Bregenzer Festspiele: "Mondmilch trinken" uraufgeführt
In Anlehnung an den Pakt, den Max im "Freischütz" mit dem Teufel eingeht, um eine treffsichere Munition für jenes Probeschießen zu erhalten, mit dem er die Eheerlaubnis erlangen will, war den Teilnehmern am Dramenwettbewerb das Thema "Deal or no deal" vorgegeben. Was die Auslober wünschten, hat der gebürtige Salzburger Josef Maria Krasanovsky mit jemandem in Verbindung gebracht, der sich gegen ein Normativ stemmt. Ein zentrales Motiv im "Freischütz" von Carl Maria von Weber, der neuen Inszenierung auf der Bregenzer Seebühne, sieht er in der Frage, wie weit man geht, um seine Wünsche umzusetzen.
"Max geht sehr weit", betont der Autor und Regisseur im Gespräch mit der APA: "Wir dealen nun nicht mehr mit dem Teufel, aber es sind viele kleine Deals, die wir täglich mit uns aushandeln. Muss ich beispielsweise ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich in ein Auto steige?" Die eminent wichtigen Kugeln im "Freischütz" mutieren bei ihm zu Personen. "Jetzt machen wir mal alle mit", heißt ihr erster Satz. Im Chor erweisen sie sich als Kollektiv, aus dem einer ausschert, denn er will lieber Dreieck sein oder ein Quadrat oder überhaupt ein Polygon.
Krasanovskys Stück behandelt weiters die Annahme, dass Menschen heutzutage laufend damit konfrontiert sind, sich positionieren zu müssen. Um den daraus resultierenden Stress abzuwenden, hilft Entspanntheit - Mondmilch soll sie fördern. Theaterbesucher können das dargereichte Gebräu verkosten. Wem das "Freischütz"-Libretto von Friedrich Kind erinnerlich ist, der weiß, dass die Geister in der Wolfsschlucht von der "Milch des Mondes" singen, die "aufs Kraut" fiel. Ist es nun der Name eines beruhigenden Getränks oder die umgangssprachliche Bezeichnung für Calcitablagerungen, "Mondmilch" klingt jedenfalls poetisch.
Aber nicht nur. "Nehmt und trinkt, wer weiß, wie lange noch was da ist", heißt es im Text, der auch vom Ressourcenverbrauch, dem Artensterben und der Klimakrise handelt. Bevor der Autor Gefahr laufen kann, belehrend zu wirken, kippt er sein Stück ins Surreale und formt assoziative Bilder, die er mit Claudia Carus, Johanna Hainz, Sophie Hewig, Benjamin Kornfeld, Sascha Schicht und Valentin Späth umsetzt, die sich bestens auf den permanenten Rollenwechsel, auf Tanzen oder gar Beatboxen verstehen und farbenreich deklamieren.
Ein Kakapo beschwert sich, dass er, gemessen an den Ausgaben für den Erhalt seiner Population, weniger wert ist als der ebenfalls gefährdete Sumatra-Orang-Utan. Sascha Schicht agiert im Gehrock vor einer wunderbaren Dschungelprojektion, berührt und amüsiert. Die Parlamentsabgeordnete Ilse und ihr Mann Werner haben in Aufwallung von Altruismus ein Mädchen aus Bangladesch adoptiert. Beim Versuch, ihr den Begriff Heimat zu erklären, scheitert der dazu auf die Bühne gerufene Mann mit den "zwei Ichs", nämlich der einst mit den Nationalsozialisten kollaborierende Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun, kläglich.
Luke Iseman entwickelt eine Methode gegen die Erderwärmung durch Versprühen von Titandioxid in der Stratosphäre, was das Sonnenlicht filtert und einen Kühleffekt auslösen würde. Wir wissen es, so einfach ist das nicht. Selbst wer die Anspielungen wie etwa an den UFA-Star Ilse Werner, an die geteilten Kugelmenschen in Platons "Gastmahl" oder an den die Geschichte zum Happy End führenden Eremiten im "Freischütz" nicht gleich dechiffriert, geht nicht leer aus. Wie Krasanovsky seinen Text umsetzt, ist inklusive des Einsatzes des Horn-Motivs aus der Oper oder der Einblendung eines Wolfes anregend und präzise. "Keine Panik" ruft einmal gar das Weltall, und zwar mit einem Augenzwinkern, das einige Längen in den Szenenabläufen zu überspielen vermag und sogar die Aufforderung ans Publikum zur Aufstellung für ein Fotodokument nicht zur Banalität verkommen lässt.
Wie es zu all dem kam? Die Leitungsteams der Bregenzer Festspiele sowie der Bühnen der Österreichischen Theaterallianz, der das Bregenzer Theater Kosmos, das Klagenfurter Ensemble, das Theater Phönix in Linz, das Theater am Lend in Graz sowie die Schauspielhäuser in Wien und Salzburg angehören, haben je zwei Autorinnen oder Autoren zu einem Wettbewerb geladen. Mit dem Exposé seines Stücks konnte sich der in Salzburg geborene Josef Maria Krasanovsky auf der Shortlist positionieren, nominiert vom Klagenfurter Ensemble wurde sein Text dann zum Siegerstück gekürt. Das heißt, dass nach der Uraufführung in Bregenz die Übernahme der Produktion auf die Spielpläne der Bühnen der Allianz erfolgt und Adaptionen in Aussicht gestellt sind. Auch diese mit Interesse zu erwarten, das lässt dieser Text auf jeden Fall zu.
(Von Christa Dietrich/APA)
(S E R V I C E - "Mondmilch trinken immer und jetzt" von Josef Maria Krasanovsky. Inszenierung und Ausstattung: Josef Maria Krasanovsky. Video: Dominika Kalcher. Choreografie: Silvia Salzmann. Mit Claudia Carus, Johanna Hainz, Sophie Hewig, Benjamin Kornfeld, Sascha Schicht, Valentin Späth. Weitere Aufführung am 3. und 4. August, 20.00 Uhr, im Theater Kosmos in Bregenz: www.bregenzerfestspiele.com)
Zusammenfassung
- Die Bregenzer Festspiele haben das Stück 'Mondmilch trinken' von Josef Maria Krasanovsky uraufgeführt, das die Fortsetzung einer dreijährigen Zusammenarbeit mit der Österreichischen Theaterallianz darstellt.
- Das Stück thematisiert moderne moralische Dilemmas und Deals, inspiriert von der Oper 'Der Freischütz', und behandelt Themen wie Ressourcenverbrauch, Artensterben und die Klimakrise.
- Die Premiere wurde vom Publikum gefeiert und enthält zahlreiche Anspielungen auf kulturelle und literarische Werke, die für zusätzliche Tiefe sorgen.
- Das Ensemble, bestehend aus Claudia Carus, Johanna Hainz, Sophie Hewig, Benjamin Kornfeld, Sascha Schicht und Valentin Späth, beeindruckt durch ihre Vielseitigkeit und die Umsetzung surrealer und assoziativer Bilder.
- Nach der Uraufführung in Bregenz wird das Stück auch auf anderen Bühnen der Österreichischen Theaterallianz aufgeführt, mit weiteren Aufführungen am 3. und 4. August.