Serbien sieht bei Normalisierung Kosovo am Zug
Er selbst habe schon vor zehn Jahren unter EU-Vermittlung die Bildung einer Gemeinschaft der serbischen Gemeinden im Kosovo ausverhandelt, erinnerte der frühere Regierungschef. Nun müsse dies auch umgesetzt werden. "Solange das nicht passiert, können wir nicht über weitere Schritte der Implementierung (des Normalisierungsabkommens, Anm.) sprechen", unterstrich der sozialistische Politiker. Auf eine entsprechende Frage der APA machte er klar, dass es dabei nicht nur um die vier serbischen Gemeinden im Nordkosovo gehe, sondern auch um sechs weitere Kommunen im restlichen Land.
Schallenberg begrüßte die am Wochenende im nordmazedonischen Ohrid erzielte Grundsatzeinigung auf den EU-Plan als "sehr wichtig" und räumte ein, dass dies für Serbien "kein leichter Schritt" gewesen sei. "Die Normalisierung Belgrad-Pristina, das ist das Nadelöhr, durch das die ganze Region muss", hob der Außenminister die Alternativlosigkeit zu einer Verständigung zwischen den beiden Staaten hervor.
Dačić bekräftigte den Willen Belgrads, den EU-Plan bis zu den eigenen "roten Linien" umzusetzen. Dies seien eine explizite Anerkennung des Kosovo sowie die Zustimmung zu seiner UNO-Mitgliedschaft. Serbien hat sich mit der im Jahr 2008 einseitig ausgerufenen Unabhängigkeit der fast ausschließlich von Albanern bewohnten Ex-Provinz immer noch nicht abgefunden. Es zählt dabei auf die Unterstützung der UNO-Vetomacht Russland, das in den vergangenen Jahren alle Vorstöße zur internationalen Anerkennung des Kosovo vereitelt hat.
Auf die Frage der APA, ob Serbien eine EU-Mitgliedschaft des Kosovo akzeptieren würde, antwortete Dačić ausweichend. "Uns fragt ja keiner. Dieser Frage ist nicht an uns zu richten", sagte er mit Blick auf die bestehenden EU-Mitgliedsstaaten. Zugleich führte er aus, dass Serbien eigentlich "schon längst Mitglied der Europäischen Union sein sollte" und begründete dies mit dem blockfreien Status des früheren Jugoslawien. Anders als andere osteuropäische Staaten, die heute EU-Mitglieder sind, habe Jugoslawien nämlich schon im Jahr 1948 mit der Sowjetunion gebrochen und später die von Moskau drangsalierten Staaten wie die Tschechoslowakei, Ungarn oder Polen unterstützt, versuchte Dačić den Vorwurf einer serbischen Russlandnähe zu kontern.
Dačić betonte, dass Serbien die Verletzung der territorialen Integrität durch Russland "immer verurteilt" habe, sich aber mit Blick auf die eigenen nationalen Interessen nicht den restriktiven Maßnahmen gegen den Aggressor angeschlossen habe. "Dieser Standpunkt hat sich nicht geändert", sagte er auf eine entsprechende Frage und versuchte zugleich, die Bedeutung der Sanktionen herunterzuspielen. So habe sich etwa das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Russland erhöht, obwohl Bern die Sanktionen mittrage. Schallenberg hatte zuvor den Aufruf an Belgrad bekräftigt, sich den EU-Sanktionen anzuschließen. "Wer Mitglied der Europäischen Union werden will, kann außenpolitisch in so einer Kernfrage nicht am Seitenrand stehen", sagte er.
Nachdem die beiden Chefdiplomaten in ihren Eingangsstatements die guten und engen Beziehungen gelobt hatten, Schallenberg das Eintreten für eine rasche EU-Mitgliedschaft aller Staaten des Westbalkans unterstrich und sich auch für die serbischen Bemühungen im Kampf gegen illegale Migration bedankte, kam es nach der Frage einer serbischen Journalistin zu den vermeintlich doppelten Maßstäben des Westens in der Kosovo- und Ukraine-Frage zu einem ausgedehnten historischen Austausch der beiden Minister.
Die Aussage Schallenbergs, dass es im Kosovo Ende der 1990er Jahre darum gegangen sei, einen "Genozid zu verhindern", wollte der aus dem zentralkosovarischen Prizren stammende Dačić nämlich nicht unkommentiert lassen. "In den 1990er Jahren haben in Prizren vielleicht zehntausende Serben gelebt, heute sind es 23. In Pristina lebten 40.000 Serben, heute leben dort vielleicht 100. Was ist das für ein Genozid, wenn es von uns, die wir diesen Genozid durchgeführt haben, heute weniger gibt?", fragte Dačić rhetorisch. Auch sei die Bombardierung Serbiens im Kosovo-Krieg ohne UNO-Sicherheitsratsbeschluss durchgeführt worden. "So viel zum Völkerrecht."
Schallenberg versuchte zu kalmieren, indem er Österreich als positives Beispiel eines im Krieg geschlagenen Staates anführte. Österreich sei jener Nachfolgestaat der Donaumonarchie gewesen, der "übrig geblieben" sei, so der Außenminister. Heute sei es "einer der reichsten Staaten der Welt, der in sich ruht" und gute Beziehungen mit seinen Nachbarn habe, führte Schallenberg konkret das Beispiel von Südtirol an, das sich Italien nach dem Ersten Weltkrieg einverleibt hatte. Die historischen Ausführungen von Dačić, der unter anderem den Bogen vom Kosovo zur Türkenbelagerung Wiens gespannt hatte, kommentierte Schallenberg zum Abschluss der fast einstündigen Pressekonferenz scherzhaft mit einem Verweis auf den Attentäter von Sarajevo im Jahr 1914. "Der einzige, der nicht erwähnt wurde, war (Gavrilo) Princip. Sonst war alles dabei."
Dačić stattete auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen Besuch ab, dessen Amtskollege er bis zur Parlamentswahl vor einem Jahr gewesen war. Sobotka bezeichnete Serbien als "zentralen Partner" im südosteuropäischen Raum, der für Österreich hohe Priorität habe. Sobotka begrüßte die Annäherung zwischen Belgrad und Pristina. In Konflikten sei entscheidend, aufeinander zuzugehen, das Gespräch zu suchen und das Gemeinsame über das Trennende zu stellen, so Sobotka nach Angaben der Parlamentskorrespondenz. Dačić berichtete bei der Pressekonferenz, dass Sobotka schon bald auch Belgrad besuchen werde.
Zusammenfassung
- Serbien macht die Bildung einer serbischen Region im Kosovo zur Bedingung für die Umsetzung der Normalisierungsvereinbarung mit Pristina.
- Dies machte der serbische Außenminister Ivica Dačić am Mittwoch nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Alexander Schallenberg (ÖVP) in Wien klar.
- Dačić bekräftigte zugleich das Nein seines Landes zu Sanktionen gegen Russland.
- Sobotka begrüßte die Annäherung zwischen Belgrad und Pristina.