APA/HELMUT FOHRINGER

88 Prozent auf Intensivstation haben österreichische Staatsbürgerschaft

Laut Vorwürfen des FPÖ-Politikers Gottfried Waldhäusl sollen auf den Intensivstationen mehr als die Hälfte der Patienten Migranten sein. Tatsächlich besitzen 88 Prozent der Patienten die österreichische Staatsbürgerschaft. Auch weitere Vorwürfe von Waldhäusel konnten in einem Faktencheck widerlegt werden.

In sozialen Medien und auf Twitter entbrannte in den vergangenen Tagen eine Diskussion darüber, wie hoch der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist, die an Corona erkrankt auf Intensivstationen liegen. Der niederösterreichische FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl bemängelte zuletzt etwa in einem oft geteilten Facebook-Posting, dass mehr als 50 Prozent der Covid-19-Intensivbetten aktuell mit Migranten belegt seien. Das würden Gesundheitsexperten und Ärzte "hinter vorgehaltener Hand" sagen. Und obwohl Migranten sich "an keinerlei Sicherheitsmaßnahmen halten", würden sie im nationalen Impfplan bevorzugt werden. Ein Faktencheck der "APA" widerlegt nun diese Vorwürfe.

11,7 Prozent ohne österreichische Staatsbürgerschaft

Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) erhebt in Österreich die Staatsangehörigkeit von Covid-19-Intensivpatienten. Wie ein Pressesprecher der GÖG auf Anfrage mitteilte, wurden von 1. Jänner 2020 bis 28. Februar 2021 insgesamt 5.790 Menschen aufgrund von Covid-19 intensivpflichtig. Davon seien 88,3 Prozent österreichische Staatsbürger. 8,5 Prozent stammten aus Drittstaaten und 3,2 Prozent aus weiteren EU-Staaten. Zusammengerechnet hatte also 11,7 Prozent der Menschen, die bis Ende Februar intensivpflichtig wurden, die österreichische Staatsbürgerschaft nicht.

Die Zahlen stammen laut dem Sprecher aus der "Diagnosen- und Leistungsdokumentation österreichischer Fondskrankenanstalten". Sie würden zwar in der Aktualität etwa zwei Monate hinterherhinken, seien dafür aber sehr exakt. Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Anteil der Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft innerhalb des darauffolgenden Monats gravierend verändert hat.

Relativ gesehen sind den GÖG-Daten zufolge Ausländer sogar weniger häufig wegen Corona auf Intensivstationen als österreichische Staatsbürger. Denn der Ausländeranteil unter den Intensivpatienten beträgt 11,7 Prozent, in der Gesamtbevölkerung jedoch 17,1 Prozent. Zudem sind Migranten per Definition nicht gleich Ausländer, aber die Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund hat die österreichische Staatsbürgerschaft nicht. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass mehr als 50 Prozent der Covid-19-Intensivbetten mit Migranten belegt sind.

Beengte Wohnverhältnisse erhöhen Infektionsrisiko

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien stellte mit Hinweis auf eine OECD-Studie fest, dass Migranten überdurchschnittlich stark von Covid-19 betroffen seien. In Ländern, für die entsprechende Daten vorliegen, hätten sie ein etwa doppelt so hohes Infektionsrisiko. Dafür gebe es mehrere Gründe, wie beengte Wohnverhältnisse, Armut, weniger Möglichkeit zur Telearbeit, Sprachbarrieren oder mehr Vorerkrankungen: "All das macht sie exponierter vor dem Virus", sagte sie im Gespräch mit der "APA".

Darauf wiesen auch Gesundheit Österreich und das Gesundheitsministerium hin. Laut dem GÖG-Sprecher hängen sowohl der Migrationshintergrund als auch der Sozioökonomische Status statistisch gesehen positiv zusammen. "Der Sozioökonomische Status wiederum beeinflusst die verfügbare Wohnfläche je Haushaltsmitglied, die wiederum einen Einfluss auf die Ansteckungswahrscheinlichkeit hat".

Sprachbarriere in der Krisen-Kommunikation

Auch eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums betonte, dass unabhängig von ihrer Herkunft Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen besonders gefährdet seien. Um dem entgegenzusteuern, müssten Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und die Armutsbekämpfung verstärkt werden. Zentral sei auch, dass Menschen mit verständlichen Informationen erreicht werden: "Wir werden (...) die Information fremdsprachiger Communitys weiter ausbauen". Schon bisher würde der Österreichische Integrationsfonds Informationen in 17 Sprachen anbieten.

Kohlenberger zufolge muss in der Kommunikation über Covid-19 nach Alter, Bildung usw. diversifiziert werden. Migranten seien nämlich wie Österreicher keine homogene Gruppe. Ältere Migranten seien etwa besonders schwer zu erreichen. Mehrsprachige Nachrichtensendungen im Fernsehen oder Radio könnten hier Abhilfe schaffen, wohingegen Kommunikation auf Social Media wenig bringe. Kritisch sah sie, dass Covid-19-Informationsseiten für Deutschsprachige teilweise auf anderen Seiten zu finden seien als jene in Migrantensprachen. Beispielsweise die Seite "Österreich impft" existiere nur auf Deutsch. Auch dass übersetzte Informationen gleichzeitig stark gekürzte Versionen seien, kritisierte sie. Keine Evidenz gebe es dafür, dass Migranten sich weniger an Covid-19-Maßnahmen hielten, wie von Waldhäusl behauptet.

Keine Priorisierung im Impfplan

Aus dem aktuell geltenden Covid-19 Impfplan (Stand 12.3.2021) geht nicht hervor, dass Migranten bevorzugt werden. In Phase 3, wenn mit der breiten Impfung der Bevölkerung begonnen wird, ist von "Bewohnerinnen und Bewohner in engen/prekären Wohnverhältnissen (Gemeinschaftsunterkünfte etc.)" die Rede. Allerdings könne diese "Priorisierung aufgrund der Lebens- und Arbeitsverhältnisse" nur unter der Voraussetzung von ausreichend verfügbaren Impfstoffen erfolgen.

ribbon Zusammenfassung
  • Nach den Vorwürfen des FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl sollen auf den Intensivstationen mehr als die Hälfte der Patienten Migranten sein.
  • Tatsächlich besitzen 88 Prozent der Patienten die österreichische Staatsbürgerschaft.
  • 8,5 Prozent stammten aus Drittstaaten und 3,2 Prozent aus weiteren EU-Staaten.
  • Keine Evidenz gebe es dafür, dass Migranten sich weniger an Covid-19-Maßnahmen hielten, wie von Waldhäusl behauptet.
  • Auch weitere Vorwürfe von Waldhäusel konnten in einem Faktencheck widerlegt werden.