Stockhammer zum Anschlag in Wien: "Alarmglocken hätten schrillen müssen"

Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer spricht im PULS 24 Interview ein Jahr nach dem Anschlag in Wien, über die Gefahr des Islamismus und über mögliches Behördenversagen.

Der Anschlag in Wien, der sich am 2. November zum ersten Mal jährt, hätte verhindert werden können, sagt Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer. Zumindest mit dem Wissensstand, den man heute hat, wären die vier Opfer des Attentäters vielleicht noch am Leben. 

Schon bald nach dem Anschlag wurde klar, dass der Täter amtsbekannt war. Das sei bei der Mehrzahl der Anschläge so, sagt Stockhammer. Viele Attentäter - etwa auch jener von Berlin - seien einschlägig vorbestraft oder eben amtsbekannt. Auch beim Attentäter von Wien hätte es zahleiche Indizien gegeben. "Die Alarmglocken hätten schrillen müssen", so der Terrorismus-Experte. Hätte man die Indizien "zusammengezählt", hätte man den Anschlag "höchstwahrscheinlich" verhindern können. 

Nach dem Versuch, nach Syrien zu gelangen, saß der Attentäter in Haft und wurde beobachtet. Er war auch in einem Deradikalisierungsprogramm. Er sei aber so weit radikalisiert gewesen, dass man ihn nicht mehr deradikalisieren hätte können, so Stockhammer. Es wurde ein "point of no return" erreicht - auch die Betreuer von "Derad" hätten das so gesehen. "Es war evident, dass von dieser Person Gefahr ausgehen würde", sagt der Experte. 

Behörden international zu wenig vernetzt

Die Behörden hätten Probleme mit der Kooperation und Koordination gehabt - es sei zu hoffen, dass das mit der Neuaufstellung des Verfassungsschutzes besser werde. Die Islamisten würden sich aber weiter virtualisieren und transnational Vernetzten. Die Behörden seien international weniger vernetzt, so Stockhammer. 

Auch bei der Prävention müsse aber noch viel passieren: Das sei vor allem Aufgabe der Kommunen, vor Ort kennen Behörden, Landesverfassungsschutz, Schulen und Sozialarbeiter die Szene besser. Es gehe darum, die Narrative, die falschen Versprechungen der Islamisten zu "demystifizieren". Man müssen die Personen mit Erzählungen von desillusionierten Heimkehrern, die erzählen, wie es wirklich war, konfrontieren. Auch Alternativnarrative können helfen, so Stockhammer: Es ist auch in Österreich lebenswert, es gibt auch hier freie Religionsausübung. 

Grundsätzlich sei Österreich nun aber "genauso sicher oder unsicher", wie auch auch vor dem 2. November 2020. Die Behörden hätten die Szene auf den Kopf gestellt, gleichzeitig gibt es aber internationale Verstärkung der Szene etwa durch Entwicklungen in Afghanistan, wo der Islamische Staat und Al Kaida wieder an Einfluss gewinnen.

Hinweis: Der Terroranschlag von Wien jährt sich am 2. November 2021 zum 1. Mal. PULS 24 hat in den letzten zwölf Monaten regelmäßig zu den Ermittlungsschritte, Pannen und Versäumnisse recherchiert - Sie finden alles gesammelt hier unter puls24.at/terror.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Anschlag in Wien, der sich am 2. November zum ersten Mal jährt, hätte verhindert werden können, sagt Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer.
  • Zumindest mit dem Wissensstand, den man heute hat, wären die vier Opfer des Attentäters vielleicht noch am Leben. 
  • Schon bald nach dem Anschlag wurde klar, dass der Täter amtsbekannt war. Das sei bei der Mehrzahl der Anschläge so, sagt Stockhammer. Viele Attentäter - etwa auch jener von Berlin - seien einschlägig vorbestraft oder eben amtsbekannt.
  • Auch beim Attentäter von Wien hätte es zahleiche Indizien gegeben. "Die Alarmglocken hätten schrillen müssen", so der Terrorismus-Experte. Hätte man die Indizien "zusammengezählt", hätte man den Anschlag "höchstwahrscheinlich" verhindern können. 
  • Nach dem Versuch, nach Syrien zu gelangen, saß der Attentäter in Haft und wurde beobachtet. Er war auch in einem Deradikalisierungsprogramm. Er sei aber so weit radikalisiert gewesen, dass man ihn nicht mehr deradikalisieren hätte können, so Stockhammer.
  • Die Behörden hätten Probleme mit der Kooperation und Koordination gehabt - es sei zu hoffen, dass das mit der Neuaufstellung des Verfassungsschutzes besser werde.