Imane KhelifAPA/AFP

"Eklat" um Olympia-Boxerinnen: Was wirklich dahinter steckt

Zahlreiche Medien berichten derzeit über zwei angeblich "zu männliche" Boxerinnen bei den Olympischen Spielen in Paris. Ihre Testosteron-Level sollen zu hoch gewesen sein - dabei gilt diese Regel heuer gar nicht bei Olympia. Hintergrund des vermeintlichen "Eklats" ist unter anderem ein Verbandsstreit.

Die Athletinnen Imane Khelif (25) aus Algerien und Lin Yu-ting (28) aus Taiwan treten diese Woche in Box-Wettkämpfen bei den Olympischen Spielen in Paris an. Mehrere Medien, zahlreiche Nutzer auf Social Media und auch Politiker bezeichnen das Antreten der beiden Athletinnen aber als "Skandal" oder "Eklat".

Die beiden Sportlerinnen werden als "biologische Männer" bezeichnet, teils voreilig zu Transfrauen erklärt und es wird von einer Wettbewerbsverzerrung gesprochen. Zuletzt griff etwa auch FPÖ-NÖ-Chef Udo Landbauer die Causa auf.

Was ist passiert?

Der Grund: Beide Boxerinnen waren bei der Frauen-Box-WM 2023 des Weltverbandes IBA (International Boxing Association) in Neu-Delhi disqualifiziert worden. Khelif wurde vor ihrem Finalkampf im Halbmittelgewicht ausgeschlossen, Lin hatte zuvor die Bronzemedaille im Bantamgewicht gewonnen.

Die Medaillen wurden damals wegen eines nicht bestandenen "Geschlechtstests" aberkannt. Dabei handelte es sich um einen Testosteron-Test - auch wenn Verbandschef Umar Kremlev in einer russischen Agenturmeldung fälschlicherweise von einem DNA-Test sprach. Bei den Olympischen Spielen dürfen beide Frauen trotzdem antreten.

Was steckt hinter der Olympia-Entscheidung?

Viele Kritiker sehen in der Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) eine Transgender- oder Inklusionsdebatte. Tatsächlich hat sich das IOC 2023 vom Boxverband IBA getrennt, der nur einer von vielen parallelen Boxsportverbänden auf der Welt ist. Bei den Olympischen Spielen gibt es deshalb keine Testosteron-Grenzen.

Seit 2019 war die IBA bereits wegen "mangelnder finanzieller Transparenz" und "fehlender Integrität der Schiedsprozesse" suspendiert gewesen. Dem Verbandschef, Oligarch Umar Kremlev, wird zudem eine Nähe zum russischen Machthaber Wladimir Putin nachgesagt.

Sind die beiden Boxerinnen Transfrauen?

Sowohl Imane Khelif als auch Lin Yu-ting und die jeweiligen nationalen Boxverbände haben 2023 Berufung gegen den IBA-Geschlechtertest eingelegt.

Beide Athletinnen haben vor der WM 2023 bereits mehrmals an IBA-Weltmeisterschaften teilgenommen, Khelif hat zudem an den Olympischen Sommerspielen 2020 in Tokio teilgenommen. In allen früheren Fällen haben sie Testosteron- bzw. "Geschlechtertests" der IBA ohne Probleme bestanden.

Khelif schied in Tokio im Viertelfinale aus. Bei der IBA-WM 2022 gewann sie Silber im Halbmittelgewicht. Lin gewann bei den IBA-Weltmeisterschaften 2018 und 2019 Gold im Bantamgewicht.

Der taiwanesische Boxverband sah in einer Stellungnahme gegenüber taiwanesischen Medien als möglichen Grund für den Geschlechtertest, dass weibliche Boxerinnen während Wettkämpfen ihr Gewicht und ihren Zyklus regulieren. Das könne zu ungewöhnlichen Hormonspiegeln führen.

Die Menschenrechtsforscherin Nora Noralla sagte zu den Vorwürfen auf Twitter (inzwischen "X"): "Es ist lächerlich, wie wenig weiße Menschen über die Rechte von Transpersonen in Algerien wissen. Sie denken, dass eine Algerierin sich einfach ihr Geschlecht sowie ihre Papiere ändern und das Land reibungslos vertreten kann. Soweit die verfügbaren Informationen zeigen, ist Imane Khelif eine Cisgender-Frau."

Zusammengefasst gibt es angesichts der Faktenlage keinen Grund, anzunehmen, dass die beiden Athletinnen Transfrauen sind.

Warum gibt es bei Olympia keine Testosteron-Obergrenze?

Wie auch bei den Olympischen Spielen in Tokio 2020 erstellte auch in Paris eine eigens eingesetzte Taskforce die Zulassungskriterien für Boxer:innen. In denen finden sich zwar Vorgaben zu Gewicht, Alter und gesundheitlicher Fitness, jedoch keine Beschränkungen beim Testosteronspiegel. Stattdessen liegt die Verantwortung bei den einzelnen nationalen Sportverbänden.

Entgegen landläufiger Meinung, steht ein höherer Testosteronspiegel allerdings nicht im direkten Zusammenhang mit einer besseren Performance, betonten Sportler:innen und Wissenschaftler:innen in einem Artikel im wissenschaftlichen "Sports Med"-Journal.

Video: Österreich wartet auf erste Olympia-Medaille

Wie reagierten die Athletinnen?

Die Taiwanesin Lin hat sich bislang nicht zu den aktuellen Vorwürfen geäußert. Über die Disqualifizierung von der WM zeigte sie sich aber enttäuscht, ebenso wie ihr Verband, der betonte, dass Lin frühere Testosteron-Tests der IBA immer bestanden habe.

Khelif hingegen sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass ihre WM-Disqualifikation eine Verschwörung gewesen sei, um den Gewinn einer Boxerin aus Algerien zu verhindern.

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ribbon Zusammenfassung
  • Medien, rechte Social-Media-Poster und Politiker wüten: Zwei angeblich "zu männliche" Boxerinnen treten bei den Olympischen Spielen in der Frauen-Kategorie an.
  • Wegen zu hohem Testosteronspiel wurden sie von der IBA-Box-WM 2023 disqualifiziert, bei Olympia sind sie aber dabei.
  • Hintergrund ist ein jahrelanger Verbandsstreit mit dem Boxverband IBA. Bei den Olympischen Spielen gibt es keine Testosteron-Obergrenze.
  • Ein erhöhter Testosteronspiegel bedeutet nämlich nicht unbedingt eine bessere sportliche Leistung, betonen Wissenschaftler.
  • Beide Athletinnen sind bereits bei früheren IBA-Weltmeisterschaften angetreten und haben damals alle "Geschlechtertests" bestanden.
  • Olympia 2024 live und kostenlos bei ORF 1 und ORF Sport + sowie auch in den ORF-Livestreams auf JOYN.