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Als Frau mit Behinderung: "Kann jetzt auch nicht sagen: Ich verklag euch"

Als Frau mit Behinderung ist man in Österreich unsichtbar, das führt zu einigen Problemen. Im Herbst steht die Staatenprüfung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen an. Betroffene und Expert:innen sind sich sicher, dass Österreich sich "eine ordentliche Watsche" einholen wird.

Daniela Rammel ist Mitte 40, sie hat zwei Katzen, mag gerne Punk-Konzerte und ist kleiner als die meisten Menschen. Sie ist kleinwüchsig, aber behindert wird sie durch die Gesellschaft. Sie ist ungefähr 1,30 Meter groß und das kann im Alltag unpraktisch sein. Daniela wohnt mit ihrem Partner, er ist über 1,80 Meter groß. Sie arbeitet im ÖZIV, einer Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung. Dort organisiert sie Weiterbildungen und Schulungen. 

Lieb gemeint

Abseits davon geht sie gerne auf Konzerte. Gerne am Wiener Gürtel, in die punkigeren, alternativen Ecken Wiens. "Da merkt man halt auch, dass die Barrierefreiheit fehlt", sagt sie. In die Lokale zu kommen sei nicht das Problem, weil sie keinen Rollstuhl hat. Aber die Bars, Bühnen und Stehtische sind oft zu hoch, um etwas zu sehen, zu bestellen oder zu sitzen.

Die Lokalbetreiber seien nach außen hin natürlich offen, Menschen mit Behinderungen eine Teilnahme zu ermöglichen, sagt sie. "Aber wie viele Menschen mit Behinderung kommen dann oft in so eine Lokalität rein? Das ist dann oft ein Widerspruch." Zu den Konzerten geht sie trotzdem, und nimmt die Hindernisse in Kauf.

Eines ihrer Lieblingslokale ignoriert ihre Anliegen. "Die haben jetzt so Skihütten-artige Sitze, das ist total hoch, auch andere Menschen haben da Schwierigkeiten." Da würde sie sich fragen, warum man das so baut, vor allem, wenn man weiß, dass das andere benachteiligt. Darauf angesprochen, kämen Antworten wie: "Ja, ja ich weiß eh, blöd." Es sei überall so, sagt Daniela. Als "Einzelproblem" fühlt sich Daniela Rammel dann.

Dass sie Teil des Monitoringausschuss für die UN-Konvention für Menschen mit Behinderung ist, sagt sie in solchen Situationen nicht. "Ich kann auch nicht sagen, ich verklag' euch jetzt – könnt' ich schon, aber die haben auch kein Geld", sie lacht.

Lange genug unsichtbar

Ändern würde sich etwas durch mehr Sichtbarkeit von Frauen mit Behinderung, denkt Daniela Rammel. "Dass es normal ist, dass ich im Fernsehen auch Moderator:innen seh, die jetzt aber nicht die Para-Olympics moderiert." Je sichtbarer sie sind, desto leichter würde das Leben für Frauen mit Behinderung werden, findet sie. Sichtbarkeit schafft Verständnis und normalisiert. 

18 Prozent der Österreicher:innen haben eine Behinderung. Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung. Vor sieben Jahren hat MediaAffairs eine Studie zur Berichterstattung über Frauen mit Behinderung durchgeführt und aktuell wiederholt: Es hat sich nicht viel geändert. Nur ein Drittel der Berichterstattung zum Thema Inklusion beschäftigt sich mit Frauen mit Behinderung(en).

Die Hälfte der Berichte zu Behinderung dreht sich um die Para-Olympics und Charity-Events, Menschen werden als "Opfer oder Bittsteller:innen" dargestellt, heißt es weiter. Das sei ein verzerrtes Bild der Realität. Es gäbe mehr sachliche Beiträge als vor sieben Jahren, aber inklusive Bildung, finanzielle Absicherung und die Wohnsituation von Menschen mit Behinderung würden aus der Berichterstattung ausgespart.

Das Bild von Behinderung

Meistens kommt der "klassische Rollstuhlfahrer" vor in den Medien. "Es wär' auch schön, mal eine Frau zu einem Podium oder Interviews einzuladen", und wenn es da um andere Dinge als die Behinderung gehen würde. "Viele Frauen mit Behinderung haben studiert und haben Expertise." Dass Frauen mit Behinderungen so unsichtbar seien, fängt für Rammel bei der Schulbildung an: Ob die Frau überhaupt die Schule abschließen konnte, das sei ein wichtiger Faktor.

Sie selbst wuchs in Wien auf. Inklusive Kindergärten gab es noch nicht, als Frau Rammel ein Kind war. In ihrer Familie ist sie die einzige Person, die kleinwüchsig ist. Sie besuchte einen "normalen" Kindergarten, die Volksschule und Hauptschule. Danach absolvierte sie die HAK Ungargasse, das war eine inklusive Schule. Dort waren alle bunt gemischt, dort war Daniela Rammel nicht mehr "die Einzige", wie sie selbst sagt. Die Schule hatte auch ein Wohnheim für Jugendliche mit Behinderungen, die nicht in Wien wohnten. "Die sind dann am Wochenende wieder nach Hause gefahren."

