Wie war das mit den falschen Hitler-Tagebüchern?
Exakt elf Tage vergehen zwischen einer vermeintlichem Weltsensation und dem journalistischen "Super-GAU": Keine zwei Wochen, nachdem das Hamburger Magazin "Stern" bei einer Pressekonferenz die ersten angeblichen Tagebücher von Adolf Hitler präsentiert, holt die Verantwortlichen die Realität ein. Experten des Bundeskriminalamts und des Bundesarchivs entlarven die Hefte als Fälschung, sogar als eine eher plumpe. Die Ereignisse kosten Chefredakteure den Job, bringen einige der Hauptakteure vor Gericht - und sorgen bis heute für Stirnrunzeln über das eklatante journalistische Versagen.
1983
Von derlei Selbstzweifeln ist am 25. April 1983 in der "Stern"-Redaktion noch nichts zu spüren. An jenem Tag hält Starreporter Gerd Heidemann stolz einige der schwarzen Kladden mit den roten Siegeln in die Kameras der Kollegen. Nie für möglich gehaltende Einblicke in Hitlers Seelenleben verheißen die Tagebücher - eine Sensation für eine Öffentlichkeit, die sich einer gewissen diabolischen Faszination für den NS-Diktator und Völkermörder nie so recht entziehen mochte.
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Zweifel an der Echtheit der Tagebücher kanzelt "Stern"-Chefredakteur Peter Koch als "Ferndiagnosen" ab. Die Geschichte des Dritten Reichs müsse jetzt umgeschrieben werden, davon sind die Blattmacher überzeugt. Dass kein überlebender Führer-Mitarbeiter je etwas von Tagebüchern Hitlers mitbekam, ficht den "Stern" ebenso wenig an wie weitere historische Fakten, die Zweifel nähren: So hatte zum Beispiel Hitler bei Kriegsende in großem Umfang Dokumente vernichten lassen.
"Jetzt ist die Kacke am Dampfen."
Am 6. Mai 1983 machen die Experten von Bundeskriminalamt und Bundesarchiv dem Spuk ein Ende: Das Papier, auf dem die angeblichen Tagebücher entstanden, enthält chemische Aufheller, die erst nach Kriegsende auf den Markt kamen. Ganze Passagen scheinen aus längst veröffentlichten Quellen abgeschrieben, es gibt inhaltliche Fehler. "Stern"-Herausgeber Henri Nannen tritt die Flucht nach vorne an: Der "Stern" schäme sich, erklärt er. Intern soll er drastischer geworden sein: "Jetzt ist die Kacke am Dampfen."
4,7 Millionen Euro
Die Verantwortlichen müssen jetzt die abenteuerliche Vorgeschichte ihres vermeintlichen Coups einräumen. Reporter Heidemann, ein begeisterter NS-Devotionaliensammler, war Anfang der 1980er Jahre in der einschlägigen Szene an den Stuttgarter Maler Konrad Kujau geraten, der ihm unter falschem Namen die Hitler-Tagebücher anbot, die in einem in Sachsen abgestürzten Kurierflugzeug das Kriegsende überdauert hätten. Er könne sie über Verwandte aus der damaligen DDR besorgen, sagte Kujau. In Wirklichkeit fälschte er sie selbst.
In den nächsten Jahren kauft Heidemann im Auftrag der Verlagsleitung von Kujau für mehr als 4,7 Millionen Euro immer mehr angebliche Hitler-Tagebücher für eine exklusive Top-Story. Am Ende sind es 62.
Betrug
Nach dem Auffliegen des Skandals wird Kujau 1985 vom Landgericht Hamburg wegen Betrugs zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. 2000 stirbt er an einem Krebsleiden. Auch Heidemann wird wegen Betrugs verurteilt, weil er von den für Kujau bestimmten Zahlungen rund eine Million Euro in die eigene Tasche gesteckt haben soll. Seinen Job bei dem Magazin verliert er.
Und die gefälschten Hitler-Tagebücher? Zum 30. Jahrestag der Affäre schafften sie es ins Bundesarchiv: Nachdem der "Stern" sie bisher größtenteils unter Verschluss hielt und nur einzelne an Museen abgab. Das Bundesarchiv nahm sie inzwischen sogar gern. Sie seien von "großer zeitgeschichtlicher und pressegeschichtlicher Bedeutung", sagt eine Sprecherin.
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Zusammenfassung
- Zwischen der "Weltsensation" und "Super-GAU" lagen 1983 elf Tage.
- Die Geschichte um die falschen Hitler-Tagebücher ist eine über Betrug, Medienversagen und fast 5 Millionen Euro.