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Angewandte-Rektorin will "die Welt von übermorgen gestalten"

Ab 1. Oktober ist Petra Schaper Rinkel Rektorin der Universität für angewandte Kunst Wien und übernimmt das Amt von Gerald Bast, der das Haus seit dem Jahr 2000 geleitet hat. Ihre Inauguration findet am 2. Oktober statt. Unter ihrer Leitung stelle die Angewandte "den Anspruch, die Welt von übermorgen zu gestalten", sagt die 57-jährige Deutsche im APA-Antrittsinterview, "denn viele unserer Absolventinnen und Absolventen wollen sich nicht in die Welt von morgen einfinden."

Bei der Bekanntgabe der Wahl freute sich Uniratsvorsitzender Thomas Jakoubek darüber, dass eine "renommierte und engagierte Innovationsforscherin" das Amt übernehme. Tatsächlich scheint die promovierte Politikwissenschafterin, die lange am Austrian Institute of Technology (AIT) gearbeitet hat und an der Universität Graz Vizerektorin für Digitalisierung und Internationalisierung und Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung des digitalen Wandels war, eher für das IDSA, das neue Institute of Digital Sciences Austria in Linz, als für die Angewandte prädestiniert zu sein. Nein, sie habe sich dort nicht beworben, reagiert Schaper Rinkel ein wenig indigniert auf eine entsprechende Nachfrage.

Dass sie nun nicht einer technischen, sondern einer Kunst-Uni vorsteht, scheint ihr durchaus logisch: "Für mich sind Kunstuniversitäten der Bereich, der im Moment noch die Kapazität hat, über eine industrialisierte Forschung und Bildung hinaus noch Neues zu kreieren. In der europäischen Wissenschaftspolitik der letzten 30 Jahre kann man sehen, dass die Spielräume für Grundlagenforschung, für spekulatives Denken immer stärker zurückgedrängt wurden. Daher war die Angewandte der Ort, an dem ich mich sehe."

Die Veränderungen der Gesellschaft seien dramatisch und unabwendbar, befindet Schaper Rinkel. "Wir befinden uns in einer grünen und in einer digitalen Transformation. Hier Position zu beziehen ist unabdingbar. Das Selbstverständnis der Angewandten ist es, Teil der Gesellschaft zu sein und die gesellschaftlichen Herausforderungen auf unterschiedliche Weise zu reflektieren." Wie die Klimakrise über die Sustainable Development Goals (SDGs) hinaus zu bewältigen sei, hält sie für eine der zentralen Fragen. Die Diskussion, ob sich Kunst der Wissenschaft beim Klimaaktivismus als Gefühlsaggregator zur Seite stellen oder doch jegliche Vereinnahmung verweigern solle, "verkürzt sowohl die Freiheit der Künste als auch die Freiheit der Wissenschaften", meint Schaper Rinkel. "Es muss sowohl eine 'Freiheit von' als auch eine 'Freiheit zu' geben. Dieser doppelte Freiheitsaspekt ist ganz wesentlich."

Im Gegensatz zu einer Politik, die von Normalität spreche, Mehrheitsmeinung und Hausverstand als Richtschnur nehme, seien die Wissenschaften durch Diversität und Pluralismus, durch eine Vielzahl an Methoden und Ansätzen charakterisiert. Es gehe darum, die Zukunft offen zu denken. "Wissenschaft wurde immer ergebnisfokussierter. Das Suchende und Experimentelle ist aus dem öffentlichen Wissenschaftsverständnis verschwunden. In der Vergangenheit sind die Fragestellungen immer kleiner geworden. Das war im Einzelnen durchaus wertvoll - es braucht aber auch das Spekulative, das Disziplinäre UND das Interdisziplinäre. Die Wissenschaften, die Künste und die Gestaltungsdisziplinen gewinnen auch an der Angewandten dadurch, wenn sie noch viel stärker verbunden und in eine permanente Auseinandersetzung miteinander gebracht werden."

Gefahren lauern überall. Etwa dort, wo durch zunehmende Wissenschaftsskepsis Fakten durch Meinungen ersetzt werden. "Wenn das, was wir vor wenigen Jahren als Vernunft betrachtet haben, verschwindet und durch eine Austauschbarkeit von Auffassungen ersetzt wird, ist das natürlich erschreckend." Auch die schnell vorangeschrittene Algorithmisierung unseres Lebens habe die Gesellschaft an einen prekären Punkt geführt: "Wir sind in einer extrem gefährlichen Situation. Ich glaube, es ist sehr vernünftig, Angst davor zu haben, wie es weiterlaufen könnte. Die erwartbare Zukunft ist demokratieunvereinbar und nicht nur demokratiegefährdend. Wir alle lassen uns in unserem Verhalten immer stärker steuern, wissentlich oder unwissentlich, einfach aus Bequemlichkeit."

Es sei wichtig, "dass wir wieder stärker das Handeln in den Vordergrund stellen, als Gegenteil von Verhalten. KI-Systeme haben unglaubliche Potenziale. Wir müssen sie aber sehr kritisch betrachten und massiv ihre Grenzen aufzeigen." Gerade Kunst habe nämlich Künstlicher Intelligenz immer etwas voraus, denn sie beruhe auf Kreativität. "Kreativität ist aber etwas zutiefst Menschliches. KI kann nur unendlich viele Variationen von etwas Vorgegebenem anbieten. Die Vorstellung einer kreativen Maschine ist für mich vollkommen absurd."

Wer mit Petra Schaper Rinkel spricht, hat das Gefühl, bald über den Dingen zu schweben und dadurch nicht nur Distanz, sondern auch Perspektive zu bekommen. Unweigerlich fragt man sich: Wie wird die neue Rektorin der Angewandten auf dem harten Boden der Uni-Realität landen? Man werde noch stärker als bisher auf die Einbeziehung von und kritische Auseinandersetzung mit algorithmischen Systemen und auf disziplinär gestützte Interdisziplinarität setzen, sagt sie, die Einbindung der Künste und des Designs auf Augenhöhe in Forschungsprojekte mit Natur- und Technikwissenschaften verstärken und dabei auch Führungsrollen beanspruchen. Kunst sei kein "Add on", "Artistic Research" keine bloße Spielwiese. "Da sehe ich ein großes Potenzial für die Angewandte."

Das "Internet der Dinge" könne in den Werkstätten der Angewandten mit Leben erfüllt werden, neue Technologien und Werkstoffe warteten darauf, mit und aus den Künsten entwickelt und ausprobiert zu werden. "Dazu brauchen wir auch große Räume, die das ermöglichen. Die vorhandenen reichen dafür nicht aus. Wir haben große Pläne." Diese will Petra Schaper Rinkel schon bald vorstellen.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

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  • Ab 1. Oktober ist Petra Schaper Rinkel Rektorin der Universität für angewandte Kunst Wien und übernimmt das Amt von Gerald Bast, der das Haus seit dem Jahr 2000 geleitet hat.