Frauenrechte werden weltweit "missbraucht, bedroht, verletzt"
UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk zeigte sich zuletzt bestürzt über die "systematischen" Angriffe auf die Rechte von Frauen. Er sei angesichts von Rückschritten "und der Verbreitung rückwärtsgewandter Ideen" sehr besorgt. Zwar seien Frauenhass und Bemühungen gegen die Gleichstellung nichts Neues, aber es gebe derzeit "eine systematischere, organisiertere Art, den Frauenrechten entgegenzuwirken". Auch UNO-Generalsekretär António Guterres sieht die Schritte zur Gleichstellung in Gefahr: Die Frauenrechte weltweit würden "missbraucht, bedroht und verletzt".
Ein Überblick darüber, welche Rückschläge und Fortschritte es im Kampf für die Rechte von Frauen im vergangenen Jahr gab.
USA: Kein Recht auf Abtreibung
Der Oberste Gerichtshof der USA hat im Juni 2022 mit seiner konservativen Richtermehrheit das seit fast 50 Jahren geltende landesweite Grundrecht auf Abtreibung ("Roe v. Wade") abgeschafft. Damit bekamen Bundesstaaten das Recht, Schwangerschaftsabbrüche massiv zu beschränken oder ganz zu verbieten. Rund 20 konservative Bundesstaaten haben dies inzwischen getan.
Iran: Frau, Leben, Freiheit
Auch bei den seit September 2022 andauernden Protesten im Iran stehen Frauenrechte im Fokus. Dort hatte der Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei landesweite Empörung hervorgerufen und eine Protestwelle ausgelöst. Nach Einschätzung von Menschenrechtlern sind seit Beginn der Proteste mehr als 500 Menschen getötet und fast 20.000 Demonstranten festgenommen worden.
Ungeachtet der anhaltenden Demonstrationen sollen Frauen im Iran jedoch auch weiterhin bestraft werden, wenn sie die Vorschriften zum Tragen von Kleidung nicht befolgen, so der Oberste Richter der Islamischen Republik, Gholamhossein Mohseni-Ejei. Das Kopftuch abzunehmen sei genau dasselbe wie "seine Feindschaft gegen die Islamische Republik und deren Werte auszudrücken", sagte Mohseni-Ejei.
Die Proteste im Iran werden weithin von Frauen getragen, die sich gegen Diskriminierung zur Wehr setzen.
Afghanistan: Zugang zu Bildung verwehrt
Unterdessen hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) angesichts einer sich verschlechternden Menschenrechtslage in Afghanistan zum Handeln aufgerufen.
Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 haben die Taliban in Afghanistan die Rechte von Frauen und Mädchen immer weiter eingeschränkt. So ist ihnen der Besuch der Schule ab der siebenten Klasse nicht mehr gestattet. Ende vergangenen Jahres haben die neuen Machthaber afghanischen Frauen außerdem die Arbeit bei Hilfsorganisationen verboten, mit Ausnahme der Bereiche Gesundheit, Bildung und Ernährung.
Nachdem im Dezember vergangenen Jahres auch Universitäten ihre Türen für Studentinnen schließen mussten, traten mehrere Professoren zurück. Viral ging dabei ein Video eines Kabuler Universitätsprofessors, der seine Diplome live im Fernsehen zerriss. "Wenn meine Schwester und meine Mutter nicht studieren können, dann akzeptiere ich diese Ausbildung nicht", so der danach verhaftete Ismail Mashal.
https://twitter.com/NasimiShabnam/status/1622580401347739649
Ukraine: Konfliktbezogene sexuelle Gewalt
Auch in Europa geht das Leid vieler Frauen weiter. Der mittlerweile über ein Jahr andauernde Ukraine-Krieg hat Millionen von Frauen und Mädchen aus ihrem Zuhause vertrieben und sie konfliktbedingten Vergewaltigungen und sexueller Gewalt ausgesetzt. Von Kriegsbeginn bis zum 21. Oktober 2022 dokumentierte die HRMMU 86 Fälle sexueller Gewalt, die meisten davon durch russische Streitkräfte. Darunter seien (Gruppen-)Vergewaltigungen und erzwungene Nacktheit. Die Dunkelziffer dürfte - wie immer bei sexueller Gewalt in Kriegsgebieten - erwartungsgemäß weit größer sein.
Polen: Abtreibung nur bei Vergewaltigung
Und nicht nur in den USA, sondern auch in der EU gelten zum Teil strikte Abtreibungsgesetze. In Malta sind Schwangerschaftsabbrüche verboten - bei illegalen Abtreibungen droht den Betroffenen eine Gefängnisstrafe. Polen hat sein bereits strenges Abtreibungsgesetz im Herbst 2020 weiter verschärft. Seitdem sind Abtreibungen nur nach Vergewaltigungen erlaubt oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter in Gefahr sind. Laut einer Untersuchungskommission des Europäischen Parlaments sind seit der Verschärfung des Abtreibungsrechts bis November 2022 mindestens sechs Frauen an den Folgen eines unterlassenen Schwangerschaftsabbruchs gestorben.
EU verhängt Sanktionen
Trotz dieser Rückschläge setzen Hilfsorganisationen ihren Kampf für Frauenrechte hartnäckig fort. So wurden im Jahr 2021 und 2022 wichtige Siege für Abtreibungsrechte in Kolumbien, Mexiko und San Marino erzielt. Moldawien und Liechtenstein haben die Istanbuler Konvention gegen Gewalt an Frauen ratifiziert. Laut der "United Nations Foundation" haben im Jahr 2022 zwölf Staaten, unter anderem Armenien, Kambodscha, Georgien und Griechenland, Fortschritte bei der Beseitigung der legalen Geschlechterdiskriminierung und/oder bei der Umsetzung neuer Gesetze zur Förderung der Geschlechtergleichstellung erzielt.
Kurz vor dem Internationalen Weltfrauentag hat die Europäische Union nun erstmals Sanktionen wegen Gewalt gegen Frauen und Mädchen verhängt. Die Strafmaßnahmen richten sich unter anderem gegen Minister der radikalislamischen Taliban in Afghanistan sowie gegen hochrangige russische Militär- und Polizeiangehörige, wie aus der Sanktionsliste hervorgeht.
Und auch UNO-Generalsekretär António Guterres betont: "Das Patriarchat schlägt zurück. Aber wir auch. Und ich bin hier, um laut und deutlich zu sagen: Die Vereinten Nationen stehen überall an der Seite von Frauen und Mädchen."
Zusammenfassung
- Zum bereits 112. Mal findet der Internationale Frauentag am 8. März statt.
- Und trotz großer Fortschritte und Bemühungen internationaler Hilfsorganisationen sind Frauen weltweit immer noch von zahlreichen Missständen betroffen.
- Nicht nur der Ukraine-Krieg hat das Leid verstärkt, auch in zahlreichen anderen Ländern wurden Frauenrechte weiter eingeschränkt.