Schweizer proben Aufstand gegen multinationale Konzerne
Die große Zustimmung überrascht, haben sozialpolitische Initiativen in der mehrheitlich konservativen Wählerschaft der Schweiz doch meist eher wenig Chancen. Allerdings wird die Vorlage von Altpolitikern quer durch das Spektrum unterstützt und fordert nach eigenem Bekunden "eine Selbstverständlichkeit", nämlich, dass Schweizer Konzerne wie Nestle oder Swatch künftig dafür haften müssen, wenn ihre Tochterfirmen im Ausland grobe Menschenrechtsverletzungen begehen oder Umweltschäden verursachen.
Der Zuspruch für die Initiative liegt nach Einschätzung von Beobachtern auch daran, dass sie mehrere Jahre lang vorbereitet wurde, unter anderem mit entsprechenden Analysen. So zeigte eine Untersuchung der Hilfsorganisationen "Brot für Alle" und "Fastenopfer" in den Jahren 2012 bis 2017 insgesamt 64 Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltstandards durch Schweizer Konzerne: Von Kinderarbeit bis zu vergifteten Flüssen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch betonte im Vorfeld des Referendums, eine Annahme der Initiative "könnte dazu beitragen, das Leben vieler Arbeitnehmer und Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu verbessern". Sie verwies darauf, dass etwa große Schweizer Schmuckproduzenten keine Rückverfolgbarkeit ihrer Diamanten leisten und es in Ländern wie Venezuela oder Ghana "schreckliche Menschenrechtsverletzungen" oder gefährliche Kinderabeit beim Goldabbau gebe.
Der Bundesrat (Regierung) und Parlament sowie der Wirtschaftsdachverband economiesuisse lehnen die Initiative ab. Sie befürchten eine Schwächung der Schweizer Unternehmen, den Rückzug von kleinen und mittleren Unternehmen aus Entwicklungsländern, zu viel Bürokratie und erpresserische Klagen, berichtet das Schweizer Fernsehen SRG. Damit würden auch Arbeitsplätze in der Schweiz gefährdet, heißt es. Auch sei es ungerecht, wenn alle Unternehmen für einige schwarze Schafe büßen müssten. Laut Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder würden die Schweizer Firmen "ihre Verantwortung für Mensch und Umwelt" schon jetzt "auf freiwilliger Basis" wahrnehmen.
Allerdings haben die Unternehmenslobbyisten auch ungewöhnlichen Gegenwind aus eigenen Reihen. Dietrich Pestalozzi, Chef des gleichnamigen Bauunternehmens, meint nämlich, dass Freiwilligkeit allein zu wenig sei. "Die Berichterstattungspflicht ohne wirkliche Konsequenzen verhindert die Verletzung von Menschenrechten im Ausland leider nicht", betonte der Co-Chef des Wirtschaftskomitees für verantwortungsvolle Unternehmen. Bei der Initiative gehe es darum, "dass man Verantwortung für sein Handeln übernimmt", so Pestalozzi. Die in der Initiative vorgeschriebene Sorgfaltsprüfung sei "keine Hexerei", der bürokratische Aufwand begrenzt, sagte der mit Blick auf eigene Erfahrungen. Auch seien Warnungen vor einer Klagsflut übertrieben, weil die Hürden dafür sehr hoch seien.
Meinungsforscher Michael Hermann vom Institut Sotomo sagte der SRG, dass die Gegner der Initiative durch die Spaltung der Wirtschaft geschwächt seien. "Es ist viel schwieriger, die Gegenkampagne zu führen, wenn nicht die ganze Wirtschaft dahintersteht", sagte Hermann. Ähnliche Initiativen, die international eine Verbesserung anstrebten, wie die Fairfood-Initiative, seien bisher immer an einer geschlossenen Wirtschaftsfront gescheitert.
Die Hürden für eine Annahme der Vorlage sind hoch. Volksinitiativen bewirken nämlich eine Änderung der Schweizer Verfassung, weswegen eine Annahme durch die Mehrheit der Stimmbürger und der 26 Kantone erforderlich ist. Damit haben die kleinen konservativen Kantone der Ostschweiz eine wichtige Vetorolle. Als entscheidend sehen Beobachter insbesondere das Stimmverhalten der in diesen Kantonen starken Christlich-demokratischen Volkspartei (CVP) an, bei deren Sympathisanten der Rückhalt für die Initiative jüngst etwas nachgelassen hat.
Zusammenfassung
- Die Schweizer geben am Sonntag wieder ein Musterbeispiel in direkter Demokratie ab.
- 57 Prozent der Stimmbürger wollen einer Umfrage des Schweizer Fernsehens zufolge die "Konzernverantwortungsinitiative" unterstützen, die Multis weltweit zur Achtung von Menschenrechts- und Umweltstandards verpflichten soll.
- Der Bundesrat und Parlament sowie der Wirtschaftsdachverband economiesuisse lehnen die Initiative ab.