Terrorismus-Experte zu Olympia: "Mache mir etwas Sorgen"

Die Olympischen Spiele in Paris sind mit einem massiven Sicherheitsaufkommen gestartet. Bereits im Vorfeld wurden über 4.000 Anträge auf Akkreditierung aus Sorge um die Sicherheit abgelehnt. Nichtsdestoweniger kam es bereits zu einer Festnahme und mehreren Sabotage-Akten. Terrorismus-Experte Peter Neumann erklärt, wie groß die Gefahr wirklich ist.

Erst am vergangenen Freitag wurden die Olympischen Spiele in Paris eröffnet, seitdem hat sich nicht nur sportlich bereits viel getan.

Zentrale Verbindungen des Bahnnetzes wurden durch mutmaßliche Brandanschläge lahmgelegt, ein 18-Jähriger wegen Terrorverdachts festgenommen und am Montag sabotierten Unbekannte zahlreiche Glasfaserkabel. Die Folge: großräumige Internet-Ausfälle.

Wie gut ist Frankreich gegen solche Sabotage- und Terrorakte gewappnet? Im PULS 24 Interview mit Anchorwoman Sophia Angelides erklärt Terrorismus-Experte Peter Neumann, von wem Gefahr ausgeht und wie groß sie wirklich ist.

PULS 24: Sie sind Beobachter mit Insider-Wissen. Wie gut läuft es in Sachen Anschlags- und Terrorismusabwehr in Frankreich?

Peter Neumann: Das kommt darauf an, was man erwartet hat. Die französischen Behörden haben sich ja seit zwei Jahren im Prinzip auf dieses Ereignis vorbereitet und da standen immer Terrorismus, feindliche staatliche Akteure und natürlich auch politische Aktivisten im Vordergrund. Die französischen Behörden haben immer gewusst, das trifft nicht nur die 35 Spielstätten in Paris und die acht Spielstätten um Paris herum, sondern die können im ganzen Land angreifen. Und die [Angreifer, Anm. d. Red.] werden möglicherweise die Chance nutzen, dass so viel Sicherheit in Paris konzentriert ist, um sich auf andere Plätze zu konzentrieren. Also das war immer vorausgesehen, aber dass gleich am ersten Tag etwas passiert, ich glaube, das hat auch die Franzosen etwas überrascht.

Wie sehr treffen denn Frankreich diese Anschläge, diese Sabotageakte? Sie haben ja auch schon von einem psychologischen Effekt gesprochen.

Für den französischen Staat ist das etwas ganz Wichtiges. [...] Man versucht, Frankreich gewissermaßen nach Jahren, wo es eigentlich nicht so gut lief, wo man eigentlich immer in den negativen Schlagzeilen war, der Welt neu vorzustellen. Und deswegen hat das auch einen psychologischen Effekt, wenn dann eben klar wird, es funktioniert doch nicht alles und deswegen versucht man so stark auch diese Sicherheitsbedrohung in Schach zu halten.

Sind Sie als Beobachter überrascht über das, was wir bisher an Sabotage und Angriffen gesehen haben oder wie ordnen Sie das ein?

Also ich denke, das war schon bis zu einem gewissen Punkt zu erwarten. [...] Mir wurde mehrere Male gesagt, passen Sie auf Herr Neumann, es geht nicht nur um Terrorismus, wir haben auch Aktivisten, politische Aktivisten, die diese Olympischen Spiele stören könnten. Wie genau, weiß man natürlich nicht, aber dass es hier eine aktivistische Komponente gibt, dass es nicht nur um Terrorismus geht, auch um Sabotage, dass es auch um kritische Infrastruktur geht, das hatten die schon auf dem Schirm und ich glaube, das ist auch wichtig. [...] Das ist eine Warnung an uns, heute sind es vielleicht Aktivisten, morgen ist es möglicherweise ein feindlicher Staat und da müssen wir uns besser schützen.

Aus welcher Richtung, würden Sie sagen, ist die Gefahr am größten aktuell in Frankreich?

