Polizeigewalt: Historischer Spiele-Boykott im US-Sport
Am Jahrestag des ersten Anti-Rassismus-Protests von Colin Kaepernick haben US-Sportler ihre Wut und Enttäuschung über die Polizeigewalt im Land deutlich gemacht wie nie zuvor. Ausgelöst von einem historischen Playoff-Boykott der Milwaukee Bucks verzichteten am Mittwoch Teams und Spieler in der NBA, NFL, MLB, MLS und WNBA auf ihre Wettkämpfe.
NBA-Vizepräsident Mike Bass bestätigte, dass alle Play-off-Partien am Donnerstag nicht stattfinden werden. Noch am Nachmittag war laut seiner Aussage ein Treffen unter anderen mit Spielern und Vertretern der in Orlando spielenden 13 Teams sowie Repräsentanten der NBA geplant. Bass sagte, die Liga hoffe darauf, den Spielbetrieb am Freitag oder Samstag wieder aufnehmen zu können.
Zuvor hatten die Profis über das weitere Vorgehen nach dem Boykott der Spiele am Mittwoch beraten - auch von einer möglichen Absage der weiteren Playoff-Spiele war die Rede. Die jüngste Gewalttat von Polizisten gegen einen schwarzen Amerikaner am Wochenende hat viele Spieler ein weiteres Mal schwer getroffen.
Von Profisportlern aus der NBA und der NFL gab es Zuspruch für den Schritt der Bucks. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama schrieb: "Ich preise die Spieler der Bucks, die einstehen dafür, woran sie glauben, Trainer wie Doc Rivers und die NBA und WNBA dafür, ein Zeichen zu setzen. Es wird all unsere Institutionen brauchen, um für unsere Werte einzustehen."
Die NHL verschob laut einem Medienbericht die beiden Play-off-Partien am Donnerstagabend. Wie das Portal ESPN berichtete, reagierte die Liga damit auf Forderungen, die NHL solle dem Beispiel anderer großer Ligen wie der NBA und der MLB folgen. Davon betroffen wäre die dritte Partie der Philadelphia Flyers mit dem Kärntner Michael Raffl gegen die New York Islanders.
Auf den Tag genau vier Jahre nachdem Kaepernick, der damalige Quarterback der San Francisco 49ers, sich bei einem Testspiel vor der NFL-Saison erstmals während der Nationalhymne hingekniet und das Land in eine emotionale Debatte verwickelt hatte, blieben die Basketballer der Bucks am Mittwoch aber in ihrer Kabine. In einer allem Anschein nach nicht schon lange vorbereiteten Aktion boykottierten sie das fünfte Spiel der Playoff-Serie gegen Orlando beim Stand von 3:1 nach Siegen. Der Grund: Die jüngste Gewalttat von Polizisten gegen einen Afroamerikaner, dem am Wochenende in den Rücken geschossen worden war. Der Tatort ist in weniger als einer Stunde von Milwaukee mit dem Auto zu erreichen.
Der 29-jährige Familienvater Jacob Blake war am Sonntag durch Schüsse der Polizei in seinen Rücken schwer verletzt worden. Auf einem Video ist zu sehen, wie Blake zu seinem Auto geht, gefolgt von zwei Polizisten mit gezogenen Waffen. Eine der Waffen ist auf seinen Rücken gerichtet. Als Blake die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, fallen Schüsse. Nach Angaben des Anwalts der Familie saßen in dem Auto Blakes Kinder im Alter von drei, fünf und acht Jahren. Nach Angaben von Blakes Vater und des Anwalts ist er infolge der Schüsse von der Hüfte abwärts gelähmt.
"Trotz der überwältigenden Plädoyers für Veränderungen hat es keine Handlungen gegeben. Unsere Konzentration kann deswegen heute nicht dem Basketball gelten", hieß es in einer von den Bucks-Profis in den Katakomben der Halle in Orlando verlesenen Reaktion auf den Boykott. "Wenn wir auf dem Platz stehen und Milwaukee und Wisconsin repräsentieren, wird von uns das höchste Niveau erwartet, dass wir alles geben und uns gegenseitig in die Verantwortung nehmen. Wir erfüllen diesen Standard und fordern das gleiche von unseren Gesetzgebern und der Strafverfolgung."
Tags zuvor hatte Doc Rivers bereits mit einem emotionalen Kommentar seinen Schmerz und seine Wut zum Ausdruck gebracht: "Es ist für mich erstaunlich, warum wir dieses Land weiterhin lieben und dieses Land uns nicht zurück liebt", sagte der Trainer der Los Angeles Clippers als Reaktion auf das Video der Schüsse auf Blake.
Die stärkste Frauen-Basketball-Liga der Welt, die WNBA, verzichtete wie die NBA auf alle geplanten Partien für den Tag. In der Major League Soccer fanden fünf der sechs geplanten Spiele des Tages nicht statt. Auch in der Major League Baseball wurden Begegnungen abgesagt.
"So etwas habe ich noch nie gesehen. Man muss den Milwaukee Bucks eine Menge Respekt zollen", sagte Basketball-Legende Charles Barkley dem TV-Sender CNN. "Ich finde es sehr couragiert, was die Milwaukee Bucks heute Abend gemacht haben." Von den Team-Besitzern, die nicht informiert waren, gab es Rückendeckung für die Basketballer.
"Scheiß darauf, Mann. Wir verlangen Veränderung. Krank davon", teilte Lakers-Superstar James mit. "Wir verlangen Veränderung", twitterte Donovan Mitchell von den Utah Jazz - verbunden mit einer Respektbekundung an die Bucks.
Schon vor dem Einzug der Profis in die Anti-Corona-Blase nach Florida hatten die Anti-Rassismus-Proteste im Land eine große Rolle gespielt. Einige Basketballer waren der Meinung, dass mit einer Fortsetzung der durch die Pandemie unterbrochenen Saison der Fokus auf dieses so wichtige Thema verloren gehe. Spieler und Trainer hatten zwar nahezu täglich in Interviews auf den Tod von George Floyd und weiterer schwarzer Menschen hingewiesen. Der Knall am Mittwoch aber war beispiellos und wird lange nachhallen.
Zusammenfassung
- Am Jahrestag des ersten Anti-Rassismus-Protests von Colin Kaepernick haben US-Sportler ihre Wut und Enttäuschung über die Polizeigewalt im Land deutlich gemacht wie nie zuvor.
- Ausgelöst von einem historischen Playoff-Boykott der Milwaukee Bucks verzichteten am Mittwoch Teams und Spieler in der NBA, NFL, MLB, MLS und WNBA auf ihre Wettkämpfe.
- Als Blake die Fahrertür öffnet und sich ins Auto beugt, fallen Schüsse.