Kritik an Ermittlungsstelle bei Polizeigewalt reißt nicht ab
"Eine Beschwerdestelle für Polizeigewalt kann nicht im Innenministerium angesiedelt sein. Es war eine unabhängige (!) Ermittlungsstelle im Koalitionsabkommen vereinbart. Alles andere ist ärgerliche Schönrederei", meinte dazu Birgit Hebein, bis Anfang 2021 Vorsitzende der Wiener Grünen, auf Twitter. Die vorgebliche Unabhängigkeit der EBS bezweifelt auch der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der immer wieder von Polizeigewalt Betroffene vor Gerichten und Verwaltungsbehörden vertritt: "Ob die Beschwerdestelle tatsächlich unabhängig arbeiten kann, wird sich zeigen. Solange sie aber beim Innenministerium angesiedelt ist, dem auch die Polizei untersteht, bleibt der Eindruck, dass noch immer die Polizei untersucht, ob die Polizei korrekt arbeitet."
Wesentlich sei die Besetzung der Posten in der Beschwerdestelle, betonte Lahner am Dienstag gegenüber der APA: "Wenn man diese Aufgabe Menschen überträgt, die fachlich qualifiziert sind und ihre Unabhängigkeit unter Beweis gestellt haben, dann besteht Hoffnung. Wenn aber wie so oft nach Parteibuch oder Kabinettszugehörigkeit besetzt wird, dann kann man es gleich bleiben lassen." Dass die Beschwerdestelle polizeiliche Befugnisse haben soll, findet Lahner "gut und richtig", wie er betonte. Sie wäre aber aus seiner Sicht nicht notwendigerweise im Innenministerium anzusiedeln gewesen, sondern hätte auch dem Justizministerium unterstellt werden können: "Dazu hätte es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament gebraucht. Dass man die nicht zustande bringt oder es nicht einmal versucht, ist bedauerlich."
"Die Implementierung einer derartigen Untersuchungsstelle ist jedenfalls zu befürworten, auch wenn es für solche Einrichtungen nicht das eine globale Referenzmodell gibt", meinte Martin Kreutner, bis 2010 Leiter des Büros für Interne Angelegenheiten (BIA), der Vorgänger-Behörde des BAK, und danach acht Jahre lang Geschäftsführer der International Anti-Corruption Acadamy (IACA). "Sinnvollerweise kann und soll eine solche Dienststelle auch nicht ohne polizeiliche Ermittlungs- und Eingriffsmöglichkeiten, Kenntnis der polizeilichen Strukturen sowie einer engen, direkten Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft auskommen", erklärte Kreutner gegenüber der APA. In den letzten zwei, drei Jahrzehnten sei bei der österreichischen Polizei in Bezug auf Menschenrechte - auch im Vergleich mit anderen Staaten - sehr viel Positives passiert: "Die nötige angestrebte und angekündigte Unabhängigkeit dieser neuen Dienststelle wird sie aber auch hier dann leben und beweisen müssen."
Dass Justizministerin Zadić hinsichtlich der Struktur des EBS ausdrücklich betont, Weisungen an diese dürften nur schriftlich erfolgen, ist für Kreutner kein Beleg für deren Unabhängigkeit: "Dass Interventionen kaum über schriftliche Weisungen erfolgen, wird ihnen jeder Praktiker bestätigen können." Spannend bleibe auch, "welche 'gestandene' Persönlichkeit sich in den vorgesehenen, strukturellen Korsetten für die Leitung finden wird und insbesondere auch, wie man in der Personalrekrutierung dieses wichtige Arbeitsfeld attraktiviert", ergänzte der Experte. In Summe sieht Kreutner in der Einrichtung der EBS einen "wichtigen Schritt, aber erst den Beginn einer unter Umständen steinigen Reise".
