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8. Metallerlohnrunde: Verhandlungskrampf und Arbeitskampf

Am Donnerstag startet die inzwischen achte Lohnrunde der Metaller. Eine Einigung muss her, sonst drohen die Gewerkschaften den Arbeitskampf auszuweiten. Die schien nach der siebten Runde weit entfernt. Während die Arbeitgeber vor den wirtschaftlichen Folgen eines zu hohen Abschlusses warnen, wollen die Gewerkschaften zumindest die Inflation abgegolten haben.

Montag, der 20. November gegen 20.30 Uhr. Seit rund sechs Stunden sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinter verschlossenen Türen am Feilschen. Die Medienvertreter:innen, die vor dem Besprechungszimmer der Betriebsräte einige Stockwerke unter dem Verhandlungsraum auf Neuigkeiten warten, vertreiben sich die Zeit teilweise mit Schachduellen am Handy.

Bei den wartenden Betriebsräten kommt langsam Unruhe auf. Irgendwas ist im Busch. Eine Einigung? Ein erneuter Abbruch? Oder doch nur falscher Alarm?

Die Antwort kommt in Form einer Presseaussendung durch die Arbeitgeber. "Die siebente Verhandlungsrunde für die Metalltechnische Industrie wurde heute Abend wieder einseitig von den Gewerkschaften abgebrochen." Das Verhalten der Gewerkschaften sei absurd, heißt es weiter.

Ein Gewerkschaftler flucht nach einem Blick auf das Handy lautstark über das rasche Vorpreschen der Arbeitgeber. Der Auftritt von GPA und Pro-Ge nach den Verhandlungen wirkt nach dieser Vorwarnung etwas weniger beeindruckend als wohl ursprünglich geplant. Am Ergebnis ändert der etwas verpatzte Auftritt nichts. Nach sieben Verhandlungsrunden sind die Verhandlungspartner erneut auf keinen grünen Zweig gekommen.

Forderungen und Angebote

9,6 Prozent. Eine Zahl, die im Zuge der Verhandlungen immer wieder auftaucht. So hoch ist die rollierende Inflation bei den Metallern – also die durchschnittliche Inflation der letzten 12 Monate. Ein Abschluss unter diesem Wert kommt für die Gewerkschaft auf keinen Fall infrage.

Die Arbeitgeber argumentieren, dass dieser Betrag derzeit nicht bezahlbar wäre. Nach einem niedrigen ersten Angebot von 2,5 Prozent hat die Wirtschaft ihr Angebot inzwischen angehoben. Im Raum stehen derzeit 2,7 Prozent mehr plus einem monatlichen Fixbetrag von 130 Euro. Zusammengerechnet wären das 6 Prozent. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 1.200 Euro.

Dem entgegen steht die Forderung der Gewerkschaft. Vom Einstieg von rund 11,6 Prozent hat man sich inzwischen verabschiedet und möchte nun mehr für die unteren Einkommen rausholen. Im Schnitt will man laut den Arbeitnehmern jetzt rund 10,6 Prozent. Mehr für die niedrigen Einkommen und weniger für die Gutverdiener.

Genau an diesem Punkt spießt es sich derzeit. Die Unternehmen meinen, dass die Forderung der Gewerkschaft jetzt sogar mehr als 11,6 Prozent für drei von vier Beschäftigten bedeuten würden. Die Arbeitnehmer hätten also ihre Forderung in der siebten Runde sogar noch erhöht. Reinhold Binder, Chefverhandler der Pro-Ge zeigt sich im PULS 24 Interview ausweichend. Er spricht davon, dass die Arbeitgeber den Vorschlag eigentlich gar nicht kommentiert und den Verhandlungstisch verlassen hätten.

Doch warum tut sich die Metalltechnische Industrie heuer so schwer, die alten Spielregeln der Lohnerhöhung einzuhalten?

In normalen Zeiten wird für Lohnverhandlungen üblicherweise die sogenannte Benya-Formel herangezogen, die auf den 2001 in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof beigesetzten ÖGB-Präsidenten und SPÖ Politiker Anton Benya zurückgeht. Die Lohnerhöhung berechnen sich üblicherweise aus der Abgeltung der Inflation und einem kleinen Anteil am Produktionszuwachs.

Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt, dass sich die Metaller zuletzt meist auf einen Abschluss etwas über der rollierenden Inflation einigen konnten.

