"Amadoka": Start des Ukraine-Epos von Sofia Andruchowytsch
"Du bist Bohdan Krywodjak. Du wurdest in einer kleinen Stadt in der Westukraine geboren. Du hast ein schwieriges Verhältnis zu deiner Familie. Du bist Archäologe. Du kennst dich mit Barock und Rokoko aus. Du warst im Krieg in der Ostukraine. Du hast Dinge erlebt, die nur wenige Menschen erleben müssen", antwortet die Frau, die sich liebevoll um ihn kümmert. "Ich bin deine Frau, Romana." Das will der innerlich wie äußerlich zerrissene Mann aber nicht so recht glauben. Und, das ist einer der Coups des Buches, auch in den Lesern wird mancher Zweifel daran geschürt.
Denn Romana ist das Spiel mit unterschiedlichsten Identitäten gewohnt. Als sie in einem Kiewer Archiv arbeitete, erschien Bohdan einst mit einem geheimnisvollen Koffer voller Fotos und Dokumente, den er großspurig zur Aufbewahrung und Bearbeitung übergab. Die Wissenschafter befanden: wertloses Zeug. Doch Romanas Interesse war geweckt. In der Folge schlich sie sich bei dessen Vater, einem bekannten plastischen Chirurgen, ein, gab sich als Putzfrau aus und gewann dessen Vertrauen. Bei der Lektüre ist es nicht ganz einfach, die unterschiedlichen Personen und Ebenen auseinanderzuhalten. Es ist ein sich ständig veränderndes Vexierbild, das die Autorin entstehen lässt, und die konkreten Anhaltspunkte sind rar.
Sofia Andruchowytsch, 1982 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Tochter des bekannten ukrainischen Autors Jurij Andruchowytsch, hatte ihren internationalen Durchbruch mit einem kurz vor 1900 im galizischen Städtchen Stanislau, dem alten deutschen Namen ihrer Heimatstadt, spielenden Roman. "Der Papierjunge" wurde in mehrere Sprachen übersetzt (2016 ins Deutsche) und auch verfilmt.
"Die Geschichte von Romana" ist der erste Teil ihrer "Amadoka"-Trilogie, benannt nach einem riesigen See, den es angeblich im Mittelalter auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gegeben haben soll. Die Bücher sollen heftige Diskussionen über die Rolle der Ukraine während des Nationalsozialismus sowie über die Krim-Annexion von 2014 ausgelöst haben.
Der Residenz Verlag hat bereits die Übersetzungen der beiden Folgebände angekündigt. Im Herbst erscheint "Die Geschichte von Uljana", der Großmutter Bohdans, die in der galizischen Kleinstadt Buczacz aufwuchs. Vom furchtbaren Ende des einst friedlichen Zusammenlebens der polnischen, ukrainischen, deutschsprachigen und jüdischen Bevölkerung hat der israelische Historiker Omer Bartov kürzlich in seiner "Anatomie eines Genozids" berichtet. "Die Geschichte von Sofia", die zu Zeiten von Stalinismus und Hungerkatastrophe spielt, ist dann für Herbst 2024 angekündigt. Sofia ist die Frau des Kiewer Dichters Mykola Zerow, der 1937 von Stalin-Agenten erschossen wird.
In dem Schlussband soll dann auch Bohdans Frage beantwortet werden: "Wer bin ich?" Diese Frage, das macht Andruchowytsch deutlich, ist mit dem Vorweis einer gültigen Identitätskarte freilich noch lange nicht befriedigend beantwortet.
(S E R V I C E - Sofia Andruchowytsch: "Die Geschichte von Romana. Das Amadoka-Epos", Aus dem Ukrainischen übersetzt von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck, Residenz Verlag, 304 Seiten, 25 Euro, Gespräch mit den Übersetzer:innen: 15.3., Literaturhaus Wien, Wien 7, Seidengasse 13, Lesung: 28.3., Hartliebs Bücher, Wien 9, Porzellangasse 36)
Zusammenfassung
- "Die Geschichte von Romana" ist der erste Teil ihrer "Amadoka"-Trilogie, benannt nach einem riesigen See, den es angeblich im Mittelalter auf dem Gebiet der heutigen Ukraine gegeben haben soll.
- Im Herbst erscheint "Die Geschichte von Uljana", der Großmutter Bohdans, die in der galizischen Kleinstadt Buczacz aufwuchs.
- "Die Geschichte von Sofia", die zu Zeiten von Stalinismus und Hungerkatastrophe spielt, ist dann für Herbst 2024 angekündigt.