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Katastrophen und Krisen treffen vor allem Frauen

Krisen und Katastrophen fordern statistisch signifikant mehr Menschenleben unter Frauen und Mädchen. Besonders eklatant war dies beim Tsunami in Süd- und Südostasien 2004 zu sehen: Laut der Hilfsorganisation CARE - unter Berufung auf einen Report der Welternährungsorganisation (FAO) - waren 80 Prozent der Opfer weiblich. Erklärungen dazu fand Andrea Barschdorf-Hager, CARE-Österreich Geschäftsführerin, im Gespräch mit der APA.

"Wenn man etwa an Überschwemmungen in Süd- und Südostasien oder auch in manchen Gegenden Europas denkt, dann ist das etwas, wo besonders viele Frauen und Mädchen ums Leben kommen. Sie können oft nicht schwimmen und lernen es auch nicht", erläuterte sie. Ähnliches stellte auch die FAO beim Tsunami fest. Dazu waren Mädchen und Frauen auch weniger in der Lage, sich vor den Wassermassen auf Bäume zu retten. Und: "Abhängig von der Region hängt das auch mit der Bekleidung zusammen. Es würde sich also niemand in Todesangst, der in Südasien lebt, alles herunterreißen, sondern die Frauen gehen in ihrer Alltagsbekleidung ins Wasser und gehen einfach unter", schilderte Barschdorf-Hager.

Gesellschaftliche Rollenbilder spielen ebenfalls einen großen Part in der Erklärung, warum Krisen und Katastrophen deutlich mehr Opfer unter Frauen und Mädchen fordern als unter Männern und Buben. "Ein weiterer Grund ist, dass in der Regel für die alten Menschen und die Kinder die Frauen zuständig sind, wenn eine Katastrophe ist. Und sie sind dadurch auch enorm belastet. Du läufst allein leichter, weiter und schneller als mit alten Menschen im Tross oder mit kleinen Kindern, die noch nicht gehen können", so die CARE-Geschäftsführerin.

CARE International ist aber nicht nur in der Katastrophen- und Krisenhilfe akut tätig, sondern arbeitet strukturell mit zahlreichen Projekten in mehr als 80 Ländern weltweit, im städtischen und mehr noch im ländlichen Bereich: "Da hat man, wenn man da quer drübersieht, sehr viele kleinbäuerlichen Strukturen, in denen sehr viele Frauen und Mädchen tätig sind und das erwirtschaften, was die Familie konsumiert. Alles was mit dem internen Bereich zu tun hat, ist stärker auf die weibliche Seite ausgelegt."

Bildung sei in sehr vielen Ländern ein sehr großes Thema, auch für Burschen, dahingehend, dass sie nur eine unterbrochene Schulkarriere hätten. "Das kann man überall sehen, aber tendenziell werden Mädchen weniger in die Schule geschickt als Burschen, weil sie zuhause helfen bei dem kleinen Bauernhof, der meistens vorhanden ist oder im städtischen Bereich zum Einkommen beitragen und in dem sie auf der Straße etwas verkaufen, auf der Straße arbeiten", schilderte Barschdorf-Hager. "Das heißt, wir sehen unterbrochene Schulkarrieren bei Mädchen und bei Buben, nur wenn man es statistisch anschaut, gehen Buben länger und durchgängiger in Schulen als Mädchen, auch wenn das bei den Burschen nicht optimal ist."

Bildung ist in den Projekten von CARE ein zentraler Bestandteil. "Dass man seine Rechte kennt. Wie kann man, wenn man nicht einmal weiß, wie man sich helfen kann, überhaupt mitreden in dem Diskurs", fragte Barschdorf-Hager. "Und eines möchte ich an der Stelle auch sagen: Es ist heute einfach nicht mehr genug, Lesen und Schreiben zu lernen oder die Einschulungszahlen einfach anzusehen. Das war es schon vor 30 Jahren nicht. Denn man hat in manchen Ländern fantastische Schulbesuchszahlen, und die Kinder haben dann einfach keine Möglichkeit in ihrem Umfeld, das Bisschen, was sie gelernt haben, auch umzusetzen. Was dann dazu führt, dass sehr viele Analphabeten heute wieder dazu werden."

Die Geschäftsführerin erläuterte die Arbeit ihrer Organisation in der Geschlechterfrage so: "Bei CARE ist es so, dass wir immer ganzheitlich arbeiten, das heißt für Männer, Buben, Mädchen, Frauen. Aber was das Besondere an unserer Arbeit ist, ist, dass wir die Bedürfnisse von Frauen überhaupt einzeln erheben." Bei der Erhebung von Gender-Indikatoren habe ihre Hilfsorganisation ein bisschen eine Vorreiterrolle übernommen, auch wenn dies von Geldgebern wie der EU und der Austrian Development Agency (ADA) immer stärker in den Mittelpunkt gestellt wird. "Dass man in sämtliche Daten, die wir erheben, getrennt Männer und Frauen aufschlüsselt."