"Nachdem Opfer von Polizeigewalt jetzt viele Jahre auf so eine Beschwerdestelle gewartet haben und nicht zu ihrem Recht gekommen sind, soll es das jetzt sein?", fragte sich Stephanie Krisper, NEOS-Sprecherin für Inneres. Eine unabhängige Beschwerdestelle gegen Polizeigewalt müsse "naturgemäß außerhalb des Einflusses der Polizei und damit außerhalb des Innenministeriums liegen. Die Beteuerungen der Grünen, dass Weisungen ohnehin schriftlich erfolgen müssten, sind Augenauswischerei - jeder weiß, dass Interventionen so gut wie nie schriftlich erfolgen", meinte Krisper am Dienstag gegenüber der APA. Darüber hinaus wollen die NEOS mit einer parlamentarischen Anfrage geklärt wissen, "wie das BAK derzeit personell aufgestellt ist, warum dort die Postenkorruption auf einmal beendet sein soll und wie dort die Planungen für eine solche Beschwerdestelle laufen", wie Krisper darlegte.
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekräftigte ihre Kritik an der An- bzw. Eingliederung der EBS ins BAK. "Die Unabhängigkeit einer solchen Stelle ist zentral für die Frage, wie wirksam sie wirklich arbeiten und Gewaltvorwürfe untersuchen kann. Daher darf sie etwa in keinerlei hierarchischer oder institutioneller Verbindung zur Polizei selbst stehen. Mit anderen Worten: sie muss unbedingt außerhalb des Innenministeriums angesiedelt sein und nicht der Weisungsbefugnis des Innenministers unterliegen", erläuterte Teresa Exenberger, Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich.
Kritisch sehen sowohl Amnesty International als auch Rechtsanwalt Lahner den Umstand, dass die Ermittlungsstelle nicht für Misshandlungsvorwürfe gegen Justizwachebeamtinnen und -beamte zuständig ist und selbst manche Polizeibedienstete nicht in die Kompetenz der Ermittlungsstelle fallen. Die in vielen Gemeinden etablierten Gemeindesicherheitswachen bzw. Gemeindewachkörper sind im Gesetzesentwurf, der in der kommenden Woche in Begutachtung gehen soll, nämlich ausgenommen. "Bei allen diesen geht es um staatliche Bedienstete mit der Befugnis, Zwangsgewalt auszuüben, und eine wirksame Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen sie wäre genauso völkerrechtlich geboten", merkte dazu Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Anmesty International Österreich, an.
"Es wäre auch sinnvoll gewesen, nicht nur Vorwürfe gegen die Polizei, sondern auch gegen die Justizwache, das Bundesheer etc. mit einzubeziehen", pflichtete Lahner bei. Ganz allgemein gelte: "Überall dort, wo der Staat Befehls- und Zwangsgewalt anwendet, sollte eine unabhängige Untersuchung Standard sein." Denn "unabhängige, rasche und gründliche Untersuchungen dienen nicht nur den Betroffenen und der Allgemeinheit, sondern auch allen Beamten und Beamtinnen, die anständige Arbeit leisten", unterstrich der Wiener Rechtsanwalt.
Lahner machte gegenüber der APA noch auf einen wichtigen Punkt aufmerksam, nämlich die Transparenz und die Parteienstellung der Betroffenen. Die EBS soll nicht nur Fälle untersuchen, die strafrechtliche Tatbestände umfassen, sondern auch minderschweres polizeiliches Fehlverhalten prüfen, das noch nicht unters Strafrecht fällt. "Wenn die Vorwürfe strafrechtlicher Natur sind, etwa bei Körperverletzung, Amtsmissbrauch, dann gilt ohnehin die Strafprozessordnung (StPO) und damit auch das Recht auf Akteneinsicht etc. Wenn aber Grundrechtseingriffe unterhalb der strafrechtlichen Grenze behauptet werden und somit das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) gelten soll, wird es notwendig sein, darauf zu achten, dass Betroffene Parteienrechte haben und nicht nur wie Objekte behandelt werden", stellte Lahner fest.
Zusammenfassung
- Die Kritik an der von der ÖVP und den Grünen geplanten neuen Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) bei Fällen von Polizeigewalt reißt nicht ab.