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Ukraines Nachbarland Moldau durch Krieg unter Druck

"Um sechs Uhr in der Früh hat der Beschuss auf unser Wohnhaus begonnen", schildert die 68-jährige Xenia mit Tränen in den Augen. Die Ukrainerin ist am Montag aus ihrem Heimatland nach Moldau geflüchtet, mit ihrer Tochter und der erst ein Jahr alten Enkelin. Im Auffangzentrum nahe des Grenzübergangs Palanca zeigt sie auf ihrem Handy Fotos von Einschusslöchern der Wohnungsfenster in ihrer Heimatstadt Mykolayjiw im Süden der Ukraine.

Vor rund zwei Monaten hat Russland die Ukraine überfallen, mehr als 5,2 Millionen Menschen mussten laut dem UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) bereits aus ihrer Heimat flüchten. Viele reisten in die Nachbarländer. Besonders betroffen ist mit Moldau eines der ohnedies ärmsten Länder Europas. 2,6 Millionen Menschen leben in der ehemaligen Sowjetrepublik, mehr als 608.000 Vertriebene in der Ukraine sind bereits ein-, der Großteil davon weitergereist. Doch knapp 100.000 Ukrainer blieben in ihrem Nachbarland. In Relation zu seinen Einwohnern hat Moldau mehr Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen als jedes andere Land.

"Man weiß nicht, was morgen ist", sagt die 18-jährige Natalia. Sie ist mit ihrer 33-jährigen Schwester, ihrem neunjährigen Bruder und der 53-jährigen Mutter aus Cherson geflüchtet. "Wir haben lange gewartet und die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Russen wieder das Land verlassen", sagt sie im Auffangzentrum der moldauischen Regierung nahe des Grenzübergangs Palanca. "Doch jetzt haben wir uns dazu entschieden wegzugehen", berichtet Natalia im östlichsten Dorf der Republik Moldau.

Rund 2.100 Menschen reisen derzeit jeden Tag von der Ukraine nach Moldau, das auch als Armenhaus Europas gilt. 90 Prozent der geflüchteten Menschen sind in privaten Unterkünften im kleinen Nachbarland untergebracht, sagt die österreichische Botschafterin in der Republik Moldau, Stella Avallone. "Die Hilfsbereitschaft ist enorm." Die Menschen sind solidarisch mit den Ukrainern. Am Montag reiste der Flüchtlingskoordinator der österreichischen Regierung, Michael Takacs, nach Moldau, um sich selbst ein Bild von der Situation dort zu machen. "Die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Einrichtungen und Hilfsorganisationen hat sich in Moldau genauso wie in Österreich bewährt", sagt er nach dem Besuch an der moldauischen Grenze Palanca. "Das kann niemand alleine stemmen", betont er.

Auch Andreas Knapp, Vorstandsvorsitzender der Stiftung "Nachbar in Not" und Generalsekretär für Internationale Programme der Caritas Österreich, war in Moldau dabei. Die Hilfsaktion "Nachbar in Not - Hilfe für die Ukraine" wurde am 24. Februar 2022, am Tag des Beginns des russischen Krieges gegen die Ukraine, vom ORF und der Stiftung "Nachbar in Not" gestartet. Fast 46 Millionen Euro wurden bis Ostermontag gespendet, die Bundesregierung verdoppelte diese Summe. "Es ist ein bisschen mehr als der Tropfen auf dem heißen Stein", sagte Knapp in Moldau. "Es erlaubt uns, unsere Partnerschaften zu erweitern und länger in der Ukraine und in den Nachbarländern präsent zu sein", berichtete der Vorstandsvorsitzende.

Eine neue Kooperation soll so mit der österreichischen NGO Concordia eingegangen werden. Diese ist die größte Nichtregierungsorganisation in der ehemaligen Sowjetrepublik, bietet 56 soziale Dienste in 46 Orten und versorgt knapp 5.000 Personen unmittelbar mit Leistungen. Bisher konnten 540 Geflüchtete in Einrichtungen untergebracht werden, berichtet Vorstandsvorsitzende Ulla Konrad.

Im Auffangzentrum am Grenzübergang Palanca sind auch von Concordia betreute Flüchtlinge im Einsatz und versorgen die neu Ankommenden mit Essen und Getränken. "So haben sie etwas zu tun und wir sind dankbar, dass die Menschen beschäftigt sind", sagt Konrad. Unter den Mithelfenden ist auch die 19-jährige Salzburgerin Anna. Sie macht seit September ein Volontariat bei der österreichischen NGO Concordia in Moldau. Die junge Frau hatte genug vom Online-Unterricht, der sie durch das Maturajahr begleitete und in der Pandemie auch den Studentenalltag geprägt hätte. Ihre Familie macht sich Sorgen um sie, mehrfach wurde sie aufgefordert, nach Hause zu kommen. "Aber hier kann ich helfen", sagt Anna und versorgt die nächsten ankommenden Flüchtlinge mit Placinta, einem traditionellem moldauischen Gebäck.

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  • "Um sechs Uhr in der Früh hat der Beschuss auf unser Wohnhaus begonnen", schildert die 68-jährige Xenia mit Tränen in den Augen. Die Ukrainerin ist am Montag aus ihrem Heimatland nach Moldau geflüchtet, mit ihrer Tochter und der erst ein Jahr alten Enkelin. Im Auffangzentrum nahe des Grenzübergangs Palanca zeigt sie auf ihrem Handy Fotos von Einschusslöchern der Wohnungsfenster in ihrer Heimatstadt Mykolayjiw im Süden der Ukraine.