Tausende Migranten verlassen Lampedusa
Die Premierministerin kündigte Sofortmaßnahmen an, die ihr Kabinett am kommenden Montag beschließen werde - darunter die Aufforderung an die Armee, größere Aufnahmezentren zu errichten und die Zeitspanne zu verlängern, in der die Menschen festgehalten werden können. Meloni sagte, sie habe an den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, geschrieben und ihn gebeten, das Thema Einwanderung auf die Tagesordnung des EU-Gipfels im Oktober zu setzen.
In ihrer Videobotschaft sprach Meloni auch eine Einladung an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa aus, "um sich persönlich den Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen", sagte die Rechtspolitikerin.
Nachdem seit Anfang dieser Woche fast 10.000 Migrantinnen und Migranten auf Lampedusa eingetroffen sind, entspannt sich die Lage allmählich. Am Freitag verließen rund 700 Menschen die kleine Insel mit Fähren und Polizeischiffen in Richtung Sizilien und Festland, hieß es in einer Mitteilung des italienischen Roten Kreuzes. Im Laufe des Tages sollen weitere 2.500 Menschen von der Insel gebracht werden.
Am Freitag wurden 344 Migrantinnen und Migranten von der italienischen Küstenwache auf die Insel gebracht. Sie befinden sich im Hotspot Lampedusas, das vom Roten Kreuz verwaltet wird. "Die Situation auf Lampedusa ist kritisch und wir begrüßen, dass dringende Maßnahmen ergriffen werden, um die Insel wieder in die Normalität zurückzuführen", erklärte die Vertreterin des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR für Italien, Chiara Cardoletti, in einer Erklärung. "Wir sind uns der Schwierigkeiten bewusst, die durch die gleichzeitige Ankunft einer sehr großen Zahl von Menschen auf einer kleinen Insel mit begrenzten Aufnahmekapazitäten entstehen. Um sicherzustellen, dass die Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen, hat die Entlastung der Insel oberste Priorität", fuhr sie fort.
Die Migrationsbewegung, mit der Lampedusa konfrontiert ist, beschäftigt zurzeit auch die EU-Kommission. Eine Delegation der Europäischen Kommission befindet sich in Lampedusa vor Ort, um sich über die Situation zu informieren und die nächsten Schritte festzulegen, hieß es. Die Europäische Kommission hatte am Donnerstag erklärt, in engem Kontakt mit den italienischen Behörden zu stehen. Derzeit seien rund 450 Mitarbeiter der EU-Asylagentur und von Frontex vor Ort im Einsatz. Auch finanziell werde Italien mit 14 Millionen Euro Nothilfe unterstützt.
Außenminister Antonio Tajani forderte die Wiederbelebung der EU-Marinemission "Operation Sophia", da die Zahl der aus Nordafrika in Italien ankommenden Migrantinnen und Migranten stark gestiegen ist. "Wenn das Problem nicht an der Wurzel gelöst wird, werden wir Wellen von Migranten, die wir nicht aufnehmen können, zunehmen. Europa könnte über eine neue Operation Sofia nachdenken, die in ihren verschiedenen Aktionsstufen auch ein entschlossenes Vorgehen gegen irreguläre Migranten beinhaltet, um das Problem mit Entschlossenheit anzugehen", so Tajani laut Medienangaben.
Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin führte indes ein Telefongespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Matteo Piantedosi über die Lage auf Lampedusa. Die französischen Behörden meldeten kürzlich die Verdoppelung der Zahl einreisender Flüchtlinge ohne Aufenthaltsberechtigung an der italienisch-französischen Grenze. Die Zahl der Polizisten und Gendarmen an der Grenze wurde auf 200 aufgestockt. "Prioritär ist, dass die Abfahrten in Richtung Italien gestoppt werden", betonte Piantedosi nach dem Gespräch mit Darmanin.
Marion Maréchal, Vize-Parteichefin der rechtsextremen französischen Partei "Reconquête" von Eric Zemmour, besuchte am Freitag Lampedusa. "Ich bin hier, um Italien zu unterstützen. Lampedusa ist die Grenze von ganz Europa. Die Europäer müssen geschlossen auf diese Situation reagieren", erklärte Maréchal laut Medienangaben. Die rechtsextreme Politikerin ist die Nichte und frühere politische Mitstreiterin von Marine Le Pen, der Chefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN). Sie ist mit dem italienischen EU-Abgeordneten Vincenzo Sofo verheiratet, der der Regierungspartei Fratelli d'Italia angehört.
Das gute Wetter der vergangenen Tage führte dazu, dass sich mehr Menschen als gewöhnlich von Nordafrika aus in Booten über das Mittelmeer auf den Weg machten. Nach Angaben des Innenministeriums in Rom kamen allein am Dienstag mehr als 5.000 Migrantinnen und Migranten in Italien an. Die meisten von ihnen wurden von der Küstenwache aufgegriffen und nach Lampedusa gebracht. Das dortige Aufnahmezentrum ist für weniger als 400 Menschen ausgelegt. Männer, Frauen und Kinder mussten rund um das Lager die Nächte unter freiem Himmel verbringen. Am Mittwoch wurde deswegen der Notstand ausgerufen.
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) betonte, dass die "dramatischen Bilder aus Lampedusa" einmal mehr zeigten, "dass das derzeitige europäische Migrationssystem gescheitert ist. Viel zu lange hat die Europäische Union zugesehen." Sie forderte grundlegende Reformen. "Europa muss wieder Herr über seine Grenzen werden, Fluchtursachen an der Wurzel bekämpfen und schnelle Asylverfahren an den EU-Außengrenzen etablieren", erklärte Edstadler am Freitag in einer Stellungnahme gegenüber der APA. Aus dem österreichischen Innenministerium hieß es am Donnerstag, man stehe mit den italienischen Behörden in Kontakt. Zugleich würde die Überwachung auf dem Brenner intensiviert.
Nahe der italienischen Hauptstadt Rom ist es zu einem Unfall mit einem Bus mit Migrantinnen und Migranten, die vor wenigen Tagen auf Lampedusa gelandet waren, mit zwei Toten gekommen. Der Bus prallte auf der Autobahn A1 frontal mit einem anderen Fahrzeug zusammen. Zwei Busfahrer kamen ums Leben. 18 Menschen wurden verletzt - einige von ihnen schwer.
Zusammenfassung
- Im Laufe des Tages sollen weitere 2.500 Menschen von der Insel gebracht werden.
- Die Zahl der Polizisten und Gendarmen an der Grenze wurde auf 200 aufgestockt.