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Anschlag in Magdeburg: "Neue Kategorie von Tätern"

Der Attentäter von Magdeburg passt für Behörden und Sicherheitsexperten in kein gängiges Schema. Diverse Hinweise lagen vor - wurden aber nicht wirklich als Gefahr interpretiert. Was bisher bekannt ist:

Der 50-Jährige soll am Magdeburger Weihnachtsmarkt fünf Menschen getötet und 200 zum Teil schwer verletzt haben, in dem er mit einem gemieteten BMW durch die Menge fuhr. Sein Motiv gibt Rätsel auf - und könnte womöglich nie restlos geklärt werden. Experte Peter Neumann geht von einer neuen Täter-Kategorie aus, auf die sich die Behörden in Deutschland erst einstellen müssen. 

Seine teils wirren Äußerungen etwa in sozialen Netzwerken bieten Spielraum für Interpretationen. Die Behörden sind sich immer noch nicht im Klaren, ob sie die Tat überhaupt als politisch motiviert einstufen. Der Mann aus Saudi Arabien könnte auch psychisch krank sein.

Mann war Behörden bekannt

Fest steht, dass der Mann bereits 2006 nach Deutschland kam. Von 2011 bis Anfang 2016 habe er zunächst in Mecklenburg-Vorpommern gelebt und in Stralsund einen Teil seiner Facharzt-Ausbildung absolviert, erklärte der Innenminister des Bundeslandes, Christian Pegel (SPD). Schon damals wurde er bei den Behörden mehrfach auffällig - mit der Androhung von Straftaten.

In einem Streit um die Anerkennung von Prüfungsleistungen habe er gegenüber Vertretern der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern mit einer Tat gedroht, die internationale Beachtung bekommen werde. Im Zuge von Ermittlungen habe es auch eine Durchsuchung bei ihm gegeben, dabei seien aber keine Hinweise auf eine reelle Anschlagsvorbereitung gefunden worden. Im Jahr 2013 sei er vom Amtsgericht Rostock wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten zu 90 Tagessätzen verurteilt worden.

In der Folge gab es weitere Auffälligkeiten. Den Verdacht der Nötigung im Jänner 2014 etwa, der zu einer Gefährderansprache der Polizei geführt habe. Die Richter, die ihn 2013 verurteilt hatten, habe er später in einer Petitionshotline der Bundesbehörden außerdem als Rassisten bezeichnet. Er habe dabei Überlegungen angedroht, sich eine Pistole zu besorgen und im Zweifel Rache an den Richtern nehmen, sagte Pegel. Als Gefährder sei der Mann aber nicht eingestuft worden.

Auch nicht von den Behörden in Sachsen-Anhalt, wo der Verdächtige anschließend lebte. Im Februar 2016 beantragte er einen Asylantrag, über den im Juli desselben Jahres entschieden wurde. Der saudische Staatsbürger erhielt Asyl als politisch Verfolgter.

Zweifel an Kompetenzen

Er wohnte zuletzt in Bernburg, einer kleinen Stadt knapp 50 Kilometer von Magdeburg, entfernt. Dort arbeitete er als Facharzt für Psychiatrie im Maßregelvollzug (Maßnahmenvollzug, Anm.) und kümmerte sich um suchtkranke Straftäter. Das teilte das Gesundheitsunternehmen Salus mit. Seit März 2020 sei er in der Einrichtung tätig gewesen. "Seit Ende Oktober 2024 war er urlaubs- und krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst", hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens, das in Bernburg ein Fachklinikum für Psychiatrie und Suchtmedizin betreibt.

Doch in der Belegschaft gab es offenbar Misstrauen an dem Arzt und Zweifel an seinen Kompetenzen. Die "Mitteldeutsche Zeitung" zitiert einen Mitarbeiter: "Er heißt bei uns "Dr. Google"." Vor jeder gestellten Diagnose habe er im Internet nachschauen müssen. Es habe auch Hinweise an die Klinikleitung gegeben. Die Klinik wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Frauen schildern unangenehme Erfahrungen

Neben seiner Tätigkeit als Arzt war er als Aktivist und vehementer Islamkritiker unterwegs - vor allem in den sozialen Netzwerken, wo ihm schon vor dem Anschlag mehr als 40.000 Menschen folgen. Im Juni 2019 erschien ein Interview mit ihm in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte", sagte er damals. Neben seinen Beiträgen in den sozialen Netzwerken beriet er nach eigenen Aussagen Frauen unter anderem aus Saudi-Arabien bei Asylfragen und vermittelte deren Kontakt auch an internationale Medien.

Wie das Medium "Correktiv" berichtet, machten diese Frauen allerdings negative Erfahrungen mit ihm. Offenbar bot er ihnen Hilfe an und irritierte sie dann mit falschen Informationen. Einige fühlten sich bedroht und drangsaliert, manche fühlten sich offenbar sogar sexuell bedrängt. 

Der spätere Attentäter soll sich auch mit der Säkularen Flüchtlingshilfe Deutschland angelegt haben, einem Verein, der sich um die Interessen atheistischer Flüchtlinge kümmert. Die Rede ist von "übelsten Verleumdungen und verbalen Angriffen" - es habe sogar eine Anzeige und einen Prozess in Köln gegeben. 

