Gartlehner: "Das Leben als Ungeimpfter muss unbequemer werden"
Am Mittwoch stellte die Regierung den neuen Drei-Stufen-Plan für den Corona-Herbst vor, die ab kommenden Mittwoch gültig sein soll. Neben einer Rückkehr der FFP2-Maskenpflicht soll nun statt der Sieben-Tages-Inzidenz die Intensivbettenbelegung als Indikator herangezogen werden. Epidemiologe Gerald Gartlehner hält im Newsroom LIVE diese Umstellung grundsätzlich für sinnvoll, weil sich Patienten nun im Durchschnitt viel jünger sind als noch vor einem halben Jahr. Die Gefahr sei jedoch, dass das Geschehen auf den Intensivstationen den Ansteckungen um zwei bis drei Wochen hinterherhinke. "Die Maßnahmen sind fast ein bisschen zu leicht dafür, dass die Zahlen in den Intensivstationen schon hoch sind", kritisiert der Epidemiologe. "Man hätte das etwas früher und schneller beginnen sollen."
Wohnzimmertest ersatzlos abschaffen
Dass im Drei-Stufen-Plan nach wie vor der Wohnzimmertest verankert sei, ist für Gartlehner überflüssig. Ihn hätte man ersatzlos abschaffen sollen, weil bei asymptomatischen Personen fünfzig bis sechzig Prozent übersehen werden. Die FFP2-Maskenpflicht hingegen sei sinnvoll. Bei der hochansteckenden Delta-Variante sollte man laut dem Experten "wirklich kein Risiko eingehen".
"Ungeimpft zu sein in Österreich ist noch etwas zu bequem", attestiert Gartlehner. Ungeimpfte seien ein Risiko für sich selbst und die gesamte Gesellschaft, weil sie den Großteil der Spitalspatienten ausmachen und das auch Geimpfte betreffe, wenn Operationen verschoben werden müssen.
Gesellschaft vor Ungeimpften schützen
Die 2-G-Regel sollte früher eingesetzt werden als im Stufenplan vorgesehen, fordert der Epidemiologe. Die Maßnahmen kämen alle sehr spät. Ein großes Problem bei der 3-G-Regelung sei, dass viele glauben würden, dass Impfen und Testen gleichwertig seien. "Epidemiologisch ist das aber überhaupt nicht der Fall. Impfen ist einfach viel, viel wichtiger und wertvoller als jeder Test." Deshalb müsse die Attraktivität von Tests reduziert werden, damit sich mehr Leute impfen lassen. Sie kostenpflichtig zu machen wäre ein Weg, in den USA würde man für Ungeimpfte sogar Beiträge zur Gesundenversicherung erhöhen. Das wäre in Österreich wohl schwer umsetzbar, aber das Leben für Ungeimpfte müsse unbequemer werden. Die Gesellschaft müsse vor den Ungeimpften geschützt werden. Dass die Regierung das Gegenteil sage, sei nur ein "rhetorischer Spin".
"Die Situation in der wir jetzt sind und in die wir kommen werden, wäre völlig vermeidbar", ist sich Gartlehner sicher, "wenn die Impfquote deutlich höher wäre".
Maßnahmen für Ungeimpfte werden sehr schwer kontrollierbar sein, denn auch die 3-G-Regel in der Gastronomie, die schon jetzt besteht, werde sehr lax überprüft, zweifelt der Epidemiologe an der Durchführbarkeit des Regierungsplans. "Wie das in Baumärkten kontrolliert werden soll, ist mir ein großes Rätsel."
Lockdown nicht auszuschließen
Gartlehner hofft, dass es nicht zu einem weiteren Lockdown kommt, wegen der sehr schlechten Impfquote sei ein weiterer aber nicht auszuschließen. Er sei inzwischen desillusioniert und glaubt, dass eine Steigerung der Quote sehr schwer zu erreichen sei. Er glaubt, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen das Maximum erreicht sei. Wenn nicht eine bessere Impfkampagne gefahren werde, rechnet der Experte nicht damit, dass Österreich die 70-Prozent-Grenze durchbricht. Das könne nur mit mehr Druck auf Ungeimpfte erreicht werden.
"Man muss die Maßnahmen der Regierung als Mindeststandard sehen", komme es aber regional zu höheren Zahlen, solle man auf diese auch lokal reagieren.
"Werden uns alle auffrischen lassen müssen"
Mit Impfungen für kleine Kinder würde Gartlehner noch warten, bis bessere Daten vorhanden sind. Den Stich würde er nur empfehlen, wenn Vorerkrankungen bestehen. Älteren und vulnerablen Personen empfiehlt der Epidemiologe, sich sehr schnell um eine Auffrischungsimpfung zu kümmern. "Mittelfristig werden wir uns alle auffrischen lassen müssen. Das ist bei allen Impfungen so und bei der Covid-Impfung nicht anders." Den in Österreich noch nicht zugelassenen Kreuzimpfungen bescheinigt er eine gute Wirkung mit besserer Antikörperbildung. "Das ist etwas, was sich das österreichische Impfgremium sicher schon überlegt."
Zusammenfassung
- Epidemiologe Gerald Gartlehner hält im Newsroom LIVE die neuen Maßnahmen der Regierung für zu leicht dafür, dass die Zahlen in den Intensivstationen schon hoch sind: "Man hätte das etwas früher und schneller beginnen sollen."
- Dass im Drei-Stufen-Plan nach wie vor der Wohnzimmertest verankert sei, ist für Gartlehner überflüssig. Ihn hätte man ersatzlos abschaffen sollen, weil bei asymptomatischen Personen fünfzig bis sechzig Prozent übersehen werden.
- Die FFP2-Maskenpflicht hingegen sei sinnvoll. Bei der hochansteckenden Delta-Variante sollte man laut dem Experten "wirklich kein Risiko eingehen".
- "Ungeimpft zu sein in Österreich ist noch etwas zu bequem", attestiert Gartlehner. Ungeimpfte seien ein Risiko für sich selbst und die gesamte Gesellschaft, weil sie den Großteil der Spitalspatienten ausmachen .
- Ein großes Problem bei der 3-G-Regelung sei, dass viele glauben würden, dass Impfen und Testen gleichwertig seien. "Epidemiologisch ist das aber überhaupt nicht der Fall."
- Wenn nicht eine bessere Impfkampagne gefahren werde, rechnet der Experte nicht damit, dass Österreich die 70-Prozent-Grenze durchbricht. Das könne nur mit mehr Druck auf Ungeimpfte erreicht werden.