Anzeigen 2020 trotz "Explosion" bei Cybercrime rückläufig
Insgesamt wurden im Vorjahr 276.354 Tatverdächtige ausgeforscht, 9,2 Prozent weniger als 2019. 109.161 davon waren keine österreichischen Staatsbürger, das sind 39,5 Prozent der Tatverdächtigen (2019: 40,1 Prozent). Grundsätzlich war bei den fremden Tatverdächtigen ein Rückgang von 10,6 Prozent zu erkennen. 9.550 Asylberechtigte waren unter den fremden Tatverdächtigen, das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang von 34 Prozent.
Konkret sind es 35.915 Anzeigen im digitalen Bereich mit einem Plus von 26,3 Prozent, die im Vorjahr den Gerichten vorgelegt wurden, ganz vorne steht laut Holzer der Betrug, dem 18.780 Fälle zugerechnet wurden. Bei fast allen anderen Delikten gab es 2020 Rückgänge, so etwa ein Rekordtief bei Eigentumsdelikten mit 128.111 Anzeigen, das sind minus 21,9 Prozent. Gestiegen sind im Corona-Jahr bei 11.652 ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverboten jene der 9.689 weggewiesenen Gefährder nach 8.254 im Jahr 2019.
"Die Kriminalität hat sich verändert", resümierte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bei der Pressekonferenz, wies aber auch darauf hin, dass diese "Zahlen aus einem Jahr resultieren", das mit keinem anderen vergleichbar ist. "Das Coronavirus dominiert auch den polizeilichen Alltag", sagte Nehammer und nannte Grenzkontrollen als Beispiel für neue Aufgaben, die auch als "Binnen-Grenzkontrollen in den Bezirken" anfallen.
Im Cybercrime-Bereich betrafen 1.702 Anzeigen den "Online-Kindesmissbrauch", ein "neuer trauriger Höchststand, so der BK-Direktor, der hier die Zusammenarbeit mit internationalen NGOs zur Aufdeckung solcher Fälle hervorhob - sie reichen von Übermittlung von Bildmaterial bis zur physischen Gewalt per Livevideo. Der Austausch mit der US-Organisation National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) sorgt für einen kontinuierlichen Anstieg an Anzeigen: Die Zahl der Anzeigen wegen pornografischer Darstellungen Minderjähriger (Paragraph 207a StGB) belief sich 2019 auf 1.666, 468 wurden durch Hinweise von NCMEC ausgeforscht.
Holzer hob bei der Analyse der Kriminalitätsentwicklung jene der vergangenen zehn Jahre hervor, von 2011 bis 2019 gab es bereits ein Minus von 51.000 Anzeigen, "im Coronajahr selbst waren es noch einmal um 55.000 weniger, das sind in Summe über 100.000 Anzeigen weniger in einer Dekade". Dieser Rückgang zeige sich vor allem bei den Vermögensdelikten, möglicherweise sei dieser auf gesellschaftliche Faktoren wie den steigenden Lebensstandard zurückzuführen, so Holzer. Fazit: Der klassische "Hendldieb" werde zunehmend vom digitalen Täter abgelöst.
Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, wies auf die hohe Aufklärungsquote hin: "Wir sind gut aufgestellt in der Kriminalitätsbekämpfung, aber müssen uns weiterentwickeln", stellte er fest. Der Bereich der Digitalisierung sei wesentliches und zentrales Thema für die Zukunft. Es gebe nur mehr wenige Bereiche in der Kriminalität, in denen IT keine Rolle spielt. Insgesamt habe die organisierte Kriminalität seit dem Ausbruch der Coronapandemie Anpassung bewiesen - ob es sich nun um illegale Kredite oder um gefälschte Waren handeln würde.
Auf die Entwicklung im Cybercrime-Bereich werde man mit weiteren Maßnahmen reagieren, kündigte BK-Direktor Holzer an, man benötige hier ein "flächendeckendes Netz an Experten", denn es reiche nicht aus, wenn nur in der zentralen Stelle des Bundeskriminalamts "High Level-Ermittlungen von Experten" ausgeübt würden. Daher wird bis hinab zu den Polizeiinspektionen auf Bezirksebene die "niederschwellige Vor-Forensik" ausgebaut werden, 600 Bezirks-IT-Ermittler sind das anvisierte Ziel und somit eine Verdoppelung. Eine neue Abteilung, die sich ausschließlich mit Cybercrime beschäftigt, werde eingerichtet und mit "Hochdruck" soll auch eine universitäre Ausbildung folgen, auch wenn gegenwärtig bereits ein Transfer zwischen Wissenschaft und Polizei bestünde.
Konträr zum Anstieg der Kriminalität in digitaler Form sanken die Eigentumsdelikte auf ein Rekordtief, wie zu erwarten, besonders in den Lockdown-Phasen: 128.111 Delikte in diesem Bereich bedeuten einen Rückgang von über 35.000 oder von 21,9 Prozent gegenüber 2019, wo es noch 164.080 Fälle waren. Besonders signifikant war der Knick beim Delikt Taschendiebstahl, erläuterte Holzer, denn hier belief sich die Zahl 2020 erstmals unter 10.000 - vor zehn Jahren zählte man noch 37.000 Anzeigen. Auch Kfz-Diebstahl und Wohnungseinbrüche sanken wegen der Pandemie, im April und Mai zählte man sogar erstmals Tage ohne eine einzige Anzeige.
Ebenfalls sanken die angezeigten Gewaltdelikte, bei den Tötungsdelikten setzte sich der Rückgang von 2019 fort, nachdem in den vier Jahren zuvor jeweils Anstiege verzeichnet worden waren. 2020 gab es 43 Taten mit 54 Opfern, so Holzer, in über 70 Prozent der Fälle kannten sich Täter und Opfer. Als "selbstkritische Anmerkung" fügte der BK-Direktor hier hinzu, dass die Opfer des Attentats am 2. November hier noch fehlen, da die Ermittlungen weiterhin nicht abgeschlossen sind.
Zusammenfassung
- Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote auf 54,2 Prozent.
- 2020 gab es 43 Taten mit 54 Opfern, so Holzer, in über 70 Prozent der Fälle kannten sich Täter und Opfer.