Die Metaller-Abschlüsse der vergangenen JahrePULS 24

Das scheint im Jahr 2023 jedoch kaum möglich. Das habe mit der derzeitigen wirtschaftlichen Lage zu tun, meint etwa der Ökonom Benjamin Bittschi vom Wirtschaftsforschungsinstitut: "Die Industrie befindet sich tatsächlich in einer Rezession. Unsere Prognosen vom Oktober gehen von einem Minus von 2,7 Prozent für 2023 aus. 2024 erwarten wir ein geringes Plus von 0,1 Prozent, also de facto eine Stagnation. Das erschwert den Arbeitgebern derzeit auf Höhe der rollierenden Inflation abzuschließen."

Die Krux des Weltmarkts

Hinzu kommt der internationale Konkurrenzdruck der Branche. Im Gegensatz zu den Bäckereien etwa, die ja bereits rund um die rollierende Inflation abgeschlossen hätten, könne eine Zulieferbranche, wie es die Metaller nun mal sind, nicht einfach die Preise weitergeben. "Wenn beispielsweise ein internationaler Autobauer bestimmte Komponenten nicht mehr von einem österreichischen Hersteller kaufen möchte, hat er eine Vielzahl von Alternativen. Dann kauft er es eben in einem anderen Land günstiger", so Bittschi.

Die Bäckereien hätten es hier leichter. Abgesehen davon, dass die Branche deutlich kleiner sei, sei ein Ausweichen der Kundschaft auch deutlich schwieriger. Die höheren Löhne seien laut Bittschi hier teilweise nur ein Durchlaufposten, den die Arbeitgeber auf die Preise an der Theke aufschlagen können.

Arbeitskampf als letzte Möglichkeit der Gewerkschaft

Die Gewerkschaft will diese Argumente und die Warnung eines drohenden Jobverlustes ihrer Schützlinge natürlich nicht hinnehmen. Sie beharrt auf ihren Forderungen und will die Wirtschaft mit Streiks zu einem Umdenken bewegen. Rund 150.000 Beschäftigte hätten sich an den Streikaktionen bereits beteiligt, teilt die Gewerkschaft PRO-GE PULS 24 mit.

Arbeiter, die mit großen Transparenten und Bengalos auf den Betriebsgeländen aufmarschieren, ziehen zwar die TV-Kameras der Republik an, die Arbeitgeberseite zeigt sich bislang allerdings eher unbeeindruckt. Die Streiks würden zwar weh tun, doch viel wichtiger sei es, einen Abschluss zu finden, der für die Branche auch verträglich sei, meint der Obmann des Fachverbands der Metalltechnischen Industrie, Christian Knill, im PULS 24 Interview.

Die Frage, die sich Beobachter stellen, ist, wie lange man den Arbeitskampf noch aufrechterhalten kann. Der Rechtsanwalt und Arbeitsrechtler Stefan Köck sieht drei Probleme: "Was passiert, wenn die Streikbereitschaft irgendwann wegbricht. Das ist derzeit nicht zu sehen. Hinzu kommen die Kosten. Die Gewerkschaft zahlt an ihre Mitglieder Streikgeld. Wenn großflächig gestreikt wird, ist das sehr teuer, auch wenn man davon ausgehen kann, dass der ÖGB einen ordentlichen Streikfonds hat. Der dritte Punkt ist, dass eine Schädigung der österreichischen Industrie mittel und langfristig natürlich am Ast sägt, auf dem die Arbeitnehmer selbst sitzen"

Die Rolle der Regierung

Zurufe von politischer Seite während der Lohnverhandlungen werden nicht gerne gesehen. Kaum ein Politiker wird öffentlich seine Vorstellungen zu den Abschlüssen abgeben. Das ist eine Sache der Sozialpartner, hier eine Einigung zu finden. Der Direktor des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn, ortet trotzdem ein Foul von Seiten der Bundesregierung.

In einem Kommentar in der Tageszeitung "Die Presse" wirft er Vizekanzler Werner Kogler und Finanzminister Magnus Brunner vor, die Arbeit der Gewerkschaft zu erledigen. Grund ist die diesjährige Pensionserhöhung von 9,7 Prozent sowie die Erhöhung der Beamtengehälter von rund 9,2 Prozent. Damit hätte man der Gewerkschaft "eine unbezahlbare Argumentationslinie geliefert".