Eng mit Bildung ist das Verständnis geknüpft, dass der wirtschaftliche Beitrag von Frauen essenziell sei. "Je ärmer eine Familie ist, desto wichtiger ist es, dass sich die beiden Partner die Einkommensgenerierung aufteilen", erläuterte Barschdorf-Hager. "In den meisten unserer Projekte geht es darum, dass man sagt, wenn die Frau Zugang zu Einkommensmöglichkeiten hat - da reden wir nicht von größeren oder höheren Einkommen, sondern von einem oft auch minimalen Beitrag -, dann ändert sich ihre Stellung in der Familie, in der Gemeinschaft, im Dorf nicht von selbst, aber es begünstigt, dass es sich etwas ändert."

Eine Mitarbeiterin von CARE, habe in dem Zusammenhang Anfang der 90er-, Ende der 80er-Jahre, die "Village Savings and Loan Groups" erfunden, Kleinspargruppen. "Das ist wirklich ein geniales System, es gibt ja viele Mikrofinanzsysteme. Das Tolle an dem System ist, und deshalb darf man es weltweit machen, dass da kein Geld von außen drin ist und keine Bank involviert ist. Und das geht wirklich sehr gut, gerade in ländlichen, wirtschaftlich sehr unterentwickelten Gebieten, wo Frauen anfangen, ein Cent, zwei Cents zu sparen", schilderte die CARE-Geschäftsführerin.

"Der Gedanke des Sparens ist das eine, aber wo man sich koordiniert trifft, auch noch etwas lernt dabei, und wo man sich nicht gegen jemand aufstellt, sondern wo man sagt, okay wir verbessern uns jetzt alles ein bisschen, unsere Wahrnehmung, den Umgang miteinander, wie werde ich zuhause wahrgenommen", erläuterte Barschdorf-Hager. "Wir haben oft gesehen, die Männer wollten nicht, dass die Frauen in die Spargruppe gehen. Ich habe das in Uganda gesehen, da wollten dann die Männer auch." Dennoch sagte sie: "Was sich schon relativ bewährt hat, dass es dann schon Spargruppen für Frauen allein auch gibt, weil es braucht immer jemand, der Lesen und Schreiben kann, Rechnen kann, die Kasse und den Schlüssel dafür verwaltet. Und wenn es gemischte Spargruppen gibt, tendieren die Männer dazu, all diese Ämter zu übernehmen. Das ist ja auch nicht gerade gut für die Entwicklung und das Selbstbewusstsein der Frauen."

Spargruppen sind auch eines der wesentlichen Elemente des Projekts WAYREP im Norden Ugandas, das von der ADA mit mehr als fünf Millionen Euro dotiert ist, sich schwerpunktmäßig dem Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen widmete und das dieses Frühjahr nach fünf Jahren ausläuft. Aber das Nachfolgeprojekt GEAR (Gender Equality And Resilience) ist bereits am Start, es soll auch zu einem Drittel Ruanda eingebunden werden.

"Diese Spargruppen sind fein, aber es ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Was sind die nächsten Schritte für die Frauen? Da hast du in jeder Spargruppe ein zwei oder sogar mehrere, die rechnen, lesen und schreiben können, die wirklich schon eine Bäckerei, zwei Geschäfte haben und Angestellte, die brauchen einen nächsten Schritt", schilderte Barschdorf-Hager über das neue Projekt. "Wichtig ist da schon, dass es nicht bei der Handkasse im Dorf bleibt, sondern dass man dann anfängt, mit den Bankinstitutionen, die im Land tätig sind, zusammenzuarbeiten. Financial Inclusion und Financial Education werden Schwerpunkte sein, überhaupt in Ruanda. Dass Frauen ein Sparkonto haben können, überhaupt ein Konto haben, Zugang zu Mobiltelefonen haben können, weil das das Mittel ist, mit dem Geld- und Behördenwege abgewickelt werden."

Die CARE-Geschäftsführerin sagte, dass sich Gewalt gegen Frauen - Fachausdruck Gender Based Violence (GBV) - als einer der "roten Fäden" der Erhebungen von Gender-Indikatoren erwiesen habe. Das Thema spiele praktisch immer eine große Rolle. "Ich will das nicht verallgemeinern, aber das ist leider auch in Österreich ein trauriges Highlight-Thema, das auch sehr gern unter den Teppich gekehrt wird." Gerade mit den Spargruppen wie im Rahmen des WAYREP-Projekts in Uganda habe man bei GBV sehr gute Ergebnisse erzielt. Man suche immer sogenannte Role Models, also Vorbilder. Die Idee ist, dass sie eine Vorbildfunktion übernehmen und die Idee dahinter sich über Mundpropaganda weiterverbreitet.

