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Türkei-Erdbeben

Zwei Jahre nach der "Katastrophe des Jahrhunderts"

Das verheerende Erdbeben in der Türkei und in Syrien jährt sich am 6. Februar zum zweiten Mal. Während weiterhin Millionen Menschen in den betroffenen Regionen mit den Folgen der Katastrophe kämpfen, trauert die Diaspora in Österreich um ihre zweite Heimat, die in Trümmern liegt.

"Es gibt noch immer Container-Städte, es schaut fürchterlich in Antakya aus", erzählt Ozan gegenüber PULS 24. Er besuchte die Heimatstadt seiner Eltern zuletzt im Sommer 2024. Ozan lebt in Wien, seine Wurzeln liegen in Hatay, einer Provinz im Süden der Türkei, nahe der syrischen Grenze.

Bei dem Erdbeben am 6. Februar hat Ozan sechs Familienmitglieder verloren. Darunter seine Tante, Cousinen und Cousins.

Das jüngste verstorbene Familienmitglied war erst neun Jahre alt. Die Leichen seiner Verwandten wurden aus den Trümmern der eingestürzten Gebäude in Antakya geborgen.

"Katastrophe des Jahrhunderts"

In der Türkei wird das Erdbeben vom Februar 2023 als "Katastrophe des Jahrhunderts" bezeichnet. Bei dem heftigen Beben mit der Stärke 7,6 kamen laut staatlichen Angaben über 53.000 Menschen ums Leben, alleine in Hatay starben 24.000 Menschen.

Zwei Millionen Menschen mussten Zuflucht in anderen Provinzen finden, 518.000 Gebäude wurden mit dem Beben dem Erdboden gleichgemacht.

Obwohl das Epizentrum des Erdbebens in Kahramanmaraş lag, erstreckten sich die Zerstörungen auf 11 verschiedene Provinzen: Adana, Adıyaman, Diyarbakır, Elazığ, Gaziantep, Hatay, Kahramanmaraş, Kilis, Malatya, Osmaniye und Şanlıurfa.

Zwei Jahre sind inzwischen vergangen, dennoch müssen viele Erdbebenopfer weiterhin in provisorisch errichteten Container-Städten auf 21 Quadratmeter leben.

Suche nach Verantwortlichen

Die Aufbauarbeiten in Antakya sind weiterhin im Gange. "Dort wird jetzt alles aufgebaut. Hochhäuser werden gebaut - da gibt es gewisse Richtlinien jetzt, wie hoch die gebaut werden dürfen, vor allem erdbebensicher", erzählt Ozan.

Bei seinem Besuch im Sommer standen bereits die ersten Rohbauten neuer Wohnhäuser. "Es gibt aber noch immer so viele Gebäude, die einsturzgefährdet sind und noch immer stehen. Und in einigen leben sogar Menschen drinnen", erzählt er.

Ozan ist nicht die einzige kritische Stimme. Nach dem Erdbeben gab es viel Kritik an der Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan. Betroffene gaben der Politik eine Mitschuld an den Verwüstungen. Viele von ihnen fühlten sich damals von der türkischen Regierung im Stich gelassen.

Die Türkei ist ein Hochrisikoland für Erdbeben. Seit Jahrzehnten warnen Geolog:innen und Seismolog:innen in der Türkei immer wieder mit demselben Satz: "Nicht das Beben tötet, die Gebäude töten." Zahlreiche Expert:innen kritisierten auch nach dem 6. Februar, dass Vorschriften zur Gebäudesicherheit ignoriert wurden. Vermutlich, um Geld zu sparen.

Bei der großen Gedenkfeier im vergangenen Jahr in Antakya, buhten Tausende die türkische Regierung aus. Auf Schildern forderten einige, dass die Verantwortlichen in Verwaltung und Politik vor Gericht gestellt werden müssten. Über 2.000 Ermittlungsakten gegen Bauträger sollen laut Medienberichten angelegt worden sein. Bis heute dauern die Ermittlungen an.

Verurteilt wurde bisher nur ein Bauunternehmer des Adana Alpargün Apartment Building, wegen "vorsätzlicher Verursachung von Tod und Verletzung von mehr als einer Person". Er wurde laut türkischen Medien zu 62 Mal lebenslänglich und 865 Jahren Haft verurteilt.

"Es war, als hätte sich alles verändert"

Ähnlich wie in Hatay sieht es auch in Kahramanmaraş aus. Der gebürtige Wiener Hasan besuchte dort vor wenigen Monaten die Heimatstadt seiner Eltern, Elbistan. "Es war ein sehr bedrückendes Gefühl, die Stadt, die ich fast jedes Jahr besuchte, in diesem Zustand zu sehen", schildert der 28-Jährige seine Eindrücke. "Es stehen kaum noch Gebäude, stattdessen nur Container."

"Es war, als hätte sich alles verändert", erinnert sich Hasan. Das Wohngebäude, in dem seine Tante früher wohnte, ist durch das verheerende Beben komplett eingestürzt. Zuflucht fand sie in Ankara, wo sie mittlerweile ihren Hauptwohnsitz hat.

Auch zwei Familienmitglieder von Ozan wanderten in andere Provinzen aus, um den schmerzhaften Erinnerungen an die Erdbebenkatastrophe zu entkommen.

200.000 Familien benötigen dringend Winterhilfe

Millionen Menschen kämpfen weiterhin in den betroffenen Regionen mit den Folgen des Erdbebens. Die Infrastrukturprobleme in den Regionen seien bei weitem nicht gelöst und die Bürger:innen haben mit Problemen wie überlaufenden Abwasserkanälen, Überschwemmungen und Krankheiten zu kämpfen, wie das türkische Medium "Halk TV" schreibt.

Vor allem die Wetterbedingungen im Winter stellen für die Menschen in der Erdbebenregion eine zusätzliche Belastung dar. "In den am stärksten betroffenen Provinzen der Türkei - Hatay, Kahramanmaraş, Adiyaman, Malatya und Gaziantep - benötigen über 200.000 Familien dringend Winterhilfe. Viele, insbesondere syrische Geflüchtete, leben in behelfsmäßigen oder beschädigten Unterkünften, die kaum Schutz vor Regen, Kälte und Überschwemmungen bieten", so Rishana Haniffa, Care-Länderdirektorin in der Türkei in einer Aussendung am Dienstag.

Die Wunden des 6. Februars sind noch längst nicht verheilt. Auf der einen Seite kämpfen Betroffene weiterhin mit der Aufarbeitung ihres Traumas, während andere auf Gerechtigkeit hoffen.

Die Diaspora in Österreich verbindet vor allem eine Sache: die Trauer um das "alte Bild" ihrer Heimat, das sich in ihren Köpfen nach dem Erdbeben vollständig aufgelöst hat.

Video: Erdbeben: Schwieriger Wiederaufbau

Zusammenfassung
  • Das verheerende Erdbeben in der Türkei und in Syrien jährt sich am 6. Februar zum zweiten Mal.
  • Während weiterhin Millionen Menschen in den betroffenen Regionen mit den Folgen der Katastrophe kämpfen, trauert die Diaspora in Österreich um ihre zweite Heimat, die in Trümmern liegt.