Christian Knill gibt Schellhorn hier durchaus recht, meint aber auch, dass man die Pensionist:innen und Beamten nicht mit der metalltechnischen Industrie vergleichen könne: "Wir müssen unser Geld am Weltmarkt verdienen, wir haben einen harten Wettbewerb und wir müssen um jeden Cent kämpfen. Insofern ist es leichter, wenn ich Steuergeld verteile, das mir nicht selbst gehört."

Die Regierung also als Partycrasher der Lohnverhandlungen? Benjamin Bittschi vom WIFO kann mit dieser Argumentation wenig anfangen: „In normalen Zeiten liegen die Tarifanpassungen üblicherweise über dem Verbraucherpreisindex, an dem sich die Pensionserhöhungen orientieren. Das hat sich wegen des Energiepreisschocks gedreht.“ In Richtung der Lohnerhöhung der Beamten meint er: „Wir haben bei vielen Berufen im öffentlichen Dienst bereits Schwierigkeiten, Personal zu finden. Wenn man hier einspart, sobald es hart auf hart kommt, wird man dieses Problem nicht lösen“

Alternative als Ausweg?

Wie also eine Einigung in dieser verfahrenen Situation finden? Eine Einigung, die die Gewerkschaft ihren Schützlingen verkaufen kann, ohne das Gesicht zu verlieren und die die Industrie auch verkraften kann? Das WIFO schlägt hier eine Art Aufteilung der Lohnerhöhungen vor.

Benjamin Bittschi erklärt das so: Man könne zunächst unter der rollierenden Inflation von 9,6 Prozent abschließen. Die fehlenden Prozentpunkte auf die rollierende Inflation und eine Kompensation für die Verschiebung sollen später folgen. Das hätte den Vorteil, dass die Arbeitgeber nicht sofort die rollierende Inflation ausgleichen müssten. Zusätzlich könnte auch die Steuer und sozialversicherungsfreien Einmalzahlungen genutzt werden, um den Bruttolohnanstieg zu verschieben, während die Nettolöhne der Beschäftigten trotzdem steigen. 

Christian Knill kann mit diesem Vorschlag nur bedingt etwas anfangen. Wenn man den nachhaltigen Teil im kommenden Jahr dann nachreichen müsse, würde es ja weiterhin teuer bleiben. Einen mehrjährigen Abschluss kann er sich allerdings durchaus vorstellen. Es brauche eine Formel, die für beide Seiten planbar sei.

Auch Reinhold Binder scheint mehrjährigen Abschlüssen nicht vollends kritisch gegenüberzustehen. Allerdings müsse man die rollierende Inflation außer Streit stellen, meint er im PULS 24 Interview.

Einmal geht’s noch

Die heutige achte Verhandlungsrunde könnte medial zwar etwas in den Hintergrund rücken, immerhin streiken erstmals auch die Beschäftigten im Handel mitten im Weihnachtsgeschäft. Dennoch ist es ein bemerkenswertes Ereignis. Seit 2010 benötigen die Verhandler lediglich zwischen vier und sechs Termine. Am schnellsten hat man sich im Coronajahr 2020 geeinigt. Der Abschluss auf Höhe der rollierenden Inflation von 1,45 Prozent war nach der Übergabe der Forderungen in trockenen Tüchern.

In der siebten Runde hat man erste Müdigkeitserscheinungen bei den Verhandlern feststellen können. Trotzdem zeigen sich sowohl Christan Knill als auch Reinhold Binder im PULS 24 Interview einen Tag vor den Verhandlungen optimistisch. Bleibt nur die Frage, ob dieser Optimismus nicht nach den ersten Diskussionen verpufft und ob es eine Marathonsitzung wie jene vom 28. Oktober 2015 braucht. Damals hatte man ganze 24 Stunden verhandelt. So lange kann sich dann nicht einmal der standhafteste TV-Mitarbeiter die Zeit mit Handyschach vertreiben.

ribbon Zusammenfassung
  • Am Donnerstag startet die inzwischen achte Lohnrunde der Metaller. Eine Einigung muss her, sonst drohen die Gewerkschaften den Arbeitskampf auszuweiten. Die schien nach der siebten Runde weit entfernt. Während die Arbeitgeber vor den wirtschaftlichen Folgen eines zu hohen Abschlusses warnen, wollen die Gewerkschaften zumindest die Inflation abgegolten haben.