Abgesang auf das fossile Zeitalter: "Öl!" im Volkstheater
In der letzten halben Stunde des inklusive Pause zwei Stunden 45 Minuten dauernden Abends wird das Konzept klar und der lange Atem zur Schnappatmung: Der Welt geht die Luft aus und statt dem massigen, selbstsicheren "Ölmann" Ross (Andreas Beck), der im Kalifornien des Jahres 1912 in Goldgräberstimmung Land in großem Stil aufkauft und Weizen- in Ölfelder verwandelt, steht eine junge Aktivistin (Lavinia Nowak) auf der Bühne und singt, begleitet von bedrohlichem Rockmusik-Gewitter und Bildern brennender Ölfelder gegen die Katastrophe an, während ölverschmierte Vögel tot vom Himmel fallen.
Die Aktivistin war zuvor Paula Watkins, eine von drei verarmten Geschwistern, denen Ross ihr Land abkauft, und die als Arbeiterin bei der Ölförderung schuften darf, eine Gewerkschaft gründen will und sogleich den engen Zusammenschluss von Wirtschaft und Politik zu spüren bekommt: Die USA treten in den Weltkrieg ein, jetzt auf seinen sozialen Rechten zu bestehen wird als unpatriotisch angeprangert. Die Treibstoff- und Rüstungsindustrie verspricht sich vom Krieg Riesen-Gewinne, und auch in der Filmindustrie steckt das Geld der Ölkonzerne, erfährt man. Erdöl war das Antriebsmittel für den enormen Aufschwung des 20. Jahrhunderts. Ein Aufschwung, der, wie wir heute wissen, nicht nur Wohlstand gebracht, sondern auch viele Opfer gefordert hat.
Der von Upton Sinclair geschilderte Ölrausch diente Paul Thomas Anderson 2007 als Vorlage für seinen eindrucksvollen Film "There Will Be Blood", dessen Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis einen Oscar erhielt. "Öl!" kann naturgemäß nicht mit der Bildkraft des Films mithalten, vermittelt dennoch gut die Faszination dieses schwarzen, schmierigen, zähen Kraftstoffs, in dem sich die Millionen Jahre alte Erdgeschichte ohne Menschen verdichtet hat zu einer Ressource, deren Ausbeutung nun wieder für die drohende Entvölkerung der Erde verantwortlich ist.
Bühnenbildner Wolf Gutjahr hat die Spielfläche etwas unübersichtlich gestaltet und setzt auf Insignien des Ölzeitalters: Bohrtürme und Pipelines. Die heimischen Raffinerien und Öltanklager kommen in den geschickt eingesetzten Videos ins Bild. Manches, wie etwa ein Neon-Kreuz, das öfters bespielt wird, erschließt sich nicht (die religiöse Komponente des Romans bleibt ein eher verwirrender Nebenstrang des Theaterabends), dafür gibt es ein Spitalsbett, in dem mit hässlicher Regelmäßigkeit die Bohr-Ingenieure (stets gespielt von Uwe Schmieder) landen. Der Fortschritt fordert seine Opfer.
Das Volkstheater-Ensemble zeigt sich wieder einmal von seiner besten Seite. Die acht eingesetzten Schauspieler haben viele Rollen zu bewältigen und glänzen auch an Instrumenten. Die beiden Nestroy-Preisträger Elias Eilinghoff und Samouil Stoyanov erweisen sich erneut preiswürdig. Eilinghoff steht als Sohn des Ölbarons zwischen allen Fronten, fasziniert vom technischen Fortschritt und von der Durchsetzungskraft seines Vaters, verliebt in Paula und entsetzt von der Brutalität des Kapitalismus. Stoyanov stellt erneut seine Vielseitigkeit unter Beweis und gestaltet unnachahmlich u.a. einen Wal, der gerade ausgenommen wird, den Austro-Diktator Engelbert Dollfuß (in einer seltsamen Rede, deren Text fragwürdig und mit wenig Zusammenhang zum Thema scheint) sowie den Terroristen Carlos in einer grandios-komischen Nachstellung des OPEC-Überfalls (bei der freilich auf die Gefühle der Nachkommen der Opfer keine Rücksicht genommen wird).
Stoyanov brilliert auch als Kohlenstoff-Atom in einem kurzen Animationsfilm und macht zudem am Schlagzeug blendende Figur. Der Sound von Xell, der auch als Live-Musiker aktiv ist, zählt zu den vielen Aktivposten dieses Abends, der gegen Ende deutlich an Geschwindigkeit und Eindringlichkeit zunimmt und im Schlusssong in die brutale Ansage der Aktivistin mündet: "Ihr werdet uns töten. Wir werden euch töten!" Sascha Hawemann scheut sich nicht, Namen zu nennen. Man hört, rund 20 globale Konzerne mit an die 500 Entscheidungsträgern seien für die gegenwärtige Situation verantwortlich und dafür, dass viel zu wenig getan wird, die sich lange abzeichnende Katastrophe abzuwenden. Die Namen der Firmen und deren Bosse laufen über die Leinwand. Die OMV ist mit ihrem CEO Alfred Stern vertreten.
Doch am Ende steht kein Mordaufruf, sondern Resignation. "Wir töten euch nicht. Ihr habt uns schon getötet." - Was man dagegen noch unternehmen könnte, darum geht es u.a. bei der Veranstaltung "Tiefenbohrung - ein Wochenende über Triumph und Tragödie des Ölzeitalters" von 24. bis 26. Februar. Schön wäre es, wenn Ministerin Gewessler dann wieder den Weg ins Volkstheater fände und mitdiskutieren würde.
(S E R V I C E - "Öl!", frei nach dem gleichnamigen Roman von Upton Sinclair in einer Bühnenfassung von Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz. Regie: Sascha Hawemann, Bühne: Wolf Gutjahr, Kostüme: Hildegard Altmeyer, Live-Musik: Xell. Mit Andreas Beck, Elias Eilinghoff, Frank Genser, Irem Gökçen, Lavinia Nowak, Uwe Schmieder, Samouil Stoyanov, Friederike Tiefenbacher. Volkstheater Wien. Nächste Vorstellungen: 2., 24., 26.2., www.volkstheater.at)
Zusammenfassung
- Die Fassung von Regisseur Sascha Hawemann und Anne-Kathrin Schulz führt von Ölfieber und Aufbruchsstimmung in einem weitem Bogen in die heutige Klimakatastrophe.