"0 1 2": Daniel Wisser holt einen Toten zurück ins Leben
Null, Eins, Zwei - der Titel des Buches, das morgen im Literaturhaus Wien präsentiert wird, spielt auf das Konzept an, das der Computerpionier Erik seiner erfolgreichsten Erfindung zugrunde legte: Nicht zwei, sondern drei mögliche Zustände als Basis eines nicht binären, sondern ternären Computers, der höhere Rechen- und Speicherleistung bei viel geringerem Energieaufwand bieten sollte. Der Dreischritt statt die einfache Alternative Leben oder Tod wird auch zum Sinnbild für seine eigene Existenz: erstes Leben, zweites Leben und Tod. Der kommt jedoch, so die Prognosen der Ärzte, schon bald wieder. Denn dem 30 Jahre zuvor an Krebs Gestorbenen ist nach einer Operation nur eine geringe zweite Lebenszeit geschenkt. Es ist eine "Jedermann"-Konstellation, die der bis auf die Knochen abgemagerte, geistig aber vollfitte Nerd nicht zu Buße und Läuterung, sondern zu Recherche und Rache nützt.
Denn der Auferstandene wird nicht nur mit einer Welt konfrontiert, die in technischer Hinsicht große Fortschritte gemacht hat, moralisch und ethisch jedoch eher regrediert ist, sondern macht auch so manche unliebsame Entdeckung in eigener Sache. Vieles deutet darauf hin, dass sein Tod vermieden werden hätte können, die rettende Operation jedoch bewusst unterblieben ist. Wer dahinter steckte, ist nicht eindeutig. Es gibt aber Indizien. Etwa, dass sein früherer Geschäftspartner nun mit Eriks ehemaliger Frau verheiratet ist - und die Computerpatente zu Geld gemacht wurden.
Daniel Wissers bisher größter Erfolg, der 2018 mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnete Roman "Königin der Berge" , handelte von einem Todkranken, der Verbündete suchte, die ihm beim selbstbestimmten Sterben assistieren. Nun beleuchtet er das Thema von der anderen Seite: In "0 1 2" versucht der wiedergeborene Protagonist, den eigenen Tod aufzuklären. Das ist witzig, mitunter boshaft, klar zeitkritisch und raffiniert gebaut. Das Buch ist vieles in einem. Wisser selbst spricht von einem Rache-, Schelmen- und Familienroman. Es ist aber auch ein ernüchternder Beziehungsroman und ein desillusionierender Gegenwartsbefund.
Erik wird mitten in die Corona-Pandemie samt ihren Begleiterscheinungen wiedergeboren und kommt aus dem Wundern nicht mehr heraus. Als seine Story publik wird, sieht er sich einem medialen Hype ausgesetzt, dessen Oberflächlichkeit ihn bestürzt. Weniger die Tatsache, dass die Computer während seiner 30-jährigen Absenz immer kleiner und mobiler wurden, verblüfft ihn, sondern, dass die Autos immer schwerer und größer wurden. Irgendetwas läuft da falsch, konstatiert er, und äußert den Wunsch, den einen oder anderen SUV in Flammen aufgehen zu sehen. Als dies in der Folge gleich mehrfach passiert, ist klar, dass der Verdacht auf Erik fällt. Doch der hat stets ein Alibi.
"0 1 2" versteht es immer wieder zu überraschen. Kleine Längen werden durch Originalität ausgeglichen. Zwischendurch bekommt man an den unvermutetsten Stellen Beatles-Songs serviert und gegen Ende, als Erik Bekanntschaft mit dem österreichischen Asylsystem macht, wird die Geschichte pure Satire. Im Gegensatz zur Hauptfigur kann man als lesende "Einwegexistenz" also immer wieder konstatieren: Einmalig!
Einen hochkarätigen Fan hat Wisser mit seinem heute erscheinenden Buch bereits gewonnen: "Liebe Einmalgeborene, es nützt nichts, Sie müssen es ein zweites Mal versuchen! Das Immergleiche passiert immer wieder, es schaut nur jedes Mal anders aus", wirbt der Verlag mit einer Empfehlung von Elfriede Jelinek: "Aus diesem Buch können Sie erfahren, was passiert ist, während Sie tot waren. Lesen Sie es, sonst versäumen Sie was!"
(S E R V I C E - Daniel Wisser: "0 1 2", Luchterhand Literaturverlag, 448 Seiten, 25,70 Euro, Buchpremiere: Donnerstag, 14. September, 19 Uhr Literaturhaus Wien, Wien 7, Seidengasse 13)
Zusammenfassung
- Erik Montelius ist 1991 gestorben.
- So wurde der "Eismann" aufgetaut und ins Leben zurückgeholt - als erster Mensch.
- Der Dreischritt statt die einfache Alternative Leben oder Tod wird auch zum Sinnbild für seine eigene Existenz: erstes Leben, zweites Leben und Tod.
- Der kommt jedoch, so die Prognosen der Ärzte, schon bald wieder.
- Im Gegensatz zur Hauptfigur kann man als lesende "Einwegexistenz" also immer wieder konstatieren: Einmalig!