Wenn jetzt ein feindlicher Staat sagen würde, wir setzen alle unsere Ressourcen daran, diese Spiele zu stören, dann könnten die unglaublich viel Schaden anrichten, viel mehr Schaden als zum Beispiel Terroristen. Aber Terroristen sind eine wahrscheinlich schwieriger zu kalkulierende und momentan wahrscheinlich gefährlichere Gefahr - wenn man das so ausdrücken kann - als feindliche Staaten. Deswegen würde ich nach wie vor sagen, auch beim Thema dschihadistischer Terrorismus müssen die Franzosen sehr, sehr stark aufpassen, da gibt es innerhalb dieser dschihadistischen Terrorgefahr zwei Teilgefahren.

Welche zwei Gefahren sind das?

Die erste Teilgefahr, das sind diese Einzeltäter, die sich häufig im Internet radikalisiert haben, die mit Messern zuschlagen, die möglicherweise Autos in Menschenmengen reinfahren, das kann immer passieren. Das kann man sehr, sehr schwer kontrollieren, weil diese Leute wenig kommunizieren. Und dann gibt es die organisierten Netzwerke, davon haben wir in letzter Zeit immer mehr gesehen, auch zum Beispiel vor Weihnachten der versuchte Anschlag auf den Stephansdom. Das sind organisierte Netzwerke, die größere Operationen durchführen können, die miteinander kommunizieren, die stärker überwacht werden, aber die dennoch eine Gefahr sind. Deswegen würde ich sagen: Bis zum Ende der Spiele, bis zur Abschlussfeier müssen da die Franzosen ganz, ganz genau darauf aufpassen und das tun sie.

Video: Österreich wartet auf erste Olympia-Medaille

Jetzt wird natürlich besonders aufgepasst, genau dort, wo die Spiele stattfinden. Aber die Sabotage, die hat ja eher an Nebenschauplätzen stattgefunden. Denken Sie, dass die Sabotage dort auch weitergehen wird?

Ja, ich glaube, das ist schon auch eine Konsequenz. Natürlich ist vielen derer, die diese Spiele stören wollen, bewusst, dass sehr, sehr viel Sicherheit eingesetzt und in Paris konzentriert ist, speziell an den Spielstätten. Zehntausende von Polizisten, Soldaten sind dort unterwegs, über Wasser, unter Wasser, die sind wirklich extrem gesichert und das bedeutet natürlich zum Teil, zumindest abstrakt, dass an anderen Orten dann die Sicherheit etwas fehlt, dass da etwas weniger Sicherheit präsent ist. [...] Das könnten sich natürlich Aktivisten und Terroristen zunutze machen.

Sind die Sportler und Sportlerinnen, um die es ja bei den Olympischen Spielen eigentlich geht, auch in Frankreich in besonderer Gefahr? Oder wäre die Gefahr und die Anschlagslage in jedem Land aktuell so wie jetzt in Frankreich?

Ich glaube schon, dass Frankreich ein besonders gefährdetes Land ist, von der Perspektive des dschihadistischen Terrorismus. Wir haben von allen europäischen Staaten in den letzten zehn Jahren die allermeisten Anschläge in Frankreich gehabt. Dort gibt es nach wie vor eine aktive dschihadistische Szene. Wir erinnern uns, Charlie Hebdo, das Bataclan-Massaker und viele, viele versuchte Anschläge in Paris, im Süden Frankreichs. Das ist eine andere Qualität als zum Beispiel in Österreich oder in Deutschland. [...] Deswegen habe ich vor den Spielen schon gesagt, ich mache mir da schon etwas Sorgen.

Video: Zahlen, Fakten & Kritik bei Olympia

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ribbon Zusammenfassung
  • Die Olympischen Spiele in Paris sind mit einem massiven Sicherheitsaufkommen gestartet.
  • Bereits im Vorfeld wurden über 4.000 Anträge auf Akkreditierung aus Sorge um die Sicherheit abgelehnt.
  • Nichtsdestoweniger kam es bereits zu einer Festnahme und mehreren Sabotage-Akten.
  • Terrorismus-Experte Peter Neumann erklärt, wie groß die Gefahr wirklich ist.