APA/APA (AFP)/STEPHANE DE SAKUTIN

Über 600 Mediziner klagen französische Regierung

Mehr als 600 Ärzte haben in der Coronakrise rechtliche Schritte gegen die französische Regierung eingeleitet. Am 19. März reichte das Kollektiv namens C 19 Beschwerde gegen die ehemalige Gesundheitsministerin Agnes Buzyn und Premierminister Edouard Philippe ein. Bis Dienstag zu Mittag haben mehr als 350.000 Menschen die Petition zur Unterstützung der Klage unterschrieben.

Mehr als 600 Ärzte haben in der Coronakrise rechtliche Schritte gegen die französische Regierung eingeleitet. Am 19. März reichte das Kollektiv namens C 19 Beschwerde gegen die ehemalige Gesundheitsministerin Agnes Buzyn und Premierminister Edouard Philippe ein. Bis Dienstag zu Mittag haben mehr als 350.000 Menschen die Petition zur Unterstützung der Klage unterschrieben.

Die Mediziner werfen den Politikern "Staatslügen" im Umgang mit dem Coronavirus vor. Die Ärzte Philippe Naccache, Emmanuel Sarrazin und Ludovic Toro wandten sich deswegen an den Gerichtshof der Republik, die Instanz in Frankreich, die ausschließlich über Verfehlungen französischer Minister in der Ausübung ihres Amtes urteilt. Der Vorwurf lautet auf unterlassene Hilfeleistung und fahrlässige Tötung. Laut den Ärzten war sich die Regierung der Gefahren der Krankheit zwar bewusst, handelte aber nicht früh genug und reagierte falsch, was etwa die Bereitstellung von Schutzmasken und Tests für Covid-19 sowie die Isolierung von betroffenen Personen betrifft.

Sarazzin berichtete "Zeit Online", dass Sanitäter Anfang März in seine Arztpraxis Patienten gebracht hätten, die gerade aus den italienischen Corona-Gebieten kamen und schrecklich husteten. Sie saßen "ohne Vorwarnung" in seinem überfüllten Wartezimmer und Sarrazin musste ihre Atemprobleme ohne Maske behandeln. "Es ist unglaublich, wie unvorbereitet wir in diese katastrophale Situation reingeritten wurden", sagt er und erstattete Anzeige gegen die französische Regierung. Insgesamt ist die französische Regierung mit mindestens sechs Verfahren konfrontiert.

Auch eine Ärztin aus dem Elsass, dem Corona-Hotspot Frankreichs, kritisiert die französische Regierung scharf. Sie denke, dass die Bedrohung lange verharmlost und die Ausgangssperre viel zu spät beschlossen wurde, sagte die namentlich nicht genannte Ärztin aus der Gegend zwischen Straßburg und Mulhouse dem "Standard" (Dienstagsausgabe). "Es sind aber vor allem zwei Dinge, die mich fassungslos machen: Frankreich hat am 15. März, einen Tag vor der Ausgangssperre, noch Kommunalwahlen abgehalten. Das Problem war, dass es zu diesem Zeitpunkt im ganzen Land kaum Atemschutzmasken gab. Viele dieser Masken wurden an die Wahlhelfer und die Wähler verteilt, obwohl wir sie in den Krankenhäusern doch viel dringender gebraucht hätten."

Der zweite Punkt betreffe die Ärzte im Ruhestand. Viele seien zwar hoch motiviert, fänden sich aber im modernen Klinikalltag nur schwer zurecht. "Außerdem gehören sie altersmäßig zur Risikogruppe. Einer dieser Kollegen bei uns hat vor einigen Tagen leider ebenfalls Covid-19-Symptome entwickelt." Laut der Ärztin wurden fast alle Stationen ihres Krankenhauses zu reinen Covid-19-Abteilungen umfunktioniert.

Die überwiegende Mehrheit des Personals habe sich mangels Schutzmasken infiziert. "In meinem Team wurden alle Ärzte bis auf einen positiv getestet. Mehrere davon sind schwer erkrankt." Die Mediziner müssten dennoch arbeiten. "Wenn wir nicht zur Arbeit gehen, kümmert sich niemand mehr um die Patienten. In anderen Regionen dürfen Ärzte, die Symptome haben und positiv getestet werden, eine Woche zu Hause bleiben. Würden wir das machen, gäbe es kein medizinisches Personal mehr."

Unterdessen kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, im Kampf gegen das Coronavirus mehr auf französische Unabhängigkeit setzen zu wollen - etwa bei der Produktion von Schutzmasken. "Wir müssen mehr auf unserem eigenen Boden produzieren, um unsere Abhängigkeit zu verringern", sagte Macron nach einem Besuch bei dem Maskenhersteller Kolmi-Hopen in Saint-Barthelemy-d'Anjou am Dienstag.

Bis zum Ende des Jahres solle Frankreich seine volle Unabhängigkeit bei der Maskenproduktion erreicht haben. "Bis Ende April werden wir die Kapazität haben, in Frankreich 15 Millionen Masken pro Woche zu produzieren", sagte Macron. Frankreich hatte zuletzt eine Milliarde Masken bestellt - unter anderem aus China.

Er setze auf den Wiederaufbau der französischen und europäischen Souveränität, so Macron. Er kündigte außerdem an, dass ein Konsortium von vier großen Industriekonzernen bis Mitte Mai 10.000 Beatmungsgeräte herstellen will. Der französische Staat werde außerdem der nationalen Gesundheitsbehörde vier Milliarden Euro für die Bestellung von Masken, Medikamenten und Beatmungsgeräten zur Verfügung stellen.

"Wir müssen den Kampf gegen das Virus mit dem Pflegepersonal an der Front führen", sagte Macron. Es handle sich um einen "unsichtbaren Feind". Er glaube an das "vereinte Frankreich". Man habe vor der Krise Reformen verabschiedet, die es Frankreich ermöglichten, wettbewerbsfähiger zu sein. "Aber wir müssen die moralische Stärke und den Willen wiedererlangen, mehr in Frankreich zu produzieren."

ribbon Zusammenfassung
  • Am 19. März reichte das Kollektiv namens C 19 Beschwerde gegen die ehemalige Gesundheitsministerin Agnes Buzyn und Premierminister Edouard Philippe ein.
  • Bis Dienstag zu Mittag haben mehr als 350.000 Menschen die Petition zur Unterstützung der Klage unterschrieben.
  • Die Mediziner werfen den Politikern "Staatslügen" im Umgang mit dem Coronavirus vor.
  • Insgesamt ist die französische Regierung mit mindestens sechs Verfahren konfrontiert.