Strafverteidiger verlangen Ausweitung des Kostenersatzes
Die Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger verlangen außerdem "die Abschaffung der Stampiglien-Erledigung bei Grundrechtseingriffen", wie VÖStV-Präsident Manfred Ainedter nach der Tagung am Sonntagnachmittag im Gespräch mit der APA erläuterte. "Es ist unerträglich, dass ein Richter bei einer Hausdurchsuchungsanordnung einfach seinen Stempel draufhaut. Und aus. Stattdessen muss es eine richterliche Begründungspflicht geben, wenn eine Hausdurchsuchung bewilligt wird", sagte Ainedter. Weiters will die Vereinigung die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten gegenüber Medien aufwerten. Die Bestimmung im Mediengesetz - § 23 MedienG - , die für die verbotene Einflussnahme auf ein Strafverfahren vor dessen erstinstanzlichem Abschluss Geldstrafen von bis zu 180 Tagessätzen vorsieht, soll einer "grundrechtsorientierten Modernisierung" unterzogen werden.
Was den Ersatz der Verteidigerkosten betrifft, pflichtet Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) einem "angemessenen" finanziellen Beitrag von staatlicher Seite bei, wenn am Ende oft langwieriger Ermittlungen diese von den Strafverfolgungsbehörden eingestellt werden. Auch wenn keine Anklage erhoben wird, bleiben die Beschuldigten oft auf horrenden Verteidigerkosten sitzen. "Wir können es nicht hinnehmen, dass Beschuldigte ruiniert werden", sagte Edtstadler bei der Eröffnung des StrafverteidigerInnentages im Festsaal des Justizpalastes. Das komme einer "zivilen Todesstrafe" gleich.
Edtstadler, die ihre Karriere als Strafrichterin in Salzburg begonnen hat, verlangte weiters eine Verfahrensbeschleunigung bei strafrechtlichen Ermittlungen und bekräftigte ihre Forderung nach einem Zitierverbot aus Strafakten nach deutschem Vorbild. Wörtliches Zitieren bediene "die niederen Instinkte auf dem Rücken der Beschuldigten" und komme einer medialen Vorverurteilung gleich, die auf die Betroffenen "wie eine Handschelle" wirke, sagte Edtstadler.
Dezidiert gegen eine Junktimierung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft mit den Beschuldigtenrechten in den politischen Verhandlungen wandte sich VÖStV-Präsident Ainedter: "Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun". Ainedter nannte die Diskussion um die Weisungsbefugnis an die Staatsanwaltschaften - diese soll nach der Vorstellung von Justizministerin Alma Zadic (Grüne) an unabhängige, aus drei Generalanwälten bestehende Senate ausgelagert werden, die ÖVP bevorzugt dagegen einen Bundesstaatsanwalt und pocht auf parlamentarische Kontrolle - "den Versuch einer Show-Politik". In der Realität gebe es nämlich gar keine politischen Weisungen, so Ainedter. Die Stärkung der Beschuldigtenrechte sei jedenfalls unabdingbar und dürfe mit der Frage, wer an der Spitze der Weisungskette steht, nicht verknüpft werden. Die Beschlagnahmung von Handys will der VÖStV-Präsident künftig nur mit richterlicher Bewilligung, bei dringendem Tatverdacht, bei Vorliegen weiterer formaler Voraussetzungen und nur mehr dann zulassen, wenn ein Sicherungsverfahren gewährleistet ist.
Die VÖStV war seinerzeit auf Initiative des Wiener Rechtsanwalts und nunmehrigen Professors für Wirtschaftsstrafrecht und Compliance an der Johannes Kepler Universität Linz, Richard Soyer, gegründet worden. Soyer erinnerte in seinem Festvortrag an die Anfänge der Vereinigung und daran, dass die Strafverteidigung einst als eine Art "Schmuddelecke" innerhalb der Anwaltei gegolten habe. Die VÖStV habe sich seit ihrem Bestehen mit ihren kriminalpolitischen Forderungen nicht nur innerhalb der Anwaltschaft, sondern gesamtgesellschaftlich etabliert, die Strafrechtskultur an den Gerichten positiv verändert und etwa zum StPO-Reformgesetz 2004 und dem 2006 in Kraft getretenen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz entscheidend beigetragen.
"Seit dem Jahr 2010 lässt sich jedoch nicht übersehen, dass es zu einem rechtspolitischen Stillstand, wenn nicht sogar teilweise zu kriminalpolitischen Rückschritten gekommen ist", hielt Soyer fest. Die Reform des Ermittlungsverfahrens habe keine Fortsetzung in grundlegenden Reformen des Haupt- und Rechtsmittelverfahrens gefunden: "Der österreichische Strafgesetzgeber unterlässt es seit einem guten Jahrzehnt beharrlich, die inquisitorische Struktur des Hauptverfahren einerseits und formale Hürden im Rechtsmittelverfahren andererseits abzubauen bzw. zurückzufahren." Die Politik lasse "selbst Konturen von ernsthaften Reformbemühungen kaum erkennen", die Justizkapitel in den letzten beiden Regierungsprogrammen hätten sich "durch Allgemeinplätze und nicht erkennbare Schwerpunktsetzungen" ausgezeichnet.
Das im Gefolge des Terror-Anschlags von Wien rasch auf den Weg gebrachte Terrorbekämpfungs-Gesetz habe sich "als krude Symbolpolitik und Fortsetzung des Zick-Zack-Kurses der letzten Jahre" erwiesen, kritisierte Soyer: "Nicht anders verhält es sich mit der gesetzlichen Reform des österreichischen Geheimdienstwesens oder der beharrlichen Weigerung, ein zeitgemäßes Parteienstrafrecht - wie etwa in Deutschland - mit gerichtlichen Straftatbeständen einzuführen."
Für Soyer sind Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger "nicht nur die Speerspitze der Advokatur, sondern insbesondere auch der Gesellschaft". Als deren Repräsentanten "sind wir strukturell in Opposition zur Macht", betonte der VÖStV-Gründer, der nach wie vor dem Vorstand der Vereinigung angehört: "Wenngleich Strafverteidigung gleichzeitig auch Brotberuf ist, dürfen wir uns weder von staatlicher noch privater Macht vereinnahmen lassen, wenn wir unserer Aufgabe gerecht werden wollen."
Zusammenfassung
- Die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen (VÖStV) hat am Wochenende ihr 20-jähriges Bestehen begangen, der jährliche StrafverteidigerInnentag hat dieses Mal in Wien stattgefunden.
- Die Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger verlangen außerdem "die Abschaffung der Stampiglien-Erledigung bei Grundrechtseingriffen", wie VÖStV-Präsident Manfred Ainedter nach der Tagung am Sonntagnachmittag im Gespräch mit der APA erläuterte.