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Belgische Stadt Leuven ist Vorreiterin bei Nachhaltigkeit

Viele Radfahrer, viele Busse, kaum Autos: Das ist der erste Eindruck von Leuven, wenn man auf den Bahnhofsvorplatz tritt. Daran ändert sich auch nichts, wenn man in das Zentrum der belgischen Universitätsstadt schlendert. "Wir haben versucht, die Autos weitgehend aus dem Stadtzentrum zu verbannen", sagt Bürgermeister Mohamed Ridouani. Der 44-Jährige ist dafür verantwortlich, dass Leuven mit ihren Anstrengungen Richtung Klimaneutralität europaweit als Vorreiter gilt.

Ridouani, in Leuven geborener ältester Sohn von marokkanischen Einwanderern, studierte in seiner Heimatstadt Wirtschaftsmathematik und Handelswissenschaften und arbeitete als Unternehmensberater bei Deloitte. Als er in die Politik wechselte, fand sich der Sozialdemokrat bald als für Nachhaltigkeit zuständiger Vizebürgermeister wieder. Innerhalb weniger Jahre machte er das zum zentralen Thema seiner Politik. "Wir haben gewusst: Die Stadt kann das nicht alleine schaffen. Wir brauchen alle anderen mit an Bord", erinnert er sich im Interview mit der APA an die 2013 erfolgte Gründung der Plattform "Leuven 2030", an der die Stadt nur 20 Prozent der Anteile hält. Was anfänglich dafür gedacht war, die anderen großen Player der Stadt, die Universität mit ihrem großen Immobilienbesitz, Industriebetriebe wie den in Leuven ansässigen weltgrößten Bierkonzern Anheuser-Busch als Stakeholder einzubinden, hat sich zu einer zivilgesellschaftlichen Initiative entwickelt, an der heute über 700 Organisationen, Firmen und Vereine beteiligt sind.

"Leuven: Europe's most progressive city?" titelte "The London Economic" im Vorjahr. Die rund 20 Kilometer östlich von Brüssel gelegene 100.000-Einwohner-Stadt hat vor drei Jahren den "European Capital of Innovation Award" erhalten (worauf der Bürgermeister besonders stolz ist) und ist eine von 112 EU-Mission-Cities (aus Österreich ist Klagenfurt mit dabei, Anm.), die das Ziel haben, bis 2030 klimaneutral zu werden. Dass sich das für die meisten wohl nicht ganz ausgehen wird, weiß man auch in Leuven. Auf vielen bunten Seiten hat man die bis ins Jahr 2050 reichende "Roadmap to a climate-neutral future" grafisch ansprechend aufbereitet. Auf dem derzeit noch von Asphalt beherrschten Bahnhofsvorplatz weisen ebenso wie vor dem alten Rathaus, einem filigranen Meisterwerk spätgotischer Architektur, das künftig als offenes Info- und Begegnungszentrum geführt werden soll, hübsche Werbetafeln auf ambitionierte Umbauvorhaben hin. PR kann man. Doch wie sieht der Realitätscheck aus?

Die 2018 entwickelte Roadmap sieht bis 2050 eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 80 Prozent im Vergleich zu 2010 vor. Damit hat man sich die Latte im Vergleich zum ursprünglichen Ziel deutlich höher gelegt: Weil man auch außerhalb von Leuven anfallende Emissionen (etwa durch An- und Abreise oder durch Erzeugung und Transport von Nahrungsmitteln) einbeziehen möchte, muss man jährlich 2.500 Kilotonnen CO2 einsparen, viermal mehr als ursprünglich geplant. Ob man das schaffen werde, könne man derzeit nicht prognostizieren, doch man arbeite hart an der Umsetzung, sagt der Bürgermeister. "Meine Stadt wächst. Jedes Jahr haben wir mehr Einwohner. Dennoch gelingt es uns, die Emissionen erstaunlich rasch zu senken. Aber es ist noch immer zu langsam. Wir müssen die Leute in Alarmstimmung versetzen, damit sich noch mehr bewegen lässt."

