Ungarns Streit mit EU eskaliert: Ukraine-Hilfen blockiert
Der Konflikt zwischen Ungarn und anderen EU-Staaten hat sich am Dienstag verschärft. Ungarn blockiert EU-Finanzhilfen von bis zu 18 Milliarden Euro für die Ukraine. So soll der ungarische Finanzminister Mihály Varga bei einer öffentlichen Beratung der EU-Finanzminister in Brüssel gegen die Freigabe der Ukraine-Gelder gestimmt haben. Die Finanzhilfe kann nur einstimmig von den 27 EU-Mitgliedsstaaten beschlossen werden.
Beobachter sähen die Blockadehaltung als eine Art Erpressungsversuch von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, schreibt das deutsche Magazin "Der Spiegel". Er wolle Diplomaten zufolge auf diese Weise verhindern, dass die anderen Mitgliedsländer EU-Hilfen für Ungarn im Umfang von insgesamt mehr als 13 Milliarden Euro sperren.
Die EU-Finanzminister trafen am Dienstag in Brüssel daher letztlich keine Entscheidung über die Milliarden-Kürzung von Geldern für Ungarn. Der tschechische Ratsvorsitz hatte laut Österreichs Finanzministerium die Debatte darüber von der Tagesordnung gestrichen. Grund: Ungarn habe signalisiert, dass es keine Zustimmung zur Finanzhilfe für die Ukraine sowie zur globalen Mindeststeuer geben werde. Nun soll die EU-Kommission Ungarns Reformen zur Rechtsstaatlichkeit neu prüfen.
Deutschland verärgert
"Wir haben heute die Europäische Kommission noch einmal gebeten, die aktuellen Entwicklungen in Ungarn zu bewerten", sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner nach dem Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel. In der ungarischen Politik habe es noch Entwicklungen gegeben, nachdem die Kommission ihren Bericht vorgelegt habe. Der aktuelle Bericht umfasste nur Maßnahmen bis zum 19. November.
Es sei bedauerlich, dass man keine Entscheidung über Hilfen für die Ukraine getroffen habe, sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner nach dem Treffen. "Das verantwortet Ungarn", sagte er.
Neubewertung
Auch aus dem Wiener Finanzministerium hatte es zuvor geheißen, der EU-Ratsvorsitz habe die EU-Kommission "aufgefordert, in den nächsten Tagen eine aktualisierte Bewertung zu den ungarischen Reformen im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit vorzunehmen". Die Kommission scheint dem jedoch skeptisch gegenüberzustehen: "Wir glauben, dass der Ministerrat alle Elemente hat, um eine Entscheidung zu treffen", sagte ein Sprecher im Vorfeld.
Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) hatte sich vor dem Treffen abwartend gezeigt. Gleichzeitig betonte er, die Rechtsstaatlichkeit sei nicht zu diskutieren, sie "ist ein Grundpfeiler der Europäischen Union". Steuergeld müsse "korrekt" verwendet werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde Österreich laut Brunner der Beurteilung der EU-Kommission folgen.
EU: Ungarn verstößt gegen Menschenrechte
Die EU-Kommission hat vergangene Woche empfohlen, Corona-Hilfen und andere Fördermittel für Budapest erst freizugeben, wenn die rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Orbán Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit umsetzt. Insgesamt geht es um etwa 13,3 Milliarden Euro. Nun müssen die EU-Staaten über diese Empfehlung entscheiden.
Unter den 27 Mitgliedstaaten gab es bisher noch nicht die erforderliche Mehrheit für solche Mittelkürzungen für Ungarn. Vor allem osteuropäische Staaten sollen die Sorge haben, dann selbst wegen Rechtsstaatsproblemen belangt zu werden.
Bei den Vorschlägen der EU-Kommission geht es um rund 7,5 Milliarden Euro aus dem Gemeinschaftsbudget, die eingefroren werden sollen. Zudem sollen Corona-Hilfen über 5,8 Milliarden Euro nur dann ausgezahlt werden, wenn Budapest bestimmte Meilensteine im Bereich Rechtsstaatlichkeit erreicht hat. Die EU-Kommission wirft Ungarn seit Jahren vor, EU-Standards und Grundwerte zu untergraben.
Kommission: Reformen unzureichend
Die Kommission befand, dass Ungarn zwar eine Reihe von Reformen durchgeführt habe, aber zentrale Aspekte nicht angemessen umgesetzt worden seien. Es seien noch wesentliche Schritte erforderlich, um verbleibende Risiken für den EU-Haushalt in Ungarn zu beseitigen. Konkret wird etwa befürchtet, dass wegen Korruption EU-Mittel nicht zu vorgesehenen Zwecken eingesetzt werden.
Ungarn blockiert Milliarden für Kiew
Brisant ist das Thema auch, weil Ungarn in Verbindung mit der möglichen Geldkürzung andere Vorhaben blockiert, unter anderem weitere Milliardenhilfen für die Ukraine sowie die internationale Mindeststeuer. "Unser Ziel bleibt es, Anfang Jänner mit der Auszahlung der Hilfen für die Ukraine zu beginnen", sagte der tschechische Finanzminister Zbynek Stanjura, dessen Land noch bis Jahresende den EU-Ländern vorsitzt. Nach seinen Worten wollen die anderen 26 Mitgliedsländer nun eine Alternativlösung suchen, was jedoch als kompliziert gilt.
Der österreichische EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn sagte, Brüssel werde "das Bestmögliche tun", um der Ukraine die 18 Milliarden Euro bereitzustellen, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Kiew für das kommende Jahr in Aussicht gestellt hatte.
Zusammenfassung
- Der Konflikt zwischen Brüssel und Budapest ist nach einem Treffen der EU-Finanzminister um ein Kapitel reicher.
- Die Auszahlung von 18 Milliarden Euro an die Ukraine wird von Ungarn als einzigem EU-Land nicht mitgetragen.
- Orbán wolle Druck machen, um so an mehr als 13 Milliarden Euro an EU-Geldern zu kommen, sagen Diplomaten.