Laut Barschdorf-Hager hat es sich in Untersuchungen gezeigt, dass Länder, die sich dem Kampf gegen GBV verschrieben haben, auch wirtschaftlich deutlich besser fahren. "Die Länder, wo in Frauen investiert wird, wo Gewalt nicht als normal empfunden wird, wo Frauen auch Anlaufstellen haben, wo sie sich scheiden lassen können - theoretisch können sie das überall, praktisch nicht, wenn du nicht gebildet bist -, entwickeln sich auch wirtschaftlich besser von allen Entwicklungsindikatoren. Und in Ländern, wo das absolut keine Rolle spielt, wo starke Diskriminierung herrscht, gibt es sogar rückläufige Entwicklungen."

Barschdorf-Hager betonte, dass CARE-Projekte immer aus Wünschen aus dem Zielland heraus initiiert werden. "Es gibt kein einziges Land, wo wir hingehen und sagen, das wäre der Vorschlag. Vor Ort arbeiten immer hochgebildete Spezialistinnen und Spezialisten aus dem Land, weil es ja nicht wahnsinnig sinnvoll ist, wenn wir hinfahren und gute Tipps verteilen. Das kommt immer aus dem jeweiligen Land." Gleichzeitig warnte sie eindringlich vor Verallgemeinerungen. "Ich glaube, wir sollten uns da mit Urteilen sehr zurückhalten."

Frauen sind in vielerlei Hinsicht schlechter gestellt als Männer, Beispiele nannte die CARE-Geschäftsführerin zahlreiche. Eines davon: "Der Hunger kommt zurück." Barschdorf-Hager weiter: "Und da spielt auch wieder das Geschlechterverhältnis eine wahnsinnige Rolle: Wenn die Ernte schlecht ist, auch in afrikanischen Ländern, fangen die Frauen an - das ist nicht, dass CARE das glaubt, sondern das weiß man aus Untersuchungen - , weniger zu essen und in schlechterer Qualität. Und das gleiche trifft auf Mädchen und Buben zu. Also wenn du Mädchen und Buben hast in einer Familie, sind die Buben zwar auch schlecht, aber tendenziell etwas besser ernährt als die Mädchen in derselben Familie."

Auch bei der Ernährung spiele Bildung eine große Rolle, auch digitale. Die CARE-Geschäftsführerin sprach von einem sehr großen Projekt - von der EU finanziert - in Nord-Bangladesch, bei dem eine App zur Gewichtsüberprüfung von Kindern eingeführt wurde. Die Babys werden gewogen, das Resultat in die App - von einem lokalen Spezialisten entwickelt - eingetragen. So sieht die Regierung, ob ihr Programm zur Ernährung und Aufklärung darüber anschlägt.

Bei der Katastrophenhilfe sei es jedenfalls am wichtigsten, "dass sie lange wirkt und dass man auf die Bedürfnisse der Menschen schaut", sagte Barschdorf-Hager. "Wichtiger als wer sie leistet, ist, dass sie geleistet wird. Beispielsweise in Gaza: Da gibt es keine Windeln, keine Binden, nichts. Und es ist weltweit eine Richtlinie, dass Frauenhygieneartikel überall in großem Stil verteilt werden. Das ist eine EU-Richtlinie, die wirklich absolut menschenwürdig und sinnhaft ist."

(Das Gespräch führte Gunther Lichtenhofer/APA.)

ribbon Zusammenfassung
  • Studien zeigen, dass Frauen und Mädchen in Katastrophen wie dem Tsunami 2004 in Süd- und Südostasien mit 80 Prozent der Todesopfer überproportional betroffen sind.
  • Gesellschaftliche Rollenbilder und mangelnde Fähigkeiten wie Schwimmen tragen dazu bei, dass Frauen und Mädchen in Krisensituationen besonders gefährdet sind.
  • CARE International setzt mit Bildungsprojekten und Förderung von wirtschaftlicher Selbstständigkeit durch Spargruppen gezielt auf die Stärkung von Frauen und Mädchen weltweit.
  • Projekte wie WAYREP in Uganda bekämpfen erfolgreich Gewalt gegen Frauen und tragen zur wirtschaftlichen Entwicklung bei, das Nachfolgeprojekt GEAR ist bereits geplant.
  • Investitionen in Frauen und Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen führen zu einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern, wie Studien belegen.