeitung des Germanisten Hans Peter Neureuther ein Libretto zurechtgestutzt. Darin wird es den Gästen eines japanischen Medienmoguls und Politikers - darunter ein Engländer und eine Amerikanerin - ermöglicht, die Szenen eines Theaterstücks aus dem 19. Jahrhundert ausführlich und dabei auch zynisch zu kommentieren. Dieses handelt von der Geisha Okichi, die den Auftrag annimmt, einen amerikanischen Konsul zu bedienen, um die Gefahr der Beschießung der Stadt Shimoda abzuwenden. Das Interessante daran: Okichi ahnt, dass ihr die Profiteure ihres Handelns für ihre Tat nicht danken werden, sondern dass sie danach als "Ausländerhure" geächtet wird.
Was tun, damit sich das ursprüngliche Konstrukt mit mehr Spannung auflädt als bei der Schauspielerstaufführung im Jahr 2008 im Wiener Theater in der Josefstadt? Kobéra und Sobotka vertrauten auf die Ideen des argentinischen Komponisten Fabián Panisello, der mit der Neuen Oper Wien bereits "Le Malentendu" umsetzte, sowie auf ein Aufführungskonzept, das sichtlich nicht darunter gelitten hat, dass Carmen C. Kruse erst vor einem guten Monat für Philipp M. Krenn ins Team kam. Die österreichische Regisseurin legt den Fokus auf die Mythenbildung rund um den Einsatz von Okichi, die laut Überlieferung bzw. bei Yamamoto Yūzō in der Folge säuft, verarmt und der Nachwelt als Projektionsfläche dient.
Die unterschiedlichen Zeitebenen auszuklammern, stellt sich weder für die Regie noch für die Ausstatterin Susanne Brendel als Problem dar. Die Kostüme sind mehr oder weniger heutig und oft genderneutral, ein großer Spiegel über der leeren Spielfläche lässt die Bewegungen der Personen aus zwei Perspektiven betrachten, ab und zu dient er als Videowand, auf der Bilder von menschlicher Haut eine Intimität erzeugen, ohne dass dieser Effekt zu platt gerät. Am Ende nutzt Kruse diese Möglichkeit zur Betonung ihrer Sicht der Dinge. Die ausgestoßene Okichi zeichnet ihr Porträt, gewinnt durch die künstlerische Betätigung wieder an Kraft und bestimmt selbst, wie sie gesehen werden will.
In Verbindung mit einer Bewegungsregie des Ensembles, in die Gesten des Protests eingebaut sind, die an die Geschichte des Kampfes von Frauen gegen Gewalt und für Gleichberechtigung denken lassen, geschieht nicht zu viel des Plakativen. Der rasche Wechsel der Szenen mit den Kommentierenden und den Handelnden, die zum Teil von denselben Sängerdarstellern verkörpert werden und eine Komposition, die vorsieht, dass einzelne Instrumentalisten immer wieder mit den Sängerinnen und Sängern in den Dialog treten, hält hellwach.
Mit Streichern, einer E-Gitarre, viel Schlagwerk, Saxofon, Electronic und einer imposanten Bläserbesetzung erreicht Fabián Panisello ein Klangbild, auf dessen erkennbare Schichtungen Walter Kobéra mit dem amadeus ensemble wien gewinnbringenden Wert legt. Die Zuordnung der jeweiligen Instrumente zu den Protagonisten bleibt möglich, wird aber packend variiert, ohne die Narration ins Stocken zu bringen.
Angesichts von Sprechpassagen, die sehr rasch in Gesang bis zum Ausreizen des jeweiligen Stimmumfangs übergehen, sind die zusätzlichen Raumklangeffekte verzichtbar. Sie stören allerdings nicht, laufen sie der enormen Ausdrucksskala der Solisten sowie des Wiener Kammerchores doch nie den Rang ab. Mit präziser Rollengestaltung und wie ein kleines Kraftwerk zieht Anna Davidson (Okichi) die Aufmerksamkeit auf sich. Schön, dass die Musik mit tönendem Herzschlag ihr Ende offen lässt. Auch Gan-ya Ben-gur Akselrod (Osai, Ray), Harald Hieronymus Hein (Heusken, Akimura), Alexander Kaimbacher (Saito), Martin Lechleitner (Tsurumatsu) und Megan Kahts (Ofuku) vermitteln, sich trotz des hohen Schwierigkeitsgrades in den jeweiligen stimmlichen Anforderungen wohl zu fühlen.
Die Kombination einer ostentativen Botschaft in der Handlung mit einer komplexen Komposition ergibt frisches, neues Musiktheater, das "Die Judith von Shimoda" rehabilitiert. Das Uraufführungspublikum bedachte die Inszenierung mit viel Applaus.
(S E R V I C E - "Die Judith von Shimoda" von Fabián Panisello/Juan Lucas nach dem Schauspiel "Nyonin Aishi. Tōjin Okichi Monogatari" (Tragödie einer Frau. Die Geschichte der Ausländerin Okichi) von Yamamoto Yūzō in der nachgelassenen Bearbeitung von Bertolt Brecht und Hella Wuolijoki. Musikalische Leitung: Walter Kobéra; Inszenierung: Carmen C. Kruse; Bühne/Kostüme: Susanne Brendel; Licht: Norbert Chmel; Klangregie/Liveelektronik: Christina Bauer. Mit Okichi - Anna Davidson; Saito - Alexander Kaimbacher; Ofuku/Clive - Megan Kahts; Tsurumatsu/Kito - Martin Lechleitner; Henry Heusken/Akimura - Harald Hieronymus Hein; Osai/Ray - Gan-ya Ben-gur Akselrod; Townsend Harris - Timothy Connor; Fürst Isa - Karl Huml. Eine weitere Aufführung am 19. August. https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/die-judith-von-shimoda)
Zusammenfassung
- Mit "Die Judith von Shimoda" von Fabián Panisello haben die Bregenzer Festspiele ihre Uraufführungsserie am Donnerstagabend fortgesetzt.