Bewegung, genauer gesagt: Fortbewegung, ist einer der Schlüssel. "Sehen Sie nur", sagt Rihouani und zeigt aus dem Panoramafenster seines Büros. Direkt darunter schwingt sich ein Rad-Highway in weiten, eleganten Kurven auf Stadtniveau herunter, nachdem er die Bahnhofsgleise überquert hat. "Auf der anderen Seite des Bahnhofs wohnen tausende Menschen, die nun auf ihrem Rad schnell in die Stadt kommen können." Auch viele ältere Bewohner seien in den vergangenen Jahren aufs Fahrrad umgestiegen. Das liegt auch an der konsequenten Umsetzung des 2017 beschlossenen Verkehrskonzeptes. Überall gilt Tempo 30, Radfahrer haben grundsätzlich Vorrang gegenüber PKWs, die wenigen Parkplätze sind teuer. Der Radverkehr hat seither um 40 Prozent zugenommen.

Doch der Verkehr mache nur 25 Prozent der Emissionen aus, 60 Prozent stamme von Heizungen, erklärt der Bürgermeister und weist auf drei markante Gebäude, die aus dem Stadtbild ragen. "Dort sind die echten Herausforderungen!" Die drei in den 1960er-Jahren nach Plänen des Architekten Renaat Braem gebauten Sozialwohnungstürme Sint-Maartensdal gelten heute zwar als Architekturdenkmäler, deren ikonische Dachantenne auf der Turmspitze weitum sichtbar ist, sind aber auch Belege dafür, dass in Leuven nicht nur 50.000 Studenten, sondern auch Zuzügler aus über 170 Nationen wohnen.

Ridouani, der selbst in einem Arbeiterbezirk aufgewachsen ist, weiß, dass in diesen Stadtteilen nicht nur besonders viel energietechnischer Sanierungsbedarf besteht, sondern auch potenzieller sozialer Sprengstoff lagert. Deshalb investiert die Stadt nicht nur in Instandsetzungsprogramme, mit denen jährlich zumindest 1.000 Wohnungen saniert werden sollen, in Geothermie und Fernwärme, in Solar- und Windkraft-Offensiven, sondern auch in Nachbarschafts- und Integrationsprogramme und den Kampf gegen Armut. Auch soziale Hilfsorganisationen sind Teil von "Leuven 2030". Nachhaltigkeit dürfe keine Sache der Privilegierten sein, sagt der Bürgermeister. Um Erfolg zu haben, müsse man alle Gruppen einbinden. Das sei auch wichtig, um den Zusammenhalt zu stärken. Denn bei allen Umfragen gebe es ein Thema, das den Menschen noch wichtiger sei als Nachhaltigkeit: Sicherheit. "Die Leute fühlen sich in Leuven nicht nur wohl, sondern auch sicher", ist er überzeugt.

Es gibt viel zu tun. Die Roadmap nennt acht Ziele, die auf 13 Programme und 80 Projektcluster heruntergebrochen werden. Die Projekte reichen von Share und Repair über Begrünung und Urban Farming bis zu Müllvermeidung und Kreislaufwirtschaft. Kaum eine Nachhaltigkeitsidee fehlt hier. "Leuven 2030" hat eine Art Wettbewerbssituation in der Stadt geschaffen. Die Großbrauerei Anheuser-Busch wolle bereits 2028 klimaneutral werden und habe etwa ein Pilotprojekt initiiert, bei dem das nach der Flaschenreinigung bisher einfach abgeleitete Warmwasser genutzt werden soll, erzählt der Bürgermeister begeistert. "Es ist jetzt fester Bestandteil unserer Stadtkultur geworden: Leuven bedeutet heute Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit! Das hat eine Vertrauensbasis geschaffen, auf der sich viel aufbauen lässt."

1516 wurde in Leuven das erste Exemplar von Thomas Morus "Utopia" gedruckt, bis heute Sinnbild der Möglichkeit eines glücklichen Zusammenlebens. 2024 finden die nächsten Wahlen zum Stadtparlament von Leuven statt. Rihouani ist zuversichtlich: Egal, ob er wiedergewählt werde oder nicht - der angestoßene Prozess sei nicht mehr umkehrbar. Und wohl auch alternativlos.

(S E R V I C E - https://www.leuven2030.be/)

ribbon Zusammenfassung
  • Viele Radfahrer, viele Busse, kaum Autos: Das ist der erste Eindruck von Leuven, wenn man auf den Bahnhofsvorplatz tritt.
  • "Wir haben versucht, die Autos weitgehend aus dem Stadtzentrum zu verbannen", sagt Bürgermeister Mohamed Ridouani.
  • Innerhalb weniger Jahre machte er das zum zentralen Thema seiner Politik.
  • "Leuven 2030" hat eine Art Wettbewerbssituation in der Stadt geschaffen.
  • 2024 finden die nächsten Wahlen zum Stadtparlament von Leuven statt.