"Watsche" für Inklusionspolitik

Christine Steger ist eine Kollegin von Daniela Rammel im unabhängigen Monitoringausschuss der Vereinten Nationen (UN). Beide sind sich sicher, dass Österreich sich eine "ordentliche Watsche" einholen werde bei der Staatenprüfung der UN-Konvention im Sommer. 

2008 hat Österreich der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen formell zugestimmt. In der ersten und bis jetzt einzigen Prüfung Österreichs 2013 über die Einhaltung der Konvention wurden große Missstände festgestellt: Das in den Medien kommunizierte Bild von Menschen mit Behinderung sei unzeitgemäß, Sonderschulen würden Jugendliche von der Gesellschaft trennen. Das Problem mit der medialen Repräsentation wurde 2022 von diversen Journalist:innen aufgegriffen, allen voran vom Medium "andererseits".  

Die letzte Prüfung der Konvention hätte 2018 stattfinden sollen. Mehrmals wurde diese verschoben, zuletzt wegen der Corona-Pandemie. Aus dieser zehnjährigen Pause ergebe sich eine "tiefe Fallhöhe", so Steger. "Man müsse sich generell die Frage stellen, wie es sein könne, dass man eine völkerrechtlich bindende Vereinbarung unterzeichne, aber die flankierenden Maßnahmen, die zur Umsetzung notwendig sind, nicht setze", sagt Steger.

Manche Dinge hätten sich verbessert, deutliche Rückschritte gab es im Bereich Schule. Die letzte schwarz-blaue Regierung habe das Konzept der inklusiven Modell-Region eingestampft, sagt sie. Damit sei die Sonderschule als exkludierendes, ausschließendes Instrument fest zementiert worden, sagt Steger. Den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung nennt sie im Bildungsbereich "einen Witz", es würden die Ziele, wie die Abschaffung der Sonderschule, fehlen. 

Aus dem System gefallen

Welche Chancen man in Österreich hat, käme darauf an, wo man lebe. In Wien gibt es inklusive Schulprojekte, am Land die noch vor zwanzig Jahren als "Aso" bekannten Klassen. Kinder mit Behinderungen würden in separate Klassen gesteckt, mit separaten Transportern in die Schule "gekarrt", müssten keine Ausbildung machen und am Ende stünde der Stempel "genuine Arbeitsunfähigkeit". Das sei nichts anderes als "strukturelle Diskriminierung", sagt Steger.

Weder Arbeitsministerium noch AMS sei dann noch zuständig, sagt Steger. Debatten, wie die aktuellen Bestrebungen, mehr Menschen in die Vollzeit-Beschäftigung zu bewegen, "würden komplett an der Lebensrealität von 1,8 Millionen Menschen in Österreich vorbeigehen". Man müsse über andere Beschäftigungsmodelle sprechen, sagt Steger.

Behinderung würde innerhalb der Gesellschaft wie ein Brennglas funktionieren: Bestehende Probleme werden an der Gruppe der Menschen mit Behinderung wahnsinnig schnell sehr deutlich. Bei Frauen mit Behinderung sehe man auch die patriarchalen Strukturen extrem wirken, meint sie.

"Der Fachausschuss (der UN, Anm.) wird sich wundern, dass ein so hoch entwickeltes Land es nicht schafft, Inklusion in der Schule wirklich umzusetzen", sagt Steger.

Stolperstein Föderalismus

Steger und Rammel sehen beide, dass sich einzelne Minister für Menschen mit Behinderungen starkmachen würden. Es würde aber nicht reichen, wenn das Gesundheitsministerium der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zustimmt. Es müssten auch das Arbeitsministerium und das Frauenministerium dahinterstehen.

Ein Grund für den langsamen Fortschritt in Österreich ist auch der Föderalismus, der für Steger überhaupt nicht argumentierbar ist. Auch im Bereich der Kindergärten gebe es Regelungen, bei denen Geld vom Bund an Bedingungen der Länder geknüpft ist. Menschen mit Behinderung sind in ganz Österreich aber mit denselben Problem konfrontiert.

Unterstützungsleistungen sollten selbstverständlich sein, findet auch Daniela Rammel. Man sollte nicht erst beweisen müssen, dass man etwas nicht machen könne, um Unterstützung zu bekommen.

ribbon Zusammenfassung
  • Als Frau mit Behinderung ist man in Österreich unsichtbar, das führt zu einigen Problemen.
  • Im Herbst steht die Staatenprüfung der UN-Konvention über die Rechte mit Behinderung an. Betroffene und Expert:innen sind sich sicher, dass Österreich sich "eine ordentliche Watsche" einholen wird.