Wirre Postings auf "X"

Sieht man sich den "X"-Account des 50-Jährigen an, zeigt sich auch hier, dass die Beiträge zunehmend wirrer und radikaler wurden. "Ich erwarte ernsthaft, dieses Jahr zu sterben", hieß es da etwa im Mai dieses Jahres. "Ich werde Gerechtigkeit um jeden Preis herbeiführen." Die deutschen Behörden würden alle Wege zur Gerechtigkeit blockieren.

Es ist allerdings derzeit unklar, ob der Saudi die Beiträge wirklich alle selbst verfasste. Für Irritation sorgte etwa ein Post, der nur wenige Minuten nach dem Anschlag von Magdeburg veröffentlicht wurde.

Erst vor rund zehn Tagen veröffentlichte die amerikanische Plattform "RAIR", die sich selbst als antimuslimische Graswurzel-Organisation beschreibt, ein mehr als 45 Minuten langes Interview mit dem Arzt. Darin wirft er unter anderem der deutschen Polizei vor, "geheime Operationen" durchzuführen und das Leben von saudischen Asylsuchenden, die sich vom Islam losgesagt hätten, gezielt zu zerstören. Zudem äußerte er sich als Fan von X-Inhaber Elon Musk und der AfD, die die gleichen Ziele wie er verfolge. Gleichzeitig bezeichnete er sich aber politisch als links. "Ich bin nicht rechts, ich bin ein Linker."

Der Leitende Oberstaatsanwalt von Magdeburg, Horst Walter Nopens, sagte am Samstag, das Motiv des Täters könnte Unzufriedenheit über den Umgang mit Flüchtlingen aus Saudi-Arabien in Deutschland gewesen sein. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte am Sonntag, die Äußerungen des Mannes zur Motivlage hätten eher wirr geklungen.

Individuelle Ideologie und psychische Erkrankung

Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London betonte im ZDF, wie schwierig es sei, den Attentäter ideologisch einzuordnen. Er habe nicht in ein bestimmtes Raster gepasst. "Er war eben kein typischer Islamist. Er war ein Saudi, der sich gegen den Islam gewendet hat." Das passe für Behörden nicht so richtig in die gängigen Schemas rein. 

Der Täter sei vielen Behörden bekannt gewesen und "man hat mit den Hinweisen nichts gemacht", kritisierte der Experte. Die Behörden müssten sich besser auf diese neue Täter-Kategorie vorbereiten: Ein militanter Islamkritiker, der einen Anschlag verübt, wie ihn die Terrororganisation "Islamischer Staat" machen würde und mit 50 Jahren weitaus älter als ein üblicher Terrorist sei. 

Vieles deute laut Neumann auf eine psychische Erkrankung hin. "Ich glaube, das ist ein Tätertypus, den wir in der letzten Zeit immer häufiger sehen, wo sich sehr eine persönliche Motivlage verbindet - auch mit Wahnvorstellungen und Anzeichen psychischer Erkrankungen", so Neumann zum "Bayrischen Rundfunk".

Im "Spiegel" sagte der Experte: In Großbritannien gebe es seit einigen Jahren eine neue Kategorie von Tätern, die das eigentlich ganz gut beschreibt - "gemischt, instabil und unklar"." Diese Gruppe umfasse laut Neumann Personen, die sich ihre "eigene Ideologie zusammenbasteln, sich dann hineinsteigern – und wo sich das dann häufig mit Wahnvorstellungen psychischer Erkrankungen verbindet."

Innenministerin fordert Tempo bei Gesetzen

Die Deutsche Innenministerin  Nancy Faeser (SPD) forderte im "Spiegel", dass ausstehende Gesetzentwürfe zur inneren Sicherheit dringend beschlossen werden sollten. Sobald die Ermittlungen ein klares Bild von den Hintergründen ergeben hätten, werde man daraus die notwendigen Schlüsse ziehen.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Attentäter von Magdeburg passt für Behörden und Sicherheitsexperten in kein gängiges Schema.
  • In sozialen Netzwerken präsentierte er sich als vehementer Kritiker des Islams und Saudi-Arabiens, engagierte sich aus dem Exil für Frauenrechte in seiner Heimat.
  • Aber er hat auch eine andere Seite, und das offenbar schon lange - das wird nun immer deutlicher, nachdem er auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt mindestens fünf Menschen tötete und 200 zum Teil schwer verletzte.
  • Viele rätseln vor allem über das Motiv des Mannes, der sich zuletzt immer kritischer auch zu deutschen Behörden und ihnen "geheime Operationen" vorwarf.
  • Seine teils wirren Äußerungen etwa in sozialen Netzwerken bieten Spielraum für Interpretationen. Die Behörden sind sich immer noch nicht im Klaren, ob sie die Tat als politisch motiviert einstufen.
  • Experte Peter Neumann geht von einer neuen Täter-Kategorie aus, auf die sich die Behörden in Deutschland erst einstellen müssen.