Yoshihide Suga neuer Chef der Regierungspartei in Japan
Der 71-Jährige bisherige Kabinettssekretär und Regierungssprecher will die Politik seines Vorgängers, des Partei- und Regierungschefs Abe, der kürzlich aus gesundheitlichen Gründen abrupt seinen Rücktritt angekündigt hatte, nach eigenen Aussagen fortsetzen. Doch mangelt es Suga nach Ansicht von Politikanalysten an Visionen für Japan und an außenpolitischer Erfahrung.
Bei der Wahl am Montag setzte sich Suga mit 377 Stimmen klar gegen den Ex-Außenminister Fumio Kishida (89 Stimmen) durch. Der frühere Verteidigungsminister Shigeru Ishiba, der als reformfreudig gilt und sich als seltener parteiinterner Kritiker Abes hervorgetan hatte, kam auf lediglich 68 Stimmen.
Die Wahl von Suga, der fast acht Jahre lang als Kabinettssekretär Abes rechte Hand war, galt nur als eine Formsache. Denn er hatte sich zuvor in den Hinterzimmern der seit Jahrzehnten fast ununterbrochen regierenden LDP die Unterstützung wichtiger parteiinterner Machtgruppen gesichert. Diese Machtgruppen dürften im Gegenzug nun erwarten, dass ihre Leute bei der anstehenden Regierungsbildung von Suga Kabinettsposten bekommen.
Suga mit seinem etwas trägen Blick haftet das Image eines trockenen, altmodischen Politikers an. Sein Vater war Landwirt aus einem Dorf in Akita im kalten Norden Japans, seine Mutter Lehrerin. Suga studierte in Tokio Recht und Politik, mit 47 kam er ins Parlament. In der von Politikerdynastien geprägten LDP ist der Aufstieg eines Mannes wie Suga an die Spitze ungewöhnlich.
Das habe Suga nicht zuletzt Abe zu verdanken. Suga verstand es, die mächtigen Bürokraten zu kontrollieren, und pflegte auf seinen täglichen Pressekonferenzen unliebsame Fragen von Journalisten zu ignorieren. Auf diese Weise stand er fast acht Jahre Abe, dessen Umfragewerte auch wegen Skandalen um Günstlingswirtschaft gesunken waren, schützend zur Seite.
Wie lange Suga, der in der LDP über keine eigene Machtgruppe verfügt, regieren kann, bleibt abzuwarten. Es wird spekuliert, dass er schon in Kürze Neuwahlen zum Parlament anberaumen könnte. Seine Umfragewerte sind derzeit gut.
Anders als sein bisheriger Chef Abe, der von einem sentimentalen Nationalismus getrieben war, Japan wieder zu einem stolzen und "schönen" Land machen wollte und für sein inniges Verhältnis zu US-Präsident Donald Trump bekannt war, scheint Suga weniger an Ideologie interessiert. Auch ist es schwer vorstellbar, dass der spröde Suga Trump ähnlich umgarnen wird, wie Abe es tat. Suga ist laut Beobachtern der Ansicht, dass das G7-Land Japan vor allem einen starken Privatsektor braucht, um global ernst genommen zu werden.
Ihm geht es um die Umsetzung konkreter pragmatischer Schritte. Um unter Abwanderung leidenden Dörfern zu helfen, initiierte er ein Steuerverfahren, bei dem Städter die Wahl haben, ihre Lokalsteuer lieber ländlichen statt städtischen Gemeinden zukommen zu lassen.
Als künftiger Ministerpräsident übernimmt Suga von seinem Vorgänger viele unbewältigte Aufgaben. Die Wirtschaft, die Abe mit seiner "Abenomics" genannten Politik aus lockerer Geldpolitik, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen und dem Versprechen von Reformen aus der Stagnation holen wollte, ist im Zuge der Coronakrise in eine tiefe Rezession gerutscht. Suga will dennoch die "Abenomics" fortsetzen. Schließlich habe sie Millionen Arbeitsplätze geschaffen.
Hinzu kommen die rasante Überalterung der Gesellschaft und die Verödung der ländlichen Regionen im Zuge der Abwanderung in die großen Städte. Auch außenpolitisch steht die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt vor großen Herausforderungen. Das Verhältnis zu China, das wegen Inselstreitigkeiten sowie Japans Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit schwierig ist, hat sich zwar zuletzt verbessert. Die Beziehungen zu Südkorea sind dagegen infolge eines Handelsstreits schwer belastet. Auch mit Russland liegt Japan seit Jahrzehnten im Streit um die Kurilen-Inseln im Pazifik. Beobachter erwarten, dass Suga aus Mangel an außenpolitischer Erfahrung - und Interesse - einen erfahrenen Außenminister ins Kabinett holen wird.
Zusammenfassung
- Doch mangelt es Suga nach Ansicht von Politikanalysten an Visionen für Japan und an außenpolitischer Erfahrung.
- Suga studierte in Tokio Recht und Politik, mit 47 kam er